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       # taz.de -- Erstattung von Wettverlusten: Zocken im Graubereich
       
       > Einige deutsche Gerichte erlauben die Rückforderung von Wettverlusten,
       > andere nicht. Nun muss der Europäische Gerichtshof entscheiden.
       
   IMG Bild: In Bundesliga-Stadien wird die Spielsucht gefördert
       
       Können Teilnehmer unerlaubter Internet-Sportwetten vor Gericht ihre
       Wettverluste zurückfordern? Diese Frage muss wohl bald [1][der Europäische
       Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg] klären. Das Landgericht Erfurt bereitet
       eine entsprechende Vorlage an den EuGH vor. Eigentlich war am 2. Mai eine
       Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe geplant. Doch das
       angekündigte Grundsatzurteil fiel aus, weil der Wettanbieter Betano seine
       Revision zurückzog und dem Kläger einfach seine 11.984 Euro Wettverluste
       zurückzahlte.
       
       Der österreichische Wettanbieter Betano wusste, dass er beim BGH keine
       Chance hat, weil der seine Rechtsauffassung schon im März veröffentlicht
       hatte. Danach konnte der Kläger seine Wettverluste zurückverlangen, weil
       Betano zum Zeitpunkt der Wetten 2018 keine deutsche Konzession hatte.
       Deshalb war der Wettvertrag des Klägers mit Betano nichtig.
       
       Betano hatte dagegen argumentiert, dass man durchaus in Deutschland eine
       Konzession beantragt hatte und sie nur deshalb nicht erhielt, weil das
       deutsche Konzessionsverfahren intransparent war und gegen EU-Vorgaben
       verstieß. Dies sah auch das Verwaltungsgericht Wiesbaden so und entschied
       2016, dass Betano Anspruch auf eine deutsche Sportwettenkonzession hat, die
       das Unternehmen aber erst 2021 erhielt.
       
       Der BGH stellte allerdings darauf ab, dass das Angebot von Betano gar nicht
       erlaubnisfähig war, denn es verstieß gegen inhaltliche Vorgaben des damals
       geltenden deutschen Glücksspielstaatsvertrags. Insbesondere gab es bei
       Betano kein monatliches Einsatz-Limit von 1.000 Euro pro Wettteilnehmer.
       
       ## Über 4.000 Kläger
       
       [2][Die Berliner Kanzlei Goldenstein], die die Rückforderung von
       Wettverlusten propagiert, sah sich durch Betanos Rücknahme der Revision
       bestätigt. Dies sei eine Art Schuldeingeständnis. Goldenstein vertritt über
       4.000 Kläger mit Wett- und Glücksspielverlusten. Doch das Landgericht
       Erfurt ist mit der Lösung des BGH gar nicht einverstanden.
       
       Die Thüringer Richter sehen darin eine Benachteiligung der ausländischen
       Anbieter von Online-Sportwetten, die wegen deutscher Versäumnisse keine
       Konzession erhalten konnten. Hätten sie eine Konzession gehabt und dann
       gegen Vorgaben aus dem Staatsvertrag verstoßen, wären nicht alle
       Wettverträge nichtig gewesen, weshalb es auch keine Ansprüche der
       Wettteilnehmer auf Rückzahlung ihrer Wettverluste gegeben hätte.
       
       Das Landgericht Erfurt will mehrere Fälle dem EuGH zur europarechtlichen
       Prüfung vorlegen. Das kündigte das Landgericht in einem Hinweisbeschluss
       an, der Anfang Mai veröffentlicht wurde. Gut möglich, dass der EuGH die
       zivilrechtliche Rückforderung von Wettverlusten gegen unverschuldet
       konzessionslose Wettanbieter ablehnt. 2016 hatte der EuGH bereits straf-
       und verwaltungsrechtliche Sanktionen gegen solche Wettanbieter verboten.
       
       [3][In den Foren der Spielsuchtopfer] herrscht Ernüchterung. Dort fürchten
       viele, dass es noch Jahre dauern wird, bis sie ihre Wettverluste
       zurückerhalten – wenn überhaupt. Die geplante Erfurter EuGH-Vorlage hemmt
       auch eine Klagewelle, weil die Rechtslage nicht so eindeutig ist wie von
       manchen Anwälten dargestellt.
       
       Etwas anders ist die Lage bei sogenannten Online-Casinos, wo etwa
       Online-Poker gespielt werden konnte. Online-Casinos waren in Deutschland
       bis 2021 völlig verboten. Probleme der Konzessionsvergabe stellten sich
       hier also nicht. Das Oberlandesgericht Hamm nahm 2023 die Nichtigkeit der
       Glücksspielverträge an und gab einem Spieler, der 132.850 Euro verspielt
       hatte, einen Rückzahlungsanspruch.
       
       Der Poker-Anbieter, der in Malta sitzt und (wie viele dieser Unternehmen)
       über eine maltesische Lizenz verfügt, hält das bis 2021 geltende deutsche
       Verbot von Online-Casinos für einen Verstoß gegen die
       Dienstleistungsfreiheit der EU.
       
       Auch bei den Online-Casinos wird auf eine Entscheidung des EuGH gewartet,
       der bereits von einem maltesischen Gericht um Klärung gebeten wurde. Der
       BGH hatte deshalb im Januar das Verfahren aus Hamm ausgesetzt, um auf die
       EuGH-Entscheidung zu warten.
       
       8 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://curia.europa.eu/jcms/jcms/j_6/de/
   DIR [2] https://www.ra-goldenstein.de/
   DIR [3] /Sportwetten-in-Deutschland/!5925454
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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