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       # taz.de -- Sexy Scherenschnitte: Lustvolle Überblendung der Blicke
       
       > Die Frankfurter Künstlerin Sonja Yakovleva macht Scherenschnitte der
       > besonderen Art. Jetzt liegen die Bilder auch in Buchform vor.
       
   IMG Bild: Ausgesprochen explizit geht es auf Sonja Yakovlevas Scherenschnitten zu: „Festival de Cannes“ (2020)
       
       Im Sommer 2009 schaltete Bobbi Davis, Besitzerin der „Shady Lady Ranch“ in
       Nevada, im lokalen Newsblättchen eine eher rare Stellenanzeige: Gesucht
       waren ein bis zwei Männer, „gut in Form, Mitte 30 bis 50“, zur Arbeit in
       ihrem Bordell für Frauen. Das Geschäftsmodell hatte auch im vergleichsweise
       liberalen Nevada seine Schwierigkeiten, die Shady Lady Ranch schloss wenige
       Jahre später.
       
       Ob es an mangelnder Nachfrage lag, an ungeeigneten Bewerbern oder auch an
       den erschwerenden Gesetzen des Bundesstaates, der mit seinen Regularien für
       Prostitution wie der Anordnung regelmäßiger Gebärmuttelhalsuntersuchungen
       („es ist ziemlich schwierig, das mit einem Mann zu tun,“ wie Davis trocken
       anmerkte) [1][käuflichen Sex] ganz ausschließlich einem Geschlecht zuwies,
       ist nicht überliefert.
       
       Fest steht, es bleiben solch geradezu anekdotisch vereinzelte Beispiele, in
       denen die Verhältnisse, wer kauft und wer käuflich ist, derart auf den Kopf
       gestellt werden. Inwieweit dies mit einem generellerem Schauen und
       Beurteilen vs. Angeschaut- und Beurteiltwerden korreliert, das lässt sich
       eindrücklich bei Sonja Yakovleva nachvollziehen.
       
       Auf den Scherenschnitten der Frankfurter Künstlerin, die ihre Arbeiten
       gerade im Buch „Soaplands“ veröffentlicht hat, geht es ausgesprochen
       explizit zu: pornoästhetikgeschulte Blicke auf Männer- und Frauenkörper,
       beim Einräumen der Waschmaschine oder dem selbstgewissen Blick in den
       Spiegel; in akrobatischer Selbstbefriedigung, zu zweit, Gangbang, entblößt,
       gestählt, trainierend, posierend; ein Überschuss an Sexyness an der
       hauchdünnen Grenze zur Lächerlichkeit (oder zum großen Spaß).
       
       Zur Groteske verdichtet 
       
       Das Betrachten der Bilder, die man in dieser Dichte und Wiederholung erst
       mal aushalten muss, führt rasch zur künstlerischen Strategie: Ist das hier
       überhaupt eine motivische Übertreibung – oder reproduziert Yakovleva bloß,
       vervielfacht und verdichtet zur Groteske, was eh überall schon vorhanden
       ist?
       
       Im Scherenschnitt entwickeln ihre real teils wandgroßen Panoramen eine
       Prägnanz, der man sich nicht entziehen kann. Und doch sind die keineswegs
       nur hart und unbarmherzig, treten Menschen und Szenarien in Yakovlevas
       wellenförmig dahinrauschenden Cuts lustvoll (das eh), manchmal geradewegs
       sanft in den Blick. Der female gaze auf einen expliziten „male gaze“ führt
       zu schönen Verstrickungen, die sich nicht auflösen werden. Yakovleva ist
       nämlich nicht allein kritische Beobachterin, sondern selbst Voyeurin.
       
       Eine gute Entscheidung daher, ihren Bildern neben klugen Textbeiträgen von
       so unterschiedlichen Autor:innen wie [2][Oliver Koerner von Gustorf]
       oder Sabrina Günther auch die eigenen Kommentierungen zur Seite zu stellen,
       die Yakovleva auch auf ihrem Instagram-Kanal in einem Art fortlaufenden
       stream of commentary veröffentlicht. All die ambivalenten Gefühle
       beispielsweise zum Thema männliche Prostitution oder Freudenhäuser für die
       Frau werden hier erbarmungslos subjektiv durchdekliniert.
       
       Neben dem Sujet ist es natürlich auch das Medium selbst, das eine Art von
       Selbstermächtigung mit sich bringt – und wenn es nur darum geht, den
       Maler-Egos in der Kunstakademie seinerzeit ziemlich auf die Nerven gefallen
       zu sein mit dem kunsthandwerklich vermeintlich rangniedrigeren,
       wahnsinnig penetranten, wahnsinnig verführerischen Scherenschnitt.
       
       21 Apr 2024
       
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