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       # taz.de -- Comeback des Minigolfs: Der eigentliche Volkssport
       
       > Ein Minigolfplatz lebt von zwei Dingen: liebevoller Dekoration und
       > allgemeiner Leutseligkeit – zumindest für eine Spiellänge. Eine
       > Würdigung.
       
   IMG Bild: Minigolfbahn in Domburg
       
       Der Gender-Gap kommt irgendwann immer. Der entscheidende Unterschied
       zwischen den Geschlechtern. Auf jeder Anlage. Das ist die Bahn, bei der der
       Ball über einen Kegel in eine Art aufgehängten Kescher geschlagen wird.
       Verlegt sich ein Paar, weiblich und männlich, in der Phase ultrafrischer
       Verknalltheit auf eine Partie Minigolf, kommt ebendiese Bahn.
       
       Männer vermögen es, langjährig private Beobachtungen, sei es in Neukölln,
       in Füssen oder in Hamburg, belegen das, nach einem Probeschlag („Ah, so
       geht’s nicht!“) mit dem zweiten oder dritten Versuch den Ball korrekt ins
       Netz zu platzieren.
       
       Aber die Frauen, selbst wenn sie ehrgeizig sind, müssen ihre Hoffnungen, zu
       gewinnen oder wenigstens sich nicht zu blamieren … sie schlagen einfach
       nicht, sie huscheln mit dem viel zu lasch gehaltenen Schläger gegen den
       Ball, der daraufhin entweder noch vor dem Kegel verendet oder irgendwo im
       Nirwana der um die Bahn herum angelegten Rabatten.
       
       Dann sage ich zu einer Frau, deren Freund ihr nicht mal richtig zuguckte:
       Schlag den Ball doch mal einfach so, als würdest du deinem Freund mal
       tüchtig eine reinsemmeln. Nun, das war natürlich Aufforderung zu Gewalt,
       wenn auch im Spiel simulierter, aber sie stellte sich hin, empowert, wie
       man so sagt, seufzte ganz leicht, ihr Körper spannte sich ein wenig – und
       drosch die kleine Kugel so was von smart ins Ziel, dass ihr Freund nur
       staunte.
       
       ## Beim Minigolf sind alle gleich
       
       Gender Trouble, gut in ihrem Sinne gelöst. Mit anderen Worten: Beim
       Minigolf geht es immer um mehr als um 18 Bahnen mit verschiedenen Hürden,
       Winkeln und Schwierigkeit, einen Ball ins Loch zu versenken. Im Wege stehen
       bis dahin: Blumenkästen, Irrgärten, Hügelchen, Wippen, Vulkänchen.
       
       Minigolf ist eigentlich als Sport nie so recht ernst genommen worden, und
       das muss es auch nicht, selbst wenn in Deutschland (und in anderen Ländern)
       ein hierzu gehörendes Vereinswesen gehört, bei denen man gar nicht so genau
       wissen will, wie da die Jahresmitgliederversammlungen verlaufen. Aber es
       gibt Satzungen, ziselierte Regelwerke und alles andere sonst, was einen
       Verband und seine Vereine ehrenamtsintensiv macht.
       
       Sogar höhere Ligen gibt es für dieses Spiel, das 1954 im schweizerischen
       Ort Ascona erfunden wurde, ein Dorado deutscher Touristen und der Ort, wo
       auf dem Monte Verità seit dem späten 19. Jahrhundert eine
       Lebensreformanlage steht. In der Bundesrepublik hatte Traben-Trarbach die
       erste Minigolfanlage. Solche fanden sich schließlich bis in die Siebziger
       flächendeckend in jedem kommunalen Außenbad.
       
       ## Volkssport Minigolf
       
       Minigolf, das war irgendwann nur noch Kinderkram, zumal seit den einigen
       neoliberal gesinnten Jahrzehnten Golf die öffentliche Aufmerksamkeit auf
       sich zieht. [1][Franz Beckenbauer], Boris Becker und viele andere Fußball-
       und Tennisstars zeigten sich plötzlich als Golfspielende, als würden sie
       mit den viel zu ausführlichen Spaziergängen mit schlägernden Pausen es
       endgültig schaffen, die Niederungen ihrer sportlichen Darbietungen zu
       verlassen.
       
       Golf – das war und ist viel zu großer Raubbau an Naturflächen, die die
       großbürgerlichen Kreise betreiben, was den höheren kleinbürgerlichen
       Milieus gefällt.
       
       Die Wahrheit bleibt: Der eigentliche „Volxsport“ ist Minigolf, und das
       zeigt sich nirgendwo besser als am Neuköllner Hertzbergplatz, einem
       Epizentrum in diesem hauptstädtischen Bezirk der Vermischung aller
       möglichen Szenen. Hipster feiern hier sich selbst, es werden Geburtstage
       gefeiert, auch zu Hochzeiten soll es dort schon gekommen sein. Casual is
       beautiful.
       
       ## Eklektisch dekoriert
       
       Ob eine Rolle spielt, dass beim gewöhnlichen Minigolfen niemand so richtig
       für immer besser ist? Ungewiss. Die leicht scheinenden Bahnen werden
       plötzlich zu Monstren an Problemen, doch vielleicht wird es beim nächsten
       Mal besser, worauf ja alle hoffen.
       
       Auf die Anlage am Hertzbergplatz trifft zu, was auch für die im Hammer Park
       in Hamburg gilt: Die Bahnen eklektisch dekoriert, es sind lauschige, nicht
       auf Spitzensport getunte Anlagen. Man sieht ihnen die amateurhafte
       Heimwerkerlust an.
       
       Kinder spielen also gegen ihre Großväter und -mütter, auf der
       Hollywoodschaukel sitzt eine Gästin, die hier zur dämmernden Abendzeit
       ihren Kaffee trinkt, ehe sie sich wieder in ihren Alltagen widmet.
       
       ## Spiel ohne Allüren
       
       Interessanterweise stehen auf den Tischen, die zum gastronomischen
       Verweilen einladen, auch Aschenbecher: Rücksichtnahme auf jene Teile der
       Kundschaft (die meist umliegend lebt), die keine Kraft haben (oder sie
       haben wollen), sich dem vegan-gesunden Lebensstil der „studierten Leute“
       (wie die Stammgästin sagt) anzuschließen. Dieser Minigolfplatz, wie ja alle
       anderen vermutlich auch, lebt von Leutseligkeit, nicht von Differenz und
       Narzissmus in den Ausdrucksformen.
       
       Hin und wieder sieht man im Übrigen Menschen eines anderen Neukölln. Keine
       armen Einwanderer beziehungsweise Menschen im Flüchtlingsstatus, sondern,
       kulturell durchaus divers, der neuköllnische Normalo, der gern Minigolf
       spielt und keine Allüren der angesagten Lifestyles zeigt.
       
       Aber sie sind oft auch Nerds, Menschen, die es, hier beim Minigolf, ernst
       nehmen. Man erkennt sie an ihrer Umsichtigkeit, mit der sie den Parcours
       bespielen, in den Händen schwere doppelbauchige Aktenkoffer. Darin befindet
       sich jedoch kein Papierzeugs, sondern: Bälle und Besen, große und kleine,
       auch ausklappbare.
       
       ## Wie „Mensch ärgere Dich nicht“
       
       Einer hatte sogar mal daraus einen kleinen Staubsauger gezückt – um im
       späten Sommer die ersten gefallenen Blätter wegzusaugen: liebenswürdige
       Gesten, die nicht angeberisch wirken. Doch wie erwähnt: Man wird
       minigolferisch kaum oder nur ein ganz kleines bisschen besser.
       
       Die Bahn mit dem Kescher, den nur saubere geschlagene Bälle treffen, hat
       irgendwann auch ihren Schrecken („tja, dann wieder mal sieben“ Schläge, die
       auf dem Spielzettel notiert werden müssen, versaut das ganze Ergebnis)
       verloren.
       
       Es ist wie [2][„Mensch ärgere Dich nicht“]: Nur ein Spiel – und doch wie
       der Ernst des Lebens: irgendwie freundlich, nachbarschaftlich, ungiftig,
       milieuübergreifend.
       
       Minigolf, es spricht ja nichts dagegen, ist nach den anstrengenden Jahren
       aufgeregter Wokeness, einfach mal: cool down, gemeinsam.
       
       24 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
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   DIR [2] /Mensch-aergere-Dich-nicht-Jubilaeum/!5089345
       
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