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       # taz.de -- Fabio De Masi bei Europawahl 2024: Die beste Nebenrolle
       
       > Fabio De Masi will als Spitzenkandidat für das „Bündnis Sahra
       > Wagenknecht“ nach Brüssel. Dabei setzt er etwas andere Akzente als seine
       > Parteichefin.
       
   IMG Bild: Fabio De Masi beim Gründungsparteitag der neuen BSW-Partei, das „Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit“
       
       Berlin taz | Am Montagmorgen steht Fabio De Masi mit seinem Rennrad vor dem
       Brandenburger Tor. Es ist ein hellrotes französisches Vintage-Modell. Im
       Hintergrund flattern ein paar Aufsteller vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ im
       Wind, ein kleines Grüppchen hält BSW-Banner und Friedensfahnen hoch. Ein
       Dutzend Journalisten und ein paar Kameras umringen ihn sowie seine
       Parteikolleg*innen Thomas Geisel und Judith Benda, die mit ihm nach
       Brüssel radeln wollen.
       
       Ansonsten ist der Platz fast leer, um diese Uhrzeit sind kaum Touristen
       unterwegs. Das erste Ziel habe man schon erreicht, scherzt De Masi, als er
       ans Mikro tritt: „Nicht aussehen wie Rudolf Scharping.“ Keine kurzen Hosen.
       „Das habe ich im Medientraining gelernt.“ Er trägt eine Art Jogginghose,
       einen roten Sweater und weiße Turnschuhe, es sieht lässig und schick aus.
       
       Der Fototermin am Brandenburger Tor ist für Fabio De Masi der Startschuss
       in den Europawahlkampf. Er tritt als Spitzenkandidat für das „Bündnis Sahra
       Wagenknecht“ in die Pedale. Aber passt er da rein? Wagenknecht sagt, ihr
       Bündnis sei „weder links noch rechts“ und wolle schon gar „keine Linke 2.0“
       sein. De Masi würde das so nicht sagen, er verortet sich klar in einer
       linken Tradition. Er teilt Wagenknechts Positionen zwar auch in
       umstrittenen Fragen, etwa zur Migration oder mit Blick auf den Krieg in der
       Ukraine. Er formuliert sie allerdings deutlich zurückhaltender und setzt
       etwas andere Akzente als seine Parteichefin.
       
       Das fängt schon mit der Idee der Radtour nach Brüssel an. Die Idee stammt
       von De Masi. Er und sein Team wollen das Europaparlament per Rad erreichen,
       begleitet von einem Kamerateam. Man kann die Radtour auf sozialen Medien
       mitverfolgen. „Wir wollten mit unserem begrenzten Wahlkampfbudget etwas
       machen, worüber die Leute sprechen“, sagt er der taz. „Ursprünglich hatten
       wir überlegt, die ganze Strecke durch zu fahren. Dazu fehlte uns die Zeit.“
       Darum gliedert sich die Tour in fünf Etappen von bis zu drei Stunden,
       zwischendrin werden die Räder in einen Transporter gepackt. „Die längste
       Strecke wird in Nordrhein-Westfalen sein“, sagt De Masi.
       
       ## Die rechte Überholspur
       
       Wagenknecht dagegen, obwohl selbst passionierte Radlerin, kann man sich in
       ihrem obligatorischen Kostüm schwer auf einem Drahtesel vorstellen. Sie
       profiliert sich als Auto-Versteherin. Über das Verbrenner-Aus, das ab 2035
       in der Europäischen Union gelten soll, möchte sie im Bundestag abstimmen
       lassen: Damit überholt sie sogar Union, AfD und FDP auf der rechten Spur.
       
       „Das Verbrenner-Aus bis 2035 ist nicht durchzuhalten“, sagt auch De Masi.
       Aber er fügt hinzu: „Auch wir wollen den Pkw-Verkehr reduzieren. Es soll
       nicht alles weiterlaufen wie bisher.“ Man wolle nur „andere Vorgaben“
       machen: „für kleinere Flotten und Vorgaben zur CO2-Einsparung.“ Das hört
       man von Wagenknecht eher selten.
       
