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       # taz.de -- Islamfeindlichkeit in Deutschland: Interne Ambivalenz
       
       > Der Islam hat hierzulande ein schlechtes Image. Und doch wollen die
       > meisten, dass Muslime fair behandelt werden.
       
   IMG Bild: Auf der Islamisten-Demo am Samstag, 11. Mai, in Hamburg
       
       Die [1][empörten Reaktionen] auf die [2][Hamburger
       Islamisten-Demonstrationen am vergangenen Samstag sowie vor zwei Wochen]
       zeigen, wie aufgeheizt der Islam-Diskurs in Deutschland ist. Viele fordern
       ein härteres Eingreifen. Seit Jahren [3][verharmlose die Politik das
       Problem des fundamentalistischen Islamismus in Deutschland.] Andere weisen
       darauf hin, dass islamfeindlicher Rassismus in der Bevölkerung immer weiter
       um sich greife und zu wenig getan werde für die Integration der hier
       lebenden Musliminnen und Muslime.
       
       Seit Jahren liegen mehrere sozialwissenschaftliche Untersuchungen vor, die
       sowohl den relativ starken Zuspruch fundamentalistischer Aussagen in
       muslimischen Gemeinden als auch die weit verbreiteten Vorbehalte gegenüber
       dem Islam in der deutschen Bevölkerung bestätigen. Wenig Beachtung erfährt
       jedoch die auffällige Ambivalenz der erhobenen Einstellungen, und zwar bei
       den Muslimen ebenso wie in der Gesamtbevölkerung.
       
       Auf der einen Seite gibt es in der Gesamtbevölkerung eine klare Mehrheit,
       die dem Islam äußerst kritisch gegenübersteht. Keine andere
       Religionsgemeinschaft wird so negativ beurteilt wie der Islam. Auf die
       Frage, ob sie den Islam mehr als Bereicherung oder mehr als Bedrohung
       wahrnehmen, antworten den Daten des 2022 durchgeführten Religionsmonitors
       der Bertelsmann Stiftung zufolge mehr als die Hälfte der Deutschen, dass
       sie in ihm eine Bedrohung sehen. Durch andere Religionen fühlen sich kaum
       mehr als 15 Prozent bedroht. Zwischen 70 und 75 Prozent halten den Islam
       für rückständig und frauenfeindlich und denken, dass islamistische
       Terroristen in ihm einen starken Rückhalt finden. Etwa zwei Drittel meinen,
       der Islam richte sich gegen Freiheiten und Rechte der Menschen, und fast
       genauso viele denken, der Islam rufe zur Gewalt auf.
       
       Auf der anderen Seite jedoch sprechen sich fast 80 Prozent der Deutschen
       dafür aus, dass man allen Religionen mit Offenheit begegnen solle. In einer
       vor einigen Jahren durchgeführten Befragung erklärte eine deutliche
       Mehrheit, alle Religionen sollten die gleichen Rechte haben. Nur etwa 20
       bis 30 Prozent lehnen Moscheebauten grundsätzlich ab. Dabei beobachten die
       meisten die Lebenswirklichkeit ihrer muslimischen Mitbürger mit Empathie.
       So stimmt eine Mehrheit der Aussage zu, dass [4][Muslime in Deutschland
       Rassismus erfahren,] und fordert, dass die Deutschen im Umgang mit
       Zuwanderern mehr Verständnis aufbringen sollten.
       
       ## Muslimische Haltungen sind mehrdeutig
       
       So schlecht [5][das Image des Islam in der deutschen Bevölkerung ist,] die
       meisten hierzulande wollen, dass Muslime fair behandelt werden. Sie fühlen
       sich durch den Islam zwar bedroht, aber wollen ihm wie allen Religionen mit
       Offenheit und Verständnis begegnen.
       
       Auch die [6][Haltungen unter den Muslimen sind weniger eindeutig,] als es
       auf den ersten Blick scheint. Fundamentalistische Aussagen finden unter den
       in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen starke Zustimmung.
       Verschiedenen Studien zufolge erklären zwischen 43 und 54 Prozent, es gebe
       nur eine wahre Religion: den Islam. Unter den Mitgliedern der christlichen
       Kirchen stimmen dieser Aussage nur etwa 13 Prozent zu. Etwa ein Drittel der
       Muslime in Deutschland hält die Befolgung religiöser Gebote für wichtiger
       als die Gesetze des Staates. Etwa zwei Fünftel meinen, nur der Islam sei in
       der Lage, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Und fast genauso viele
       streben die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds
       an. Hier kann man wohl von einem verfestigten fundamentalistischen Weltbild
       ausgehen.
       
       Obwohl viele Muslime ein exklusives Wahrheitsverständnis vertreten, stimmen
       gleichzeitig fast vier Fünftel von ihnen der Aussage zu, dass jede Religion
       einen wahren Kern besitzt. Die Behauptung der einen Wahrheit schließt die
       Akzeptanz anderer Wahrheiten also nicht aus. Wir können von einem
       hierarchischen Inklusivismus sprechen, der die eigene Religion anderen
       Religionen überordnet, ihnen aber gleichzeitig Anerkennung zollt. Auch in
       anderen Hinsichten lassen sich unter den Musliminnen und Muslimen viele
       Haltungen ausmachen, die einem rigiden Fundamentalismus widersprechen.
       Demokratische und rechtsstaatliche Werte sind weithin akzeptiert. So fällt
       die Bejahung der Demokratie als Staatsform unter ihnen genauso hoch aus wie
       in der deutschen Gesamtbevölkerung.
       
       ## Gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch
       
       Die [7][interne Ambivalenz im Einstellungshaushalt der Menschen] lässt es
       geraten sein, bestehende Einstellungsdiskrepanzen zwischen den
       gesellschaftlichen Gruppen nicht zu überzeichnen. Inkohärente und partiell
       gegensätzliche Haltungen sind nicht untypisch für menschliche
       Orientierungsmuster. An diese Einstellungsambivalenzen sollte die
       öffentliche Diskussion anknüpfen. Wer eine schärfere Gangart vorschlägt,
       erhöht die Gefahr, dass sich mehrdeutige Haltungen in eindeutige
       verwandeln. Es mache sie wütend, sagen die Muslime seit Jahren, dass sie
       stets als Erste verdächtigt würden, wenn irgendwo auf der Welt ein
       Terrorschlag verübt werde.
       
       Ein schärferes Vorgehen verstärkt die Tendenz zur religiösen
       Selbstbehauptung und treibt potenziell auch jene in die Arme der
       Extremisten, die selbst keine extremistischen Positionen vertreten. Das
       heißt nicht, dass nicht auch klare Erwartungen an die muslimischen
       Gemeinden gerichtet werden müssen. Die wichtigste unter ihnen lautet, dass
       sie sich mehr als bisher kritisch mit den islamistischen Bewegungen in
       ihren eigenen Reihen auseinandersetzen und sich selbstreflexiv zu ihren
       Heilslehren ins Verhältnis setzen müssen.
       
       Ebenso ist es falsch, der Mehrheit der deutschen Bevölkerung
       antiislamischen Rassismus zu unterstellen. Selbst wenn es viele Vorurteile
       unter den Deutschen gibt, die allermeisten wollen eben genau das nicht
       sein: rassistisch oder islamophob.
       
       13 May 2024
       
       ## LINKS
       
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   DIR Detlef Pollack
       
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