# taz.de -- Personalmangel in Schulen und Pflege: Bevor die Leute umkippen
> Der Fachkräftemangel belastet verbliebene Arbeitskräfte umso mehr.
> Tariflich festgelegte Personalschlüssel könnten eine Lösung sein.
IMG Bild: Lehrreich: Pädagog*innen in Berlin streiken im Februar 2023 für kleinere Klassen
Kita-Kollaps, Pflegenotstand, Lehrer:innenmangel – die Dauerkrisen im
Sozialbereich sind vielfältig, die Ursachen sind ähnlich: Der
Fachkräftemangel ist mittlerweile so groß, das die Beschäftigten Mühe
haben, einem Mindestauftrag an Bildung, Betreuung und Pflege in ihren Jobs
gerecht zu werden.
Die Krankenstände werden immer höher, Beschäftigte brennen aus oder kehren
dem Beruf vollends den Rücken zu. Wie umgehen mit der ständigen
zermürbenden Personallücke – damit die verbliebenen Arbeitskräfte nicht
krank werden? Diese Frage rückt zunehmend in den Fokus der Gewerkschaften.
Ganze 14.500 Vollzeitstellen waren im September 2023 bundesweit an
deutschen Schulen unbesetzt. Eine Zahl, die sich nach
Kultusministerkonferenzangaben [1][bis 2035 auf 68.000 Vollzeitstellen]
erhöhen soll. Um den Pflegebereich steht es noch schlimmer: Die
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi rechnet mit einem Personalbedarf von
300.000 zusätzlichen Stellen bis 2030.
„Natürlich müssen die Arbeitsplätze attraktiver werden. Das hat auch sehr
viel mit der starken Arbeitsbelastung zu tun“, sagt Ulf Rödde,
Pressesprecher der Bildungsgewerkschaft GEW.
Während es auf Bundesebene noch bei unverbindlichen Appellen bleibt,
streikt die Bildungsgewerkschaft in Berlin seit 2021 regelmäßig für bessere
Arbeitsbedingungen durch kleinere Klassen. Doch bislang blockte der
Berliner Senat alle Verhandlungsangebote ab und plant im Gegenteil noch,
die Klassen zu vergrößern.
Den