URI: 
       # taz.de -- Abstimmung in Brüssel: EU-Parlament stimmt für Asylreform
       
       > Lange war in der EU über die Reform gestritten worden. Jetzt sollen
       > schnellere Asylverfahren an den Außengrenzen kommen. Und ein
       > Solidaritätsmechanismus.
       
   IMG Bild: Jahrelang wurde über das europäische Asylrecht gestritten
       
       Brüssel taz | Der Weg zu einer [1][massiven Verschärfung des europäischen
       Asylrechts] ist frei. Das Europaparlament stimmte am Mittwoch Nachmittag in
       Brüssel für alle zehn Gesetzesvorschläge der so genannten GEAS-Reform. Sie
       soll die „irreguläre“ Migration in die EU begrenzen und dafür sorgen, dass
       Asylbewerber künftig schon an den Außengrenzen geprüft und abgeschoben
       werden können. Über die Reform war jahrelang heftig gestritten worden.
       Einigen EU-Staaten ging sie zu weit, anderen dagegen nicht weit genug. Auch
       Deutschland war zunächst dagegen. Doch im vergangenen Jahr lenkten
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena
       Baerbock (Grüne) ein. „Es ist an Europa, jetzt Handlungsfähigkeit zu
       beweisen“, forderte Baerbock kurz vor dem Votum.
       
       Die meisten Europaabgeordneten der deutschen Grünen haben am Mittwoch
       dennoch mit Nein gestimmt; nur zwei Gesetzestexte haben sie mitgetragen.
       [2][Ihr migrationspolitischer Sprecher Eric Marquardt] begründete die
       Ablehnung mit der Einschätzung, dass die Reform „nicht zu weniger
       Asylanträgen, sondern zu Chaos, Leid und mehr Sekundärmigration in Ländern
       wie Deutschland führen“ werde. Ähnlich argumentiert die Linke. Sie lehnt
       den „Migrations- und Asylpakt“ – so der offizielle Name – komplett ab.
       [3][Das Asylrecht werde beerdigt], kritisierten Cornelia Ernst und andere
       deutsche Linken-Abgeordnete, die in einer symbolischen Aktion vor dem
       Parlament einen Kranz niederlegten. Später kam es auch im Parlament zu
       Protesten. So riefen Aktivisten: „This pact kills – vote no.“
       
       Letztlich hat sich aber die europafreundliche große Koalition aus
       Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen durchgesetzt, die in Brüssel
       den Ton angibt. Ihr Argument: Dies sei die letzte Chance für eine Reform
       vor der Europawahl im Juni – und ein wichtiges Signal an die Wähler, dass
       die EU die Sorgen der Bürger verstanden habe und die Probleme in der
       Migrationspolitik löse. Allerdings wird die Reform erst in zwei Jahren in
       Kraft treten. Aktuelle Situationen kann sie daher nicht lösen. Auch den
       befürchteten Rechtsruck bei der Europawahl im Juni dürfte sie kaum stoppen.
       Vielmehr rückt die EU mit der Verschärfung des Asylrechts selbst nach
       rechts. Das bisher liberale Asylsystem wird repressiver, soziale und
       solidarische Elemente treten dahinter zurück.
       
       Im [4][Zentrum der Reform stehen die sogenannten Grenzverfahren] an den
       EU-Außengrenzen. Migranten sollen künftig in Grenznähe festgehalten und von
       dort aus direkt abgeschoben werden können. Juristisch werden sie „als nicht
       in die EU eingereist“ betrachtet. Die Mitgliedsländer wollen zunächst
       30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000
       sein.
       
       ## Familien mit Kindern sollen als letztes in die Lager kommen
       
       Anders als von der Bundesregierung gefordert, werden auch Familien mit
       Kindern durch diese Grenzverfahren gehen müssen. Das EU-Parlament konnte
       aber immerhin durchsetzen, dass Familien mit Kindern als letzte in die
       neuen Flüchtlingslager kommen. Ihre Asylanträge sollen als erste bearbeitet
       werden, und sie sollen „geeignete Aufnahmebedingungen“ vorfinden.
       
       Eine weitere Verschärfung bringt die sogenannte Krisenverordnung. Wenn
       besonders viele Menschen in die EU kommen, können ihre Rechte weiter
       eingeschränkt werden. Sie können dann sogar 18 statt normalerweise maximal
       zwölf Wochen festgehalten werden. Wenn die EU meint, dass die Migranten
       „instrumentalisiert“ werden – etwa von der Türkei oder Russland – müssen
       sie sofort ins Lager. Immerhin soll es Rechtsbeihilfe und
       Einspruchsmöglichkeiten geben. Die EU plant auch einen
       Solidaritätsmechanismus. Damit will sie jährlich mindestens 30.000
       Migranten aus Italien oder Griechenland auf alle Staaten umverteilen. Wer
       keine Menschen aufnehmen will, kann sich mit einer „Kopfprämie“ von 20.000
       Euro freikaufen. Ungarn und Polen lehnen jedoch sogar das ab.
       
