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       # taz.de -- Osteuropa-Workshop und die Ukraine: Nehmen und Geben
       
       > Viele Ukrainer:innen glauben, dass von einem Beitritt ihres Landes zur
       > Europäischen Union auch Europa profitieren wird.
       
   IMG Bild: Nach den Sternen greifen
       
       Odessa taz In den vergangenen Monaten hat die Intensität der Angriffe auf
       die Region Odessa zugenommen. Fast täglich greift Russland die Stadt mit
       Raketen und Shahed-136/131-Drohnen an. Die Shahed-Angriffe finden abends
       oder nachts statt und können jeweils bis zu vier Stunden dauern. Die
       Luftverteidigung von Odessa kann nicht alles abfangen.
       
       Der gesamte Biorhythmus und der Tagesablauf geraten aus dem Takt, wenn man
       nachts in einem Schutzraum oder auf dem Flur sitzen muss. Mit einem Telefon
       in der Hand verfolgen wir alles, was am Himmel über Odessa passiert.
       
       In Odessa gehen die Kinder weiter zur Schule. Cafés, Restaurants, und Kinos
       sind geöffnet, in Sportvereinen wird trainiert. Auch Konzerte, Wettbewerbe
       und Konferenzen finden statt. Aber jederzeit können Menschen von einer
       russischen Rakete oder Drohne getötet werden.
       
       Wenn eine ballistische Rakete im Anflug ist, hat man nur zwei bis drei
       Minuten Zeit, um in Deckung zu gehen oder in den Korridor zu rennen. Um
       mehr Leben zu retten, brauchen wir mehr Waffen. Wir alle träumen jetzt nur
       noch von einem Sieg in diesem Krieg. Viele Ukrainer:innen verbinden den
       Weg zu diesem Sieg mit dem EU-Beitritt.
       
       ## Krieg in weiter Ferne
       
       Alexei ist Soldat. Im März 2022 meldete er sich freiwillig für die
       ukrainischen Streitkräfte. Davor arbeitete er beim Fernsehen. Wir treffen
       uns in einem Café im Zentrum von Odessa. Die Sonne scheint, in der Nähe
       zischt eine Kaffeemaschine, Menschen gehen spazieren – hier scheint der
       Krieg weit weg. Aber nur bis zum nächsten Luftangriff.
       
       Was denkt Alexei [1][über den EU-Beitritt]? Die Ukraine habe ihn verdient,
       denn das Land sei territorial und mental bereits ein Teil Europas. Die
       Ukraine könne Europa viel geben. „Ich spreche von Reformen und Innovationen
       im digitalen Bereich. Was das militärisch-industrielle Potenzial angeht,
       verfügt die Ukraine über enorme Erfahrung in der Kriegsführung. Wir müssen
       uns vereinen“, sagt Alexei.
       
       Wenn die Ukraine Mitglied der EU werde, sei dies nicht nur für sein Land,
       sondern auch für Europa eine Garantie für den Frieden. Alexei betrachtet
       die Menschen, die gerade einen Kaffee trinken. „Jetzt im Krieg fühle ich
       Wut und Groll. Ich versuche zu überleben und etwas Nützliches zu tun. Ich
       habe mich an den Krieg gewöhnt. Er ist ein Teil meines Lebens geworden und
       wird das für immer bleiben.“
       
       Der Gorki-Park in Odessa ist an diesem Sonntag gut besucht. Hier werden
       Lebensmittel an Binnenflüchtlinge verteilt. An einem der Tische steht eine
       rothaarige Frau – sie heißt Oksana und ist ehrenamtlich tätig. Auch Oksana
       musste fliehen.
       
       ## Bei 40 Grad Hitze
       
       „Unser Haus liegt in dem Teil der Region [2][Saporischschja], der von
       russischen Truppen besetzt war. Wir haben fast sechs Monate unter Besatzung
       gelebt. Es wurde von Tag zu Tag gefährlicher und unmöglich, zur Arbeit zu
       gehen, ohne mit den Besatzern zusammenzuarbeiten. Razzien in Wohngebäuden,
       Beschuss, Festnahmen, absolute Schutzlosigkeit.“
       
       Oksanas Familie musste Ende des Sommers 2022 das besetzte Gebiet verlassen.
       Das dauerte vier Tage – wegen Kontrollen, Durchsuchungen, Beschuss,
       Warteschlangen und all das bei 40 Grad Hitze.
       
       „Wir wissen, dass in der Ukraine nicht alles perfekt ist, aber wir wollen
       wachsen. Auch an internationalen Behörden kann man arbeiten“, sagt sie.
       Organisationen wie die IAEA oder das Rote Kreuz müssten reorganisiert
       werden. Oksana gewöhnt sich an ihr neues Leben. „Ich habe einen Kurs als
       Stadtführerin gemacht, verbessere mein Englisch und arbeite ehrenamtlich.
       Man darf nicht aufgeben“, sagt sie.
       
       26 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Entscheidung-ueber-einen-Ukraine-Beitritt/!5977557
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anastasia Simonova
       
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   DIR Osteuropa – ein Gedankenaustausch
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