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       # taz.de -- Bericht des Polizeibeauftragten: Von Fehlerkultur keine Spur
       
       > Der Polizeibeauftragte Alexander Oerke legt seinen Bericht für das
       > vergangene Jahr vor. Darin spart er nicht mit Kritik an Polizei und
       > Innenverwaltung.
       
   IMG Bild: Polizeieinsatz bei einer Demo in Berlin-Kreuzberg im März 2024: 125 Beschwerden hat der Polizeibeauftragte 2023 bearbeitet
       
       Berlin taz | Es ist mitten in der Nacht, als die Bewohnerin eines
       Mehrfamilienhauses die Berliner Feuerwehr ruft. Denn in einer benachbarten
       Wohnung, die vermutlich leer steht, piepst der Rauchmelder. Wenig später
       klingelt es bei ihr an der Tür, sie öffnet – und blickt in den Lauf einer
       Pistole. Zugleich blendet sie eine Taschenlampe, jemand brüllt „Polizei!“,
       und dass sie ihren Ausweis zeigen soll.
       
       Völlig perplex schickt die Bewohnerin die Polizisten zwei Etagen tiefer zur
       Wohnung, in der der Feuermelder Alarm schlägt. Eigentlich hatte sie das
       richtige Stockwerk schon am Telefon mitgeteilt. Später beschwert sie sich
       beim [1][Berliner Bürger- und Polizeibeauftragten Alexander Oerke] über das
       Handeln der Beamt*innen in jener Nacht. Und so findet sich ihre
       Geschichte neben anderen im [2][Jahresbericht von Oerke, der vor Kurzem
       veröffentlicht wurde].
       
       2022 gewählt, soll Oerke ein offenes Ohr für die Bürger*innen haben:
       Sein Amt ist für alle Beschwerden zuständig, die sich gegen die Polizei
       oder andere unter der Aufsicht des Landes stehende Behörden richten. Einmal
       im Jahr verfasst er einen Bericht über seine Tätigkeiten.
       
       Im vergangenen Jahr haben der Beauftragte und sein Team laut dem aktuellen
       Bericht insgesamt 429 Fälle abgeschlossen. Darunter waren 255 Beschwerden
       an ihn als Bürgerbeauftragten – also etwa bei schlechten Erfahrungen auf
       dem Amt – und 125 Beschwerden an ihn in der Funktion als
       Polizeibeauftragter. Zudem wurden 21 sogenannte Eingaben von
       Polizist*innen bearbeitet. Denn auch für innerpolizeiliche Beschwerden,
       etwa über den Arbeitsschutz, ist der Beauftragte zuständig.
       
       ## Kritik an „Fehlerkultur“ bei der Polizei
       
       Nicht immer klappt es, die Beschwerden fertig zu bearbeiten: Im Schnitt ist
       ungefähr jeder sechste Fall, der 2023 auf dem Tisch des Polizeibeauftragten
       landete, noch offen. Zudem sind 14 Sachverhalte „nicht zu klären“.
       
       Anders sieht es bei den Fällen aus, bei denen es nicht um die Polizei geht:
       Hier sind nur 3 Fälle offen geblieben – gut 1 Prozent – und 7 ungeklärt,
       etwa 3 Prozent. Angesichts dieser Zahlen kritisiert Oerke, die Arbeit mit
       der Polizei gestalte sich „deutlich schwieriger und langwieriger“ als mit
       den anderen Behörden und Einrichtungen des Landes.
       
       Dabei bemängelt der Polizeibeauftragte vor allem die „Fehlerkultur“ in der
       Behörde: „Manche Antworten waren erkennbar von dem Bemühen getragen, keine
       Fehler zugeben zu wollen.“ Die Aufklärung von Fehlverhalten laufe
       schleppend, es dauere oft mindestens vier Wochen, bis er Antworten erhalte,
       manchmal seien „unglaubhafte Aussagen von Dienstkräften nicht hinterfragt“
       worden.
       
