URI: 
       # taz.de -- Großprozess gegen Reichsbürger: Tag X für die Prinzengarde
       
       > Der Prozess gegen ein Reichsbürgernetzwerk hat begonnen. Die mutmaßlichen
       > Terroristen sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben.
       
   IMG Bild: Einer der neun Angeklagten: Sie sollen den militärischen Arm der terroristischen Reichsbürger gebildet haben
       
       Stuttgart-Stammheim taz | Entgegen den Aufrufen in den einschlägigen
       Social-Media-Kanälen haben die Unterstützer der mutmaßlich terroristischen
       Reichsbürger am Montag keine Demonstration organisiert. Es scheinen vor
       allem Freunde und Verwandte der Angeklagten gekommen zu sein. Sie stehen
       seit dem frühen Morgen an, um in den Hochsicherheitsgerichtsbau zu kommen.
       Alle, auch die Presse, mussten sich einer intensiven Sicherheitskontrolle
       unterziehen. Handys, Gürtel und Uhren dürfen nicht mit in den Saal.
       
       Um 10.20 Uhr beginnt dann der eigentliche Prozess mit eineinhalb Stunden
       Verspätung. Über 600 Seiten Anklageschrift hat die Bundesanwaltschaft im
       Ganzen zusammengetragen. Die beiden Bundesanwälte verlesen nur [1][die
       wesentlichen Vorwürfe]. Die neun Angeklagten sind durch Panzerglasscheiben
       von ihren Verteidigern getrennt, sie können sich nur über eine Sprechanlage
       miteinander verständigen. Manche winken ins Publikum, andere verstecken
       ihre Gesichter vor den zahlreichen Fotografen.
       
       Diese neun teils kernigen Männer sollen den militärischen Arm der
       terroristischen Reichsbürger um Heinrich XIII. Prinz Reuß gebildet haben.
       [2][Der Führungsriege um Prinz Reuß], die einen gewaltsamen Umsturz in
       Deutschland geplant haben soll, wird ab Mitte Mai in Frankfurt der Prozess
       gemacht, ebenso der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richterin
       Birgit Malsack-Winkemann.
       
       Bis dahin kann der Stuttgarter Prozess Erkenntnisse über Struktur und
       Gefährlichkeit der mutmaßlichen rechtsextremen Umstürzler zutage fördern.
       Unter den Angeklagten sind ehemalige wie aktive Soldaten, darunter
       Mitglieder der Eliteeinheit KSK. Andreas M. zum Beispiel, der für den Tag X
       ausgekundschaftet haben soll. Mit seinem Ausweis als KSK-Mitglied hatte er
       ungehinderten Zugang.
       
       ## Vorbereitungen für den Tag X
       
       Da ist ein IT-Fachmann der Gruppe, Wolfram Bernd S., der nach den Vorwürfen
       der Anklage die Mitglieder mit abgeschirmten Laptops ausgestattet haben
       soll. Er tritt als Einziger im blauen Sakko vor Gericht auf und wird von
       einem rechten Szene-Anwalt vertreten. Dann ist da noch Alexander Q., der
       den [3][Telegram-Kanal] „Frag uns doch – das Original“ mit über 130.000
       Followern betrieben hat und laut Anklage ab 2022 seine Posts mit der
       Reichsbürger-Führung abgestimmt haben soll.
       
       Und da ist Marco van H., der laut Anklage den engsten Zugang zur
       reichsbürgerlichen Führungsgruppe gehabt haben soll. Der ehemalige
       Elitesoldat aus Pforzheim hat nach Lage der Dinge die Führungsriege um den
       Prinzen mit den gewünschten Verschwörungsmythen versorgt. Er behauptete, in
       jenen Tunneln gekämpft zu haben, in denen nach dem Verschwörungswahn der
       Reichsbürger pädophile Eliten Kinder gefangen halten, um sich mit ihrem
       Blut jung zu halten. Er dient sich Reuß auch als Verbindungsmann zur
       „Allianz“ an, jener dunklen Macht aus internationalen Regierungen und
       Geheimdiensten, die nach Vorstellung der Reichsbürger [4][am Tag X] auf
       ihrer Seite kämpfen würden. Van H. gilt als eine der zentralen Figuren
       unterhalb der Führungsebene.
       
