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       # taz.de -- Nazi-Bewunderung durch Olympia-Begründer: Vom Führer beeindruckt
       
       > Wie Baron Pierre de Coubertin, Gründervater der Olympischen Spiele der
       > Neuzeit, zum Adolf-Hitler-Fan wurde.
       
   IMG Bild: „Vision von Ordnung und guter Haltung“: Baron Pierre de Coubertin
       
       Thomas Bach ist offensichtlich ein Fan von Pierre de Coubertin, dem
       Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit. Im Vorwort zu einer
       Coubertin-Hagiografie des Olympic Studies Centre vom November 2023 schreibt
       der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, IOC, im Vorwort:
       „Pierre de Coubertin war ein Visionär wie kaum ein anderer.“ Ihm sei es
       darum gegangen, die Welt durch Sport und seine Werte zu einem besseren Ort
       zu machen: „Wir sind ihm für die Vision auf ewig zu Dank verpflichtet.“
       
       [1][Jean-Marie Brohm ist gänzlich anderer Meinung] als der deutsche
       Fechter, der nach der sportlichen Karriere zum Groß-Funktionär wurde. In
       einem Radiointerview mit France Inter nannte der französische
       Sportsoziologe Coubertin im Jahr 1998 einen „Faschisten“. Hier war
       sicherlich kein Sykophant am Werk, wenngleich die Zuschreibung Brohms kaum
       weitere Steigerung erlaubt.
       
       Coubertin, und das stellt vor allem [2][der Sporthistoriker Hans Joachim
       Teichler] kenntnisreich heraus, war mindestens ein Bewunderer von Adolf
       Hitler. Die Deutschen missbrauchten, wie jeder weiß, die olympische Idee zu
       Propagandazwecken. 1936 inszenierten sie in Berlin ein Schmierentheater des
       Olympismus mit Heldenkult und Hellenismus. Die deutschen Olympiamacher,
       allen voran der Generalsekretär des Berliner Organisationskomitees, Carl
       Diem, gingen dem Franzosen um den Bart, warben um seine Gunst.
       
       ## Olympia „herrlich gedient“
       
       [3][Diem traf sich wiederholt mit dem Baron]. Seine Aufzeichnungen in
       Briefen und Tagebüchern belegen den Hitlerismus Coubertins. Als sich in der
       französischen Presse die Meinung durchsetzte, die Berlin-Spiele seien
       „deformiert und unnatürlich“ („L’auto“) gewesen, entgegnete Coubertin
       entrüstet: „Wie, die Spiele sind entstellt? Der olympische Gedanke der
       Propaganda geopfert? Das ist vollkommen falsch. Der großartige Erfolg der
       Berliner Spiele hat dem olympischen Gedanken herrlich gedient.“
       
       Im Jahr 1935 bittet Coubertin Diem darum, ihm doch bitte ein paar
       handschriftlich verfasste Zeilen Hitlers zukommen zu lassen – für seine
       Autogrammsammlung. Diem wird tätig. Bild und Unterschrift des „Führers“
       erreichen den Franzosen, der Hitler immerhin „seltsam“ fand, „eine der
       merkwürdigsten und unerwartetsten Gestalten“, die ihm beim Studium der
       Geschichte untergekommen seien. Diem und Coubertin tauschen sich auch
       intensiv über die olympische Boykottbewegung aus. Weltweit war wachen
       Köpfen aufgegangen, dass die Nazis nicht nur Antisemiten und Rassisten
       sind, sondern auch Kriegstreiber.
       
       Die Angriffe auf die Olympischen Spiele waren Coubertin gar nicht recht. In
       einem Brief an Diem geißelt er diese Vorstöße und stellt heraus, dass es ja
       eine Gegenbewegung der aufrechten Olympier gebe: „Es sind dennoch immer
       noch eine große Anzahl von Leuten vorhanden, die dem Strom widerstehen,
       gesund urteilen, beeindruckt sind von der Beständigkeit des Führers, seiner
       Willensstärke, seinem Gefolgschaftsgeist.“ Und weiter: „Alle, die in
       Deutschland gewesen sind, kommen zurück mit einer Vision von Ordnung, guter
       Haltung, Freundlichkeit.“
       
       Coubertin und die Deutschen nähern sich weiter an. Es geht so weit, dass
       der Franzose, schwer krank, seinen Nachlass Berlin vermacht. Diem bringt
       Papiere und Dokumente im neu gegründeten Internationalen Olympischen
       Institut (IOI) unter. Dankend wird dem auch finanziell schwer
       angeschlagenen Alten eine Zahlung von 10.000 Reichsmark gewährt – als
       „Ehrengabe“.
       
       Zusätzlich gibt das deutsche Organisationskomitee 5.000 Reichsmark in einen
       „Pierre-de-Coubertin-Fonds“. Ein Hitler-Telegramm zum Start der Spiele
       rahmt Coubertin ein und hängt es, mit Lorbeerkranz versehen, auf. Die
       Deutschen, ist er überzeugt, seien die einzig verlässlichen „Hüter des
       Olympismus“. Falscher hätte der Baron nicht liegen können.
       
       20 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Marie_Brohm
   DIR [2] http://zentrum-deutsche-sportgeschichte.de/personen/mitglieder/hans-joachim-teichler/
   DIR [3] https://www.deutschlandfunk.de/100-jahre-deutsche-sporthochschule-das-umstrittene-erbe-von-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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