       Oerke zeigt sich enttäuscht: Er habe stets um Verständnis geworben, dass
       bei der Polizei mit ihren 27.000 Beschäftigten Fehler vorkommen können.
       Wenn dann aber versucht werde, Fehlverhalten „schönzuschreiben“ oder um
       jeden Preis zu rechtfertigen, werde „enttäuschtes Vertrauen in die Berliner
       Polizei vertieft, anstatt es wiederherzustellen“, so der Beauftragte.
       
       ## Deutliche Worte in Richtung Spranger
       
       Auch an die Innenverwaltung von Senatorin Iris Spranger (SPD) und die
       Staatsanwaltschaft richtet Oerke deutliche Worte. Denn sobald ein Fall, den
       er untersuchen möchte, auch Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens ist,
       bekommt er – [3][anders als etwa der Bundespolizeibeauftragte] – keine
       Einsicht in die Akten. „Diese Beschränkung des Auskunfts- und
       Einsichtsrechts des Polizeibeauftragten geht zu weit“, beklagt er in dem
       Bericht.
       
       Es ist ein fataler Mechanismus, denn oft werden die Ermittlungen erst
       eingeleitet, wenn sich jemand beschwert. Und [4][schon hat Oerke kein
       Einsichtsrecht mehr]. „Angesichts dessen haben Beschwerdeführende schon die
       Frage gestellt, warum sie sich an den Polizeibeauftragten wenden sollten“,
       berichtet Oerke.
       
       Vasili Franco, Innenexperte der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus,
       forderte am Mittwoch mehr Kompetenzen für den Polizeibeauftragten, um in
       laufenden Verfahren eine Schlichtung zu ermöglichen: „Es ist schwer,
       Vertrauen aufzubauen, wenn Verfahren erst nach mehreren Jahren ernsthaft
       bearbeitet werden können“, so Franco.
       
       In Richtung der CDU, die 2022 als einzige Fraktion gegen den
       Polizeibeauftragten gestimmt hatte, sagte Franco, der immer wieder erhobene
       Vorwurf des Generalverdachts sei „fernab jeder Realität“ und erweise sich
       erneut als „populistische Stimmungsmache“. „Mit jeder erfolgreichen
       Schlichtung wird das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen ein
       kleines Stück gestärkt“, betonte der Grünen-Abgeordnete.
       
       ## Ein Gruselkabinett von Fehlverhalten
       
       Die Fälle, die Alexander Oerke und sein Team in dem Bericht beschreiben,
       tragen aber nicht gerade zur Vertrauensbildung bei. Neben der Geschichte
       der Mieterin, die in den Pistolenlauf blicken musste, sind dort viele
       weitere teils verstörende Vorfälle aufgeführt: darunter ein Fall, in dem
       die Polizei einem mutmaßlichen Täter häuslicher Gewalt die neue Adresse
       seiner Ex-Partnerin preisgab.
       
       Darüber hinaus prangert der Polizeibeauftragte den Umgang mit psychisch
       erkrankten Personen an und bezieht sich unter anderem auf den [5][Fall von
       Medard Mutombo], der nach einem Polizeieinsatz gestorben war. Oerke hatte
       die Umstände [6][im vergangenen Jahr gesondert untersucht].
       
       Die Grünen haben angekündigt, Oerke demnächst in den Innenausschuss
       einzuladen. Später wird er den Bericht dann offiziell im Plenum des
       Abgeordnetenhauses vorstellen.
       
       11 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Unabhaengiger-Polizeibeauftragter-ueber-Berlin/!5870297
   DIR [2] https://www.parlament-berlin.de/ados/19/IIIPlen/vorgang/d19-1576.pdf
   DIR [3] /Neuer-Bundespolizeibeauftragter-Groetsch/!5995085
   DIR [4] /Polizeibeauftragter-Berlin/!5930571
   DIR [5] /Tod-von-Medard-Mutombo/!6000342
   DIR [6] /Ungeklaerter-Polizeieinsatz/!5967716
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Fleckenstein
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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