       Für diesen Tag X sollen die Männer ganz konkrete Vorbereitungen getroffen
       haben: mit Truppen und Waffenlagern im ganzen Bundesgebiet. An vielen
       Stellen im Land hatte es bereits Rekrutierungstreffen geben.
       Veteranennetzwerke auf Telegram bildeten den Pool für die Unterstützer. Am
       weitesten war offenbar die „Heimatschutzkompanie 221“, die in Freudenstadt
       und Tübingen ihren Sitz hatte. Ihr Chef war Ralf Helmut S.. Die Truppe sei
       bereits handlungsfähig gewesen und habe eine ehemalige Kaserne als mögliche
       Schaltzentrale ausgekundschaftet.
       
       ## Verschwiegenheitserklärung mit Todesstrafe
       
       Zur gleichen Zeit hatten zwei der Stuttgarter Angeklagten auf Anweisung von
       Marco van H. eine Verschwiegenheitserklärung entworfen. Eine Art
       Mitgliedsantrag, anhand derer die Ermittler später feststellen konnten, wer
       zum aktiven Teil der Gruppe gehörte. Verstöße gegen die Erklärung wurden
       als Verrat gewertet, der mit der Todesstrafe bestraft werden sollte. Das
       Urteil sollte Prinz Reuß fällen, ausgeführt werden sollte es von einem
       „Militärgericht“. 130 Menschen sollen die potenziell tödliche Erklärung
       unterzeichnet haben.
       
       All das soll Marco van H., als Verantwortlicher für den militärischen Arm,
       vorangetrieben haben. Ein drahtiger mittelblonder Mann, der am ersten
       Prozesstag im hellen Shirt auftritt und immer auf der Stuhlkante zu sitzen
       scheint. In der ersten Publikumsreihe sitzt seine Familie und winkt ihm zu.
       Marco van H. will sich vor Gericht nicht äußern, erklärt er.
       
       Die Truppe um den Prinzen ist in der Vergangenheit als „Prinzengarde“ oder
       „Rollatorgruppe“ verharmlost worden. Der Prozess gegen den militärischen
       Arm, wie es die Anklage nennt, macht klar: Hier wurde nicht gespielt oder
       Trommelwirbel erzeugt. Es wurden Feindeslisten angefertigt. Mit Politikern
       bis auf die kommunale Ebene, die am Tag X beseitigt oder zumindest
       unschädlich gemacht werden sollten.
       
       ## Talent für scharfe Waffen
       
       Dass es in den Heimatschutztruppen durchaus zu allem entschlossene Männer
       gab, will die Anklage am Fall von Markus Peter L. klarmachen, der in
       Stuttgart zuerst verhandelt werden soll. L. ist ein unscheinbarer Mann Ende
       40. Mit militärfarbenem T-Shirt sitzt er auf der Anklagebank. Er wurde von
       zwei seiner Mitangeklagten als Mitglied der Heimatschutztruppe angeworben.
       Der Sportschütze hatte ein besonderes Talent, Waffenattrappen mit gekauften
       Komponenten so umzubauen, dass sie scharf wurden. Auch L. hatte die
       Verschwiegenheitserklärung unterschrieben.
       
       So waren die Ermittler nach der Razzia gegen die Führungsriege um Prinz
       Reuß auch auf ihn gestoßen. L. besaß die Erlaubnis, bestimmte Waffen zu
       führen, und hatte eine Sprengstofferlaubnis. Deshalb rückte die Polizei zur
       Durchsuchung seiner Wohnung im März 2023 mit einem Spezialkommando an und
       stürmte seine Dachwohnung. L. eröffnete damals das Feuer auf Polizeibeamte,
       die seine Wohnung durchsuchen wollten. Die Schüsse mit einer
       halbautomatischen Waffe verletzten zwei Beamte. In der Wohnung stellten die
       Beamten ein Waffenarsenal aus umgebauten Sturmgewehren, Pumpguns,
       Smith-and-Wesson-Revolvern und mehreren Kilogramm Sprengstoff sicher.
       
       Hier in Stammheim hat man jahrzehntelange Erfahrung mit Terrorismus. 1977
       wurde gleich nebenan in einem inzwischen abgerissenen Gerichtsaal die erste
       Generation der [5][Rote Armee Fraktion], Andreas Baader, Gudrun Ensslin und
       Jan-Carl Raspe, verurteilt. Dass Staatsfeinde heute verstärkt von rechts
       kommen, weiß die Justiz aus eigener Erfahrung. Im vergangenen Jahr wurden
       an gleicher Stelle zehn Mitglieder der sogenannten Gruppe S. zu teils
       langjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten ähnlich wie die Gruppe Reuß
       Angriffe auf Moscheen und Politiker geplant.
       
