# taz.de -- Karlsruhe prüft Wahlrechtsreform: „Bayerische Wähler werden bestraft“
> Vor dem Bundesverfassungsgericht steht das neue Wahlrecht der Ampel auf
> dem Prüfstand. CSU, Linke und weitere Kläger üben daran Kritik.
IMG Bild: Hufeisen der anderen Art: Martin Schirdewan und Gregor Gysi (Linke) klagen mit der CSU
Karlsruhe taz | Im kommenden Jahr soll der Bundestag neu gewählt werden.
Doch nach welchem Wahlrecht? Das Bundesverfassungsgericht verhandelt an
diesem Dienstag und Mittwoch darüber, ob die [1][im März 2023 beschlossene
Wahlrechtsreform] Bestand haben kann.
Umstritten ist zum einen, dass ein Wahlkreis künftig ohne Direktmandat
bleiben kann – und zum anderen, dass die Grundmandatsklausel abgeschafft
wurde. Geklagt haben unter anderen 195 Abgeordnete von CDU/CSU, das Land
Bayern, die CSU, Die Linke und der Verein Mehr Demokratie.
Die Wahlrechtsreform wurde erforderlich, weil der Bundestag immer größer
wurde. Statt der vorgesehenen 598 Abgeordneten hat er in der laufenden
Wahlperiode 734 Sitze. Schuld sind Überhang- und Ausgleichsmandate. Die
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt, als
ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen. Damit das Wahlergebnis
dadurch nicht verzerrt wird, erhielten die anderen Parteien bisher
Ausgleichsmandate.
Überhang- und Ausgleichsmandate hat der Bundestag mit der Ampelmehrheit
[2][vor einem Jahr abgeschafft], um die Größe des Bundestags verlässlich
auf 630 Sitze zu begrenzen. Jede Partei soll nur noch so viele Sitze
bekommen, wie es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Die Wahlkreissieger
mit den niedrigsten Prozentanteilen gehen deshalb leer aus.
## „Grundvertrauen massiv erschüttert“
„Das Grundvertrauen in demokratische Wahlen ist massiv erschüttert, wenn
die Wahl im Wahlkreis in vielen Fällen keine Entscheidung herbeiführt,
keinen Gewinner hat“, kritisierte der CSU-Landesgruppenchef Alexander
Dobrindt. „Mandate werden in diesem System nicht mehr gewonnen, sondern
zugeteilt“, ergänzte CDU-Chef Friedrich Merz. „Wenn man das Wahlergebnis
von 2021 zugrunde legt, wären in Bayern 7 von 47 Wahlkreisen verwaist
geblieben, hätten also keinen direkt gewählten Abgeordneten“, rechnete
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor.
Für den Bundestag verteidigte der Berliner Rechtsprofessor Christoph
Möllers die Reform. Der Bundestag habe bei der Ausgestaltung des Wahlrechts
einen weiten Gestaltungsspielraum. „Er hätte auch ein reines
Verhältniswahlrecht ohne Wahlkreise einführen können“, sagte Möllers. „Die
Wahlkreise wurden aber beibehalten, damit die Kandidaten dezentral
aufgestellt werden und im Bundestag nicht nur Vertreter von zentralen
Parteilisten sitzen.“
Zweiter großer Streitpunkt ist die Streichung der Grundmandatsklausel.
Danach konnten Parteien, die die 5-Prozent-Hürde verfehlen, trotzdem ihrem
Wahlergebnis entsprechend in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens
drei Direktmandate geholt haben. Zuletzt profitierte davon Die Linke, die
mit 4,9 Prozent der Stimmen dank dreier Direktmandate doch mit 39
Abgeordneten in den Bundestag einzog. Auch für die bislang nur in Bayern
antretende CSU mit bundesweit zuletzt 5,2 Prozent der Stimmen war die
Grundmandatsklausel eine Lebensversicherung.
„Es kann nicht sein, dass die CSU möglicherweise in 47 Wahlkreisen gewinnt,
aber keinen einzigen Abgeordneten stellen darf, weil sie bundesweit nur 4,9
Prozent holte“, protestierte Dobrindt. „Die bayerischen Wähler werden dafür
bestraft, dass sie eine bayerische Partei gewählt haben.“
## Linke und CSU fühlen sich bestraft
Für Linkspartei drohte ihr ehemaliger Partei- und Fraktionschef Gregor
Gysi, der seit 1990 immer ein Direktmandat errang, er werde bei der
nächsten Wahl als Unabhängiger antreten. Dann könne er das errungene Mandat
behalten, das ihm das neue Wahlrecht verwehrt, wenn er für die Linke
kandidiert und die Partei bundesweit unter 5 Prozent bleibt. „Diese
Ungleichbehandlung ist nicht zu rechtfertigen“, kritisierte Gysi in
Karlsruhe.
Falls das Bundesverfassungsgericht dies beanstandet, könnte nicht nur eine
neue Grundmandatsklausel eingeführt werden, auch eine Absenkung der
5-Prozent-Klausel (auf zum Beispiel 3 Prozent) wäre denkbar. Das Urteil
wird in einigen Wochen verkündet.
23 Apr 2024
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