       Das Reformpaket muss nun noch von den 27 EU-Staaten bestätigt werden. Dies
       gilt jedoch lediglich als Formsache. Die Reform könnte also noch
       rechtzeitig vor der Europawahl verabschiedet werden. Bundeskanzler Olaf
       Scholz (SPD) sprach am Abend von einem „historischen, unverzichtbaren
       Schritt“.
       
       10 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Europaeische-Asylrechtsreform-Geas/!6003865
   DIR [2] /Parteitag-der-Gruenen/!5974792
   DIR [3] /Asylrecht-in-der-Europaeischen-Union/!5979217
   DIR [4] /Fluechtlingspolitik-in-der-EU/!5976095
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
       ## TAGS
       
   DIR Migration
   DIR Asyl
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR Europaparlament
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR GNS
   DIR Asylverfahren
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR Schweden
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Moria
   DIR Flüchtlinge
   DIR Migration
   DIR EU-Flüchtlingspolitik
   DIR Flüchtlinge
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Asyldebatte in Deutschland: Absurd teure Scheinlösungen
       
       Die Politik sucht mit den anvisierten Asylverfahren in Drittstaaten eine
       Wunderwaffe gegen die AfD-Erfolge. Sogar mit neokolonialem Verhalten.
       
   DIR EU-Paket zur Asylpolitik: Reform für mehr Abschreckung
       
       Jahrelang rang die EU um eine neue Asylpolitik. Menschenrechtler rechnen
       mit mehr illegalen Pushbacks und einem kruden Geflecht an Sonderregeln.
       
   DIR Geflüchtete auf Lesbos: Mahnmal im Mittelmeer
       
       Auf der griechischen Insel Lesbos blickt man ratlos auf den beschlossenen
       europäischen Asylpakt. Derweil wird ein Friedhof zum Symbol für
       Menschlichkeit.
       
   DIR Eurobarometer-Umfrage vor Europawahl: Die EU ist von gestern? Von wegen!
       
       Das Interesse an der Europawahl ist groß, ergibt eine Umfrage. Von
       Vorfreude kann aber keine Rede sein, denn die Gründe dafür sind nicht
       erheiternd.
       
   DIR Erklärung ohne Schweden und Österreich: Bekenntnis zu sozialem Europa
       
       Vor dem Gipfel zeigt sich die EU an überraschender Stelle gespalten: Zwei
       Länder fehlen bei der Unterstützung für die soziale Säule.
       
   DIR Ex-Sozialdemokrat Jan Emanuel: Schweden zuerst
       
       Der schwedische Unternehmer Jan Emanuel will mit seiner neu gegründeten
       rechten „Folklistan“ ins Europaparlament. Eine Forderung: das Asylrecht
       abschaffen.
       
   DIR EU-Parlament stimmt über Asylreform ab: Langsamer rein, schneller raus
       
       Das EU-Parlament stimmt am Mittwoch über Asylverfahren schon an den
       Außengrenzen und schnellere Abschiebungen ab. Menschenrechtler:innen
       stöhnen.
       
   DIR Migrations- und Asylpolitik der EU: Freiheitsentzug als Programm
       
       2020 brannte das griechische Flüchtlingslager Moria ab. Die EU versprach
       einen Neustart und ließ neue Camps bauen. Wie leben die Ankommenden dort?
       
   DIR Flucht nach Europa: Seehofers langer Schatten über Europa
       
       In der EU ankommende Asylsuchende sollen in Lagern landen und als „nicht
       eingereist“ gelten. Europas rechte Flüchtlingspolitik wird zum Mainstream.
       
   DIR Migration in die EU: Das toxischste Thema
       
       Laut einem Bericht deutscher Diplomaten lehnen vor allem die
       Mitgliedstaaten an den Außengrenzen die Vorschläge der EU-Kommission ab.
       
   DIR Reaktionen auf „Asylpakt“ der EU: Europa ohne Solidarität
       
       Die Visegrád-Gruppe hält nichts vom neuen „Asyl- und Migrationspakt“ der
       EU-Kommission. Für Ursula von der Leyen ist das ein herber Rückschlag.
       
   DIR Migrationsexperte zum EU-Asylpakt: „Leider nichts Neues“
       
       Mit Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen, wie es jetzt geplant ist,
       könne sich das Desaster von Moria wiederholen, sagt der Migrationsexperte
       Manos Moschopoulos.