       Es drohen harte Urteile 
       
       Auch der Reichsbürger vom Boxberg, Ingo K., der auf Polizeibeamte bei einer
       Durchsuchung das Feuer eröffnet hatte, ist hier wegen versuchten Mordes zu
       einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Harte
       Urteile, die auch den Angeklagten im jetzigen Prozess drohen, denn immerhin
       sind die Beweise für konkrete Umsturzpläne bis hin zu
       Kundschafter-Expeditionen in den Bundestag aktenkundig.
       
       Dass ihren Mandanten hohe Haftstrafen drohen, das ist den 21 Verteidigern
       natürlich klar. Und so stellen sie gleich zu Prozessbeginn Anträge, die die
       Besetzung und Zuständigkeit der Stuttgarter Staatsschutzkammer rügen
       sollen. Sie verlangen, die drei Prozesse in Frankfurt, München und
       Stuttgart, die an verschiedenen Orten die gleichen Vergehen verhandeln,
       zusammenzulegen. Dass die Anwälte, die ja pro Sitzungstag bezahlt werden,
       an einer Verlängerung des Verfahrens ein Interesse haben könnten, könne
       er verstehen, entgegnet Bundesanwalt Klein süffisant.
       
       Für die Angeklagten, die alle in Untersuchungshaft sitzen, seien kürzere
       parallele Verfahren die bessere Wahl. Der vorsitzende Richter Joachim
       Holzhausen arbeitet die Anträge geschäftsmäßig ab und lässt keinen Zweifel,
       dass er den Prozess zügig führen will.
       
       Immerhin. Zwei Angeklagte geben am ersten Prozesstag zu erkennen, dass sie
       sich im Lauf des Verfahrens zu den Vorwürfen äußern wollen. Einer davon ist
       der Chef der Heimatschutztruppe Freudenstadt. Und Wolfram Bernd S., der
       IT-Experte. Das könnte wertvolle erste Erkenntnisse vor dem Prozessauftakt
       in Frankfurt liefern. Aber allein in Stuttgart wird man noch lange
       verhandeln. Das Gericht hat bereits über 40 Termine bis weit ins nächste
       Jahr bekannt gegeben.
       
       29 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Reichsbuerger-Putsch/!6004794
   DIR [2] /Razzia-bei-Reichsbuergern/!5901865
   DIR [3] /Nach-Razzien-bei-Reichsbuergern/!5971588
   DIR [4] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/301136/nicht-mehr-warten-auf-den-tag-x/
   DIR [5] /Podcast-Bundestalk/!5998378
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Reichsbürger
   DIR Prozessauftakt
   DIR Rechtsextremismus
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Reichsbürger
   DIR Rechtsterrorismus
   DIR Reichsbürger
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Reichsbürger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Frankfurter Prozess gegen Gruppe Reuß: Reichsbürger ohne Reue
       
       Im Terrorprozess gegen die Gruppe um Prinz Reuß in Frankfurt will die
       Verteidigung Freisprüche erreichen – ist aber schon jetzt teils
       zerstritten.
       
   DIR Prozess gegen Reichsbürger beginnt: Von wegen Rollator-Gang
       
       Der innere Zirkel der Gruppe Reuß steht seit Dienstag in Frankfurt a. M.
       vor Gericht. Ihre Umsturzpläne waren fortgeschritten und auf Gewalt
       ausgerichtet.
       
   DIR Reichsbürger-Putsch: Wirr und gefährlich
       
       Eine Gruppe Reichsbürger um Heinrich Prinz Reuß soll Umsturzpläne
       vorbereitet haben. Nun beginnt gegen die Beschuldigten das Terrorverfahren.
       
   DIR Reichsbürgerprozess in Stuttgart: Der Computer-Nerd des Prinzen
       
       Am zweiten Tag im Stuttgarter Reichsbürgerprozess sagt Wolfram S. aus. Er
       will von den Absichten der Truppe nichts gewusst haben. Ist das
       glaubwürdig?
       
   DIR Rechte Esoterik auf dem Land: Reichsbürger sucht Dorf
       
       In der rheinland-pfälzischen Provinz entstehen immer mehr Treffpunkte
       rechter Selbstverwalter*innen. Nicht alle Gemeinden können damit umgehen.
       
   DIR Razzia bei Reichsbürgern: Die Putschpläne des Prinzen
       
       Rechtsextremen werden Umsturzpläne vorgeworfen. An ihrer Spitze: Ein
       abgedrifteter Adliger.