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       # taz.de -- Die Wahrheit: Zombies für den Arbeitsmarkt
       
       > Eine Recruitingfirma bereitet verstorbene Mitarbeiter digital zur
       > posthumen Verwendung auf und stößt in ganz neue lethale Arbeitsfelder
       > vor.
       
   IMG Bild: Mit welchen technologischen Verfahren die verstorbenen Mitarbeiter reaktiviert werden, bleibt ein Geheimnis des Unternehmens
       
       Gerlinde Sedlaczek jauchzt vor Freude. „Ich habe ein Match“, ruft sie und
       reckt die geballten Fäuste in die Luft, denn der 54-jährige IT-Consultant,
       den sie soeben entdeckt hat, passt haargenau ins Suchprofil ihres Kunden.
       Entdeckt hat sie ihn aber nicht auf Xing oder LinkedIn, wo
       Personalvermittler klassischerweise suchen, sondern in einer Todesanzeige.
       
       „Genau genommen war es ein Nachruf“, verbessert sie. Ein Nachruf eines
       Unternehmens, das seinem plötzlich verstorbenen Mitarbeiter
       hinterhertrauert. „Das ist schon schade für so ein Unternehmen, wenn ein
       toter Mitarbeiter all seine Kompetenzen mit ins Grab nimmt. Das soll nicht
       sein. Deshalb graben wir ihn wieder aus beziehungsweise seine Kompetenzen“,
       verbessert sie sich selbst und strahlt dabei übers ganze Gesicht.
       
       Sedlaczeks Agentur verfolgt einen innovativen Ansatz in der
       Recruiting-Branche, sie vermittelt vor allem Ex-Mitarbeiter. „Wobei das Ex
       für Exitus steht“, kichert die Unternehmerin. Ihr Konzept beruht auf den
       neuesten Errungenschaften der künstlichen Intelligenz und orientiert sich
       an dem sogenannten Digital Afterlife. Während Digital Afterlife vor allem
       für trauernde Hinterbliebene geschaffen wurde, damit sie sich mit Chatbots
       unterhalten können, die wie die verstorbenen Verwandten texten und
       sprechen, liefert Sedlaczek lebensechte Hologramme, die wie frühere
       Mitarbeiter arbeiten. „Digital Afterlife4Work“ heißt das Programm, das man
       bei ihr buchen kann.
       
       Sedlaczek hat zunächst in ihr eigenes Personal investiert. Sie benötigt
       schließlich Softwareentwickler und Programmierer, um das Wunschpersonal
       wieder zum Leben zu erwecken. Das Tolle daran: „Wir bügeln auch Defizite
       aus. Sprachkenntnisse, neueste Softewaretools – all das können wir updaten.
       Wir machen aus verschiedenen Menschen verschiedene Menschen“, sagt die
       Unternehmerin und klopft sich auf die Schenkel für diesen Claim, der
       wahrscheinlich bald ihre Webseite ziert.
       
       ## Multiple Lebenserfahrung
       
       „Diese Leute sind absolut begehrt, nicht nur wegen ihrer Lebenserfahrung,
       die sich perspektivisch noch multiplizieren lässt“, rechnet die wackere
       Expertin für Human Resources vor, sondern auch wegen ihrer unübertreffbaren
       Robustheit. Sie seien gegen Arbeitsunfälle und Krankheiten absolut immun.
       Lediglich Computerviren bildeten eine Gefahr. Aber dagegen würden die
       Hologramm-Arbeitnehmer regelmäßig geimpft. Das übernehme die
       Recruitingfirma während des Mitarbeiterurlaubs, in dem auch der Cache
       geleert und Updates gefahren werden, listet Gerlinde Sedlaczek Vorzüge
       ihrer Vermittlungsleistung auf.
       
       „Die Vergangenheit des Personals ist Ihre Zukunft“, haut sie einen weiteren
       Claim heraus und verrät: „Das hat auch schon die Politik erkennt.“ Und zwar
       in eigener Sache, denn auch im politischen Betrieb fehlt es vorne und
       hinten an Fachpersonal. Die SPD sehnt sich nach schlagkräftigen Kalibern
       vom Stile eines Herbert Wehner. „Im wahrsten Sinne des Wortes“, raunt sie
       uns verschwörerisch zu und erinnert daran, wie Wehner 1950 einen Altnazi
       aus dem Bundestag prügelte. Solche Leute würde man gern auf die AfD
       ansetzen. Deshalb liegen Sedlaczek auch Vermittlungsanfragen nach den
       Modellen Stauffenberg und Elser vor. Hier tüftelten die Programmierer auch
       schon fleißig, um strategische Fehler der Originale zu vermeiden.
       
       „Und wenn wir dann fertig sind, dann platzt die Bombe“, lacht Sedlaczek
       scheppernd. Sie scheint zuversichtlich, diese Vermittlungswünsche bald
       erfüllen zu können. Nahezu unmöglich sei jedoch eine Anfrage gleich
       mehrerer Parteien, die sich einen Kanzlerkandidaten wie Helmut Schmidt
       wünschen – nur in der Nichtraucherausführung. Das sei nicht zu schaffen.
       Und zum ersten Mal sehen wir Gerlinde Sedlaczek etwas betrübt dreinblicken:
       „Wir kriegen den Drang zum Kettenrauchen einfach nicht aus dem Quellcode.“
       
       23 Apr 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Günter Flott
       
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