       In Migrationsfragen schlägt Wagenknecht rechte Töne an, sie will die
       Einwanderung nach Deutschland „ganz klar reduzieren“. Zuletzt forderte sie,
       abgelehnten Asylbewerbern alle Geldleistungen zu streichen. De Masi
       formuliert das etwas bedächtiger: „Das Existenzminimum beziehungsweise
       Sachleistungen“ müsse es „immer geben“, wiegelte er im Interview mit der
       linken Zeitschrift Jacobin ab.
       
       Im BSW-Programm für die Europawahl ist von „unkontrollierter Migration“ und
       „islamistisch geprägten Parallelgesellschaften“ die Rede. De Masi
       verzichtet auf solche alarmistischen Schlagwörter. „Wir bedienen keine
       Ressentiments. Aber wir brauchen Regeln, um Integration zu ermöglichen“,
       sagt er. Er sagt aber auch: „Die Formulierungen zur Migrationspolitik sind
       auch von mir mit formuliert und mit beeinflusst.“
       
       ## Die erste Bewährungsprobe
       
       Mit Thomas Geisel, dem anderen BSW-Spitzenkandidaten für die Europawahl,
       bildet er ein ungleiches Paar. Der ehemalige Düsseldorfer
       SPD-Oberbürgermeister ist ein Anhänger der Agenda 2010, gegen die sich
       einst die Linkspartei gründete. Die offensichtlichen Differenzen wischte De
       Masi bei der ersten BSW-Pressekonferenz im Januar, als sich beide als
       Spitzenkandidaten vorstellten, mit dem Argument weg, das BSW strebe an,
       eine „Volkspartei“ zu werden. Das bringe „Nuancen und Debatten“ mit sich.
       
       Wie aber die internen Debatten beim BSW geführt werden, das bleibt für
       Außenstehende bisher intransparent. „Die Prozesse sind bei uns noch nicht
       so wie bei anderen Parteien“, räumt De Masi ein. „Das wird künftig anders
       werden. Wir werden zu verschiedenen Themen programmatische Arbeitsgruppen
       bilden“, kündigt er an.
       
       Für das BSW ist die Europawahl die erste Bewährungsprobe. „Wir gehen als
       Underdog in die Wahlen“, sagte BSW-Generalsekretär Christian Leye, als
       seine Partei am vergangenen Mittwoch in einem Hotel in Berlin ihre
       Wahlkampagne vorstellte: „Wir legen damit unsere Visitenkarte auf den
       Tisch.“
       
       Man setzt auf Großflächenplakate und Flyer, 20 Großveranstaltungen mit
       Sahra Wagenknecht auf prominenten Plätzen der Republik sowie auf
       Social-Media-Präsenz. Rund 3 Millionen Euro beträgt der Wahlkampf-Etat, die
       Partei hofft auf weitere Spenden. „Das ist ein absoluter Husarenritt“, sagt
       De Masi über seinen Europawahlkampf. „Ich habe ja kein Büro wie Abgeordnete
       oder einen Mitarbeiter, der für mich die Termine macht.“
       
       ## Das „Cum-Ex-Jäger“ Image bleibt
       
       Die großen BSW-Plakate zur Europawahl zeigen allesamt Wagenknechts
       Konterfei, darunter Fragen wie: „Krieg oder Frieden?“, „Gier oder
       Gerechtigkeit?“ und „Maulkorb oder Meinung?“ Nur auf den kleineren Plakaten
       sind die beiden BSW-Spitzenkandidaten zu sehen. „Cum-Ex-Jäger“ steht auf
       Fabio De Masis Plakat. Als er sich bei der ersten BSW-Pressekonferenz im
       Januar als Spitzenkandidat vorstellte, sagte De Masi noch, dass er nicht
       auf diese Rolle reduziert werden wolle. „Ich wollte nicht immer die
       Nervensäge sein, die den Leuten die Finanzskandale unter die Nase hält“,
       sagte er damals. Dabei pflegt er dieses Image recht sorgfältig.
       
       Er ist stolz darauf, Olaf Scholz in der „Cum Ex“-Affäre so bedrängt zu
       haben, dass dieser sich mit einer „Erinnerungslücke“ herausreden musste.
       Im vergangenen Jahr stellte De Masi sogar Strafanzeige gegen den Kanzler.
       Juristisch mag das aussichtslos sein – öffentlichkeitswirksam war es
       allemal. Nebenbei arbeitet De Masi an einem Buch, das im Januar 2025 unter
       dem Titel „Geld, Macht, Verbrechen“ erscheinen soll. Darin will er
       erklären, „wie wir die Demokratie vor Finanzkriminellen und dem großen Geld
       schützen“.
       
       Der 44-jährige aus Hamburg saß bis 2017 schon einmal vier Jahre lang im
       Europaparlament, bevor er für vier weitere Jahre als Abgeordneter der
       Linkspartei in den Bundestag gewählt wurde. In beiden Parlamenten erwarb er
       sich parteiübergreifend einen guten Ruf als „Finanzdetektiv“, war an
       Untersuchungsausschüssen zu den „Luxemburg-Leaks“, zur Wirecard-Affäre und
       zu „Cum Ex“ beteiligt.
       
       Nun will er wieder nach Brüssel, um Ursula von der Leyen unter Druck zu
       setzen, wie er sagt. Gegen die deutsche EU-Kommissionspräsidentin ermittelt
       die europäische Staatsanwaltschaft wegen eines umstrittenen Impfstoff-Deals
       mit dem US-Pharmakonzern Pfizer in der Corona-Zeit. De Masi möchte da
       nachhelfen. Dafür segelt er jetzt im Windschatten von Sahra Wagenknecht,
       der Galionsfigur ihrer Partei.
       
       ## Win-Win-Situation für beide Seiten
       
       „Wir wollen ein Europa, das seinen Job macht“, beschrieb De Masi in seiner
       Rede auf dem Gründungsparteitag des BSW in Berlin das Programm für die
       EU-Wahl und fügte hinzu: „Weniger ist mehr“. Das BSW will die
       Nationalstaaten in der EU stärken und die EU-Institutionen schwächen. Dass
       De Masi ins Europaparlament will, um dessen Einfluss zu begrenzen – auch
       diesen Widerspruch überspielt De Masi geflissentlich.
       
       Die EU solle sich „auf die Themen konzentrieren, für die sie gegründet
       wurde“, sagt er – etwa, indem ihre Mitgliedstaaten auf einheitliche
       Mindeststeuern für internationale Konzerne hinwirken. „Bei der Bekämpfung
       von Steuerdumping der Konzerne oder einer Reform der Schuldenbremse sind
       meine Positionen konkreter als bei der Konkurrenz“, wirbt er für sich. „Das
       Thema Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steuer-Oasen steht bei uns im
       Programm“.
       
       Dass sich De Masi, Sohn eines italienischen Gewerkschafters und einer
       deutschen Sprachlehrerin, dem Wagenknecht-Bündnis angeschlossen hat war
       keine Überraschung. Schließlich startete er seine Karriere einst als
       wissenschaftlicher Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht im Bundestag. Vor
       sechs Jahren war er bereits bei der Sammelbewegung „Aufstehen!“ dabei, mit
       der sich Wagenknecht von der Linkspartei zu lösen versuchte. Und nach
       seinem Abschied aus dem Bundestag vor drei Jahren rechnete De Masi mit
       seiner Partei ab, welche in seinen Augen die Interessen des kleinen Mannes
       zugunsten „identitätspolitischer“ Themen vernachlässigt hätte. Diese Sicht
       teilt er mit Sahra Wagenknecht. Nun hofft er, mit ihr Mehrheiten erreichen
       zu können, und hat sich dafür die beste Nebenrolle gesichert.
       
       Eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Er bürgt beim Bündnis Sahra
       Wagenknecht mit seinem guten Ruf als Finanzexperte für Seriosität. Und
       bleibt mit seiner Kandidatur im Gespräch.
       
       30 Apr 2024
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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