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       # taz.de -- Online-Medium für den Nahen Osten: Eine Brücke vor dem Einsturz
       
       > Das Online-Magazin qantara.de soll Deutschlands Ruf in der arabischen
       > Welt verbessern. Nun droht die Redaktion mit Rücktritt. Was ist da los?
       
   IMG Bild: Großes Sendebewusstsein: Parabolschüsseln der DW in Berlin
       
       Die komplette Redaktion [1][des deutsch-arabischen Online-Magazins
       qantara.de] will zu Ende Juni zurücktreten. Das erfuhr die taz aus
       Redaktionskreisen. Weil das Auswärtige Amt beschlossen hat, das
       Online-Magazin aus seinem bisherigen Mutterhaus, der Deutschen Welle (DW)
       in Bonn, auszugliedern, sehe die fünfköpfige Redaktion ihr Medium bedroht
       und keine Zukunft mehr. Sie erläutern das in einem Schreiben an ihre
       Autorinnen und Autoren, das der taz vorliegt.
       
       [2][qantara.de] wurde als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001
       ins Leben gerufen. Deutschlands damaliger Außenminister, [3][Joschka
       Fischer], stellte die Mittel bereit. Er sah darin ein Instrument der „Soft
       Power“, um Deutschlands Ruf in der arabischen Welt zu verbessern. Das
       arabische Wort „Qantara“ bedeutet so viel wie „Brücke“. Das Online-Portal
       veröffentlicht seine Artikel in der Regel in drei Sprachen: auf Deutsch,
       Arabisch und Englisch.
       
       Jeden Freitag verschickt die Redaktion einen Newsletter für 22.000
       Menschen, davon 12.000 auf Arabisch. In der aktuellen Ausgabe wird auf neue
       Artikel über „Muslime in Indien“ und „Ägyptens neue Hauptstadt“
       hingewiesen. Auf der Webseite sind derzeit an prominenter Stelle zwei
       Artikel zum deutsch-israelischen Verhältnis und dem Krieg in Gaza zu
       finden. Es geht aber auch um Kultur- und Gesellschaftsthemen: tunesische
       Filme, türkische Musik und feministische Kunst aus Pakistan. Qantara bildet
       ein Kaleidoskop des Nahen Ostens ab.
       
       ## Angst um redaktionelle Unabhängigkeit
       
       Nun will das Auswärtige Amt qantara.de aus der [4][Deutschen Welle]
       ausgliedern und dem Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) in Stuttgart
       übertragen. Das IfA ist – neben dem Goethe-Institut – die wichtigste
       Instanz für den deutschen Kulturaustausch mit der Welt, es wird zum großen
       Teil vom Auswärtigen Amt finanziert. Gegen ihre Auslagerung führt die
       Redaktion praktische Gründe an: das IfA verfüge nicht über die nötige
       Infrastruktur und habe keinen Zugriff auf Bilddatenbanken oder Agenturen
       wie bei der Deutschen Welle. Doch im Grunde fürchtet die Redaktion um ihre
       redaktionelle Unabhängigkeit.
       
       Das Auswärtige Amt beschwichtigt in dieser Sache: „Wir werden beim IfA
       genau so wenig Einfluss haben wie auf die Deutsche Welle“, heißt es dort.
       Die Finanzierung sei gesichert, die Staatsferne bleibe garantiert. Man
       erhoffe sich vom Wechsel aber „mehr Breitenwirkung“ für qantara.de. Das IfA
       verweist auf Nachfrage auf „fundierte und langjährige redaktionelle
       Erfahrungen“ mit seiner Zeitschrift Kulturaustausch, die viermal im Jahr
       mit einer gedruckten Auflage von fast 8.000 Exemplaren erscheint, sowie
       zwei Online-Kunstmagazinen.
       
       Nur: Breitenwirkung hat qantara.de bereits. Auf Facebook erreicht das
       Magazin mehr als 800.000 Follows – die meisten mit seinen arabischen und
       englischen Seiten. Dem IfA folgen in den sozialen Medien auf all seinen
       Kanälen nach eigenen Angaben rund 210.000 Accounts, also rund ein Viertel
       davon. Wie es qantara.de zu „mehr Breitenwirkung“ verhelfen soll, wie es
       das Auswärtige Amt sagt, bleibt dessen Geheimnis.
       
       ## Furcht vor Entpolitisierung
       
       Kritiker fürchten, dem Auswärtigen Amt gehe es darum, qantara.de stärker
       unter seine Kontrolle zu bringen und es zu entpolitisieren. Denn auf
       qantara.de finden sich immer wieder auch kritische Artikel zur deutschen
       Außenpolitik, zu deutschen Islam-Debatten und zur europäischen Asylpolitik.
       Das unterscheidet es von vielen Propagandamedien in der arabischen Welt.
       
       Im Netz formiert sich Protest gegen die geplante Umstrukturierung. Wie vor
       zwei Jahren, als die weitere Finanzierung durch das Auswärtige Amt infrage
       stand und qantara.de deshalb das Aus drohte, kritisieren zahlreiche
       Nahost-Experten und Journalisten jetzt die neuen Pläne. Auch der Deutsche
       Journalistenverband (DJV) fordert den Verbleib des Online-Portals bei der
       Deutschen Welle: Nur so könnten Unabhängigkeit und journalistische Qualität
       gewahrt bleiben.
       
       Für qantara.de schreiben namhafte Autor:innen, die teilweise auch für die
       taz schreiben – darunter [5][Charlotte Wiedemann], [6][Kristin Helberg] und
       [7][Emran Feroz] – sowie arabische Autor:innen, die in ihren Ländern unter
       Zensur leiden. Sollte das Online-Portal wegfallen, wäre das eine kritische
       und universalistische Stimme weniger in der Region.
       
       Ausgerechnet jetzt, wo das Ansehen Deutschlands in der arabischen Welt in
       den Keller gerutscht ist, weil es trotz der vielen Toten in Gaza weiter eng
       hinter Israels Regierung steht, wäre das auch für Deutschlands „Soft Power“
       ein weiterer Rückschlag.
       
       Hinweis: Daniel Bax schreibt selbst als Autor gelegentlich für qantara.de.
       Zuletzt 2015.
       
       26 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kooperation-mit-externen-Gemeinschaften/!5888353
   DIR [2] https://qantara.de/
   DIR [3] /Joschka-Fischer/!t5019593
   DIR [4] /Entlassungen-bei-der-Deutschen-Welle/!5920119
   DIR [5] /Charlotte-Wiedemann/!a1607/
   DIR [6] /Kristin-Helberg/!a29275/
   DIR [7] /Emran-Feroz/!a26875/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
       ## TAGS
       
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