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       # taz.de -- Deutsch-israelische Kunst-Kooperation: Verbindende Schichten
       
       > Hamburgs Kunsthochschule kooperiert mit der Uni Haifa. Das hat zu tun mit
       > Antisemitismus-Vorwürfen. Erstes Ergebnis: eine Druckgrafik-Ausstellung.
       
   IMG Bild: Vor der Ausstellung: Druckgrafik-Workshop von Birgit Brandis (2. v. l.) und Sharon Poliakine (M.) mit Hamburger Studierenden
       
       Von Trauer und Freude war die Rede am vergangenen Mittwochabend: Da war an
       der [1][Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK)] eine Ausstellung
       zu eröffnen, eigentlich nichts Besonderes an so einem Ort. Es sprach aber
       Sonja Lahnstein-Kandel, unter anderem Ehefrau des einstigen Bundesministers
       der Finanzen sowie für Wirtschaft, ehemaligen Bertelsmann-Managers und
       langjährigen Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG),
       Manfred Lahnstein; der saß auch im Publikum.
       
       Lahnstein-Kandel, studierte Ökonomin, ist Vorsitzende des [2][Deutschen
       Fördererkreises der Universität im israelischen Haifa] und Mitglied von
       deren Aufsichtsrat; ferner geschäftsführende Vorsitzende des [3][Vereins
       zur Förderung des Israel-Museums]. Dass so eine Mehrfachfunktionärin der
       deutsch-israelischen Verständigung nun ausgerechnet an der HFBK auftritt,
       wäre in der jüngsten Vergangenheit ohne jeden weiteren Kontext eine
       Nachricht gewesen. Immerhin hatte sich die Hochschule überregional den Ruf
       einer Antisemitismusschmiede eingehandelt, eines hot beds des Hasses auf
       Israel.
       
       Nachdem nämlich die jüngste Ausgabe der [4][Kasseler Weltkunstschau
       Documenta] im Antisemitismusskandal versunken war, waren zwei Mitglieder
       des als höchst problematisch wahrgenommenen Kurator*innen-Kollektivs
       Ruangrupa in Hamburg [5][als Gastdozenten präsentiert] worden.
       
       Dass solche Arrangements – unter Beteiligung des [6][Deutschen Akademischen
       Auslandsdienstes] – langen Vorlauf mit sich bringen, der Job also gerade
       keine Belohnung war für zwei prominente des Judenhasses Verdächtige: Das
       kam damals unter viele Wahrnehmungs-Räder. In vielen Köpfen war das Urteil
       rasch gesprochen und Hamburgs Kunsthochschule reihte sich ein in den
       historisch teils sensationell schlecht informierten BDS-nahen Aktivismus,
       wie er sich vielerorts gerade an höheren Bildungseinrichtungen zeigt.
       
       ## Tun hilft aus der Schockstarre
       
       Auch Lahnstein-Kandel erzählte jetzt, sie habe die Kuratoren-Personalie im
       Herbst 2022 empörend gefunden. Mit dem Direktor so einer Institution hätte
       sie damals nicht sprechen mögen, warum auch? Wer will, mag Symbolträchtiges
       daran erkennen: Es war ausgerechnet eine Theaterpremiere, an deren Rand
       sich Lahnstein-Kandel und HFBK-Präsident Martin Köttering begegneten.
       
       Im Ruangrupa-Zusammenhang hatte Köttering immer die Wichtigkeit offen
       bleibender Kanäle unterstrichen, einer Möglichkeit, sich trotz aller
       Differenz doch bitte noch miteinander zu verständigen; insofern
       konsequent, dass er, eben, ein Gesprächsangebot nun an Lahnstein-Kandel
       herantrug – und sie sich darauf einließ. Und auch wenn sie heute nicht in
       allem derselben Meinung seien, so Lahnstein-Kandel: Eine Verständigung
       gelang offenbar.
       
       Das Beste in so einer Lage, führte Lahnstein-Kandel nun aus, sei doch,
       etwas zu tun – und in bemerkenswert kurzer Zeit kam es zu einer Kooperation
       von HFBK und der Universität Haifa. Diese ist den Beteiligten zufolge
       selbst eine Art utopischer Versuch, nämlich eines Zusammenlebens und
       -arbeitens, das es gar nicht geben dürfte, wenn man den Nachrichten aus der
       Region glaubt: „Der Campus der Universität Haifa“, so Lahnstein-Kandel,
       „ist der größte Treffpunkt von Juden, Muslimen und Christen auf der Welt.“
       
       Erst mal kooperiert nun die HFBK mit der dortigen „School of Arts“, es soll
       aber eine Zusammenarbeit auch der Universitäten in Haifa und Hamburg
       folgen. Geht es nach Lahnstein-Kandel, ist sogar eine Hamburger
       Partnerschaft mit einer israelischen Stadt überfällig – warum nicht mit der
       Hafenstadt im Norden des Landes?
       
       „We only see what looks at us“ ist die kleine Ausstellung überschrieben,
       das erste Zeugnis der frisch geschlossenen Kooperation; Ergebnis eines
       gemeinsamen Workshops der lehrenden Künstlerinnen Sharon Paliakine aus
       Haifa und Birgit Brandis aus Hamburg sowie elf HFBK-Studierenden. Zu sehen
       gibt es Spielarten von Druckgrafik, also eine Kunst, in der Schichten eine
       zentrale Funktion haben; was doch sehr gut zur nicht reibungslosen
       Annäherung passe, so HFBK-Präsident Köttering in seinem Redebeitrag am
       Mittwochabend: Um Schichten, Nuancen, gerade kein Schwarz-Weiß also geht es
       da.
       
       Und es gibt ganz Erstaunliches, auch Anrührendes zu entdecken: Eine Arbeit
       Poliakines entstand einen Tag nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas
       – in Reaktion auf den Horror übermalte sie eine Befassung mit Rembrandts
       „Anatomie des Dr. Tulp“ – aus dem zum Untersuchungsgegenstand gewordenen
       Ebenbild Gottes, nämlich eines menschlichen Leichnams, wird der verletzte
       Leib eines ganzen Landes; aus Rembrandts Zwielicht aber auch etwas
       irritierend Optimistisch-Frühlingshaftes.
       
       „Nur was uns anschaut, sehen wir“: Das Zitat stammt vom
       Walter-Benjamin-Kumpel Franz Hessel, nach dem heute ein
       deutsch-französischer Literaturpreis benannt ist. Seit 2010 erhalten ihn
       jeweils ein*e deutsch- und ein*e französischsprachige*r Autor*in; auch
       will er die Übersetzung in die jeweils andere Sprache befördern. Der Mann
       ist also kein ganz schlechter Pate für Verständigung und das Zuschütten von
       Gräben.
       
       20 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!s=HFBK/
   DIR [2] https://www.uni-haifa.de/
   DIR [3] https://www.imj-germany.de/
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   DIR [5] /Gastprofessur-fuer-Documenta-Kuratoren/!5887582
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       ## AUTOREN
       
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