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       # taz.de -- Hungerstreik fürs Klima: Ingenieur fordert Scholz heraus
       
       > Seit einem Monat isst Wolfgang Metzeler-Kick nicht mehr. Seine Forderung:
       > Kanzler Scholz soll über die Klimakrise aufklären.
       
   IMG Bild: Aktivist Wolfgang Metzeler-Kick im Regierungsviertel in Berlin
       
       Berlin taz | Die Wangen fallen ein, das Gesicht wird schmaler. Die letzte
       feste Mahlzeit von Wolfgang Metzeler-Kick ist mehr als einen Monat her.
       [1][Der 49-Jährige ist im Hungerstreik]. Bis Bundeskanzler Olaf Scholz in
       einer Regierungserklärung sagt, dass „der Fortbestand der menschlichen
       Zivilisation […] durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet [ist]“, wird
       er nichts mehr essen. So steht es in einem Brief den Metzeler-Kick zusammen
       mit der Aktionskampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“ am 7. März am
       Bundeskanzleramt abgegeben hat.
       
       Seitdem ist einiges passiert. Metzeler-Kick hat fast 15 Kilogramm verloren,
       in Richard Cluse einen Mitstreiter bei seiner radikalen Widerstandsform
       gewonnen. Rund [2][30 Aktivist:innen fasten seit vergangener Woche
       abwechselnd zwei Tage] mit. Von Scholz hat Metzeler-Kick nur gehört, dass
       dieser besorgt sei, „wenn Menschen in den Hungerstreik träten“. Auf die
       gewünschte Regierungserklärung – das Ziel ihres Hungerstreiks – warten die
       Aktivist:innen noch.
       
       Bis es so weit ist, harren sie mit ihren Unterstützer:innen im
       Spreebogenpark vor dem Bundeskanzleramt in Berlin aus. An der gleichen
       Stelle, an der [3][2021 aus einem Hungerstreik die klimaaktivistische
       Gruppe „Letzte Generation“ entstanden] ist, haben sie Zelte und einen
       Infopoint aufgebaut. Noch trinken Metzeler-Kick und Richard Cluse täglich
       Saft mit Elektrolyten und Vitaminen. Aber Metzeler-Kick glaubt: „Ich werd
       den Saft weglassen müssen. Mir ist sowieso klar, dass ohne Eskalation
       nichts passiert.“
       
       Metzeler-Kick war früher Ingenieur. Dann hat er eine Ausbildung in der
       Palliativpflege angefangen, bevor er sich dem Klimaaktivismus widmete. Er
       klebte sich auf die Straße und ließ sich wegtragen. Aber warum jetzt diese
       drastische Protestform? „Ich wüsste nicht, was ich sonst noch machen soll“,
       sagte Metzeler-Kick.
       
       ## Bewusstsein von Sterblichkeit
       
       Trotzdem sei er sich bewusst, dass sein Hungerstreik gefährlich ist: „Es
       werden Zustände auftreten, wo ich merke, dass ich sterblich bin.“ Um die
       Gesundheit nicht völlig zu vernachlässigen, wird der Hungerstreik von einem
       medizinischen Team begleitet. Jeden Tag messen sie Blutdruck und Puls,
       protokollieren das Gewicht. Alle zwei Tage kommt jemand ins Camp und
       untersucht die hungernden Aktivisten.
       
       Die Sprecherin des Teams erinnerte sich, dass in der Vergangenheit
       Hungerstreikende etwa 50 bis 70 Tage überlebt hätten. Wann sollten die zwei
       Aktivisten dann [4][aus medizinischer Sicht mit dem Hungerstreik aufhören]?
       „Jetzt!“, sagt sie und zuckt die Schultern. Was soll sie machen? Die
       Sprecherin ist Oberärztin in der Intensivmedizin. Je länger der
       Hungerstreik dauert, desto nervöser wird sie. Schon ab der gerade begonnen
       Woche findet sie „das schon kritisch“.
       
       Was passiert im Körper nach so langer Zeit ohne Nahrung? Die Funktion von
       allen Zellen werde eingeschränkt, sagt die Medizinerin. Eine schwere
       Infektion, eine Herz-Rhythmus-Störung oder ein Organ-Versagen wären die
       gefährlichsten Risiken: „Es ist schwierig, das dann gut zu behandeln.“ Sie
       selbst würde so eine Kampfform nicht wählen, aber sie könne die hungernden
       Aktivisten verstehen. Es sei wichtig, über die „Desillusionen der
       Klimapolitik“ aufzuklären: „Die wenigsten Menschen machen sich das so
       bewusst.“
       
       ## „Mittel für die, die keine Mittel haben“
       
       Die Kampagne „Hungern bis ihr ehrlich seid“ stützt sich auf Daten des
       UN-Weltklimarats. Dieser zeige auf, dass [5][bereits jetzt die
       CO₂-Konzentration in der Luft viel zu hoch] sei, sagt Metzeler-Kick. Für
       „einen Weg, mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat“, müsse
       schon jetzt CO₂ aus der Atmosphäre gefiltert werden. „Wir müssen jetzt,
       wenn auch mit Jahren Verspätung, radikal umsteuern“, heißt es in den
       Forderungen der Kampagne. Für eine Politik, die sich dieses Problems
       annimmt, engagiert sich Metzeler-Kick seit 2021 aktivistisch. Bis auf
       Tomatensoße an Gemälden habe er jede friedliche Protestform ausprobiert,
       erzählt er.
       
       Protestforscherin Lisa Bogerts ist nicht überrascht, dass sich die Kampagne
       als Teil der Klimabewegung für einen Hungerstreik entschieden hat: „Eine
       Bewegung ist erfolgreicher, wenn sie ein besonders [6][diverses Repertoire
       an Protestformen] hat.“ Denn so könne man das Thema immer wieder neu auf
       der „politischen Tagesordnung“ halten.
       
       Vor allem der Hungerstreik habe dabei das Potenzial für eine starke
       öffentliche Wirkung. Zugleich sei er eine erschwingliche und leicht
       zugängliche Protestform, da nur der eigene Körper benötigt wird: „Es ist
       ein Mittel von denen, die sonst keine Mittel haben.“ Also beispielsweise
       für Metzeler-Kick, der der Meinung ist, alle sonstigen friedlichen Mittel
       ausgeschöpft zu haben.
       
       ## Moralischer Druck
       
       Bogerts hält die Forderung nach einer Regierungserklärung für relativ
       niederschwellig: „Es wäre ja prinzipiell machbar für Olaf Scholz, darauf
       einzugehen.“ Trotzdem: Es sei auch deutlich geworden, dass der Kanzler
       glaube, sich auch nicht erpressbar machen zu dürfen.
       
       Ob der Hungerstreik in diesem Fall eine legitime Form des Protests ist, sei
       Ermessenssache, eine „normative Frage“, die nur von der Gesellschaft
       beantwortet werden könne. Deren Werte können sich – und damit auch den
       Blick auf die Legitimität eines Protest – wandeln, wie etwa die
       Bürgerrechtsbewegung in den USA gezeigt habe. Ob man tatsächlich juristisch
       von einer „Erpressung“ reden könne, hält sie nicht für ausgemacht.
       Schließlich wollten sich die Aktivist:innen von „Hungern bis ihr
       ehrlich seid“ nicht bereichern und schadeten auch nur sich selbst.
       
       „Aber im moralischen Sinne baut es natürlich schon viel Druck auf, [7][dem
       Ruf der Regierung zu schaden]“, sagte Bogerts. Metzeler-Kick hat damit kein
       Problem: „Diese Form der Erpressung finde ich nicht unmoralisch!“ Er
       „erpresse“ Scholz nur, damit dieser die Wahrheit ausspreche. Der Kanzler
       hält sich weiterhin zurück, Regierungssprecher Steffen Hebestreit mahnte
       die Aktivisten nur, „der eigenen Gesundheit nicht zu schaden“.
       
       ## Bis zum Ende gehen
       
       Die Bundesregierung habe beim Thema Klimaschutz weitreichende
       Entscheidungen getroffen, so der Sprecher. Es gebe Hinweise, dass die
       Klimaziele 2030 erreicht werden könnten. Bundeskanzler Scholz werde seine
       Politik für den Klimaschutz fortsetzen, nicht aber konkreten einzelnen
       Forderungen folgen, „werden sie auch noch so nachdrücklich an ihn
       herangetragen“, betonte Hebestreit.
       
       „Das liest sich zwischen den Zeilen so, als würde er mich sterben lassen“,
       sagt Metzeler-Kick. Dass Deutschland die Klimaziele 2030 erreichen könnte,
       glaubt er nicht: „Ich bin sauer aufgrund dieser dreisten Lüge.“ Der
       Sachverständigenrat für Umweltfragen habe vorgerechnet, dass die Emissionen
       für das Einhalten des 1,5 Grad Ziels aufgebraucht sind. Trotz der
       vorläufigen Absage zur geforderten Regierungserklärung bleibt Metzeler-Kick
       bei seinem Weg: „Wenn ich den zu Ende gehen muss, dann mache ich das!“
       
       15 Apr 2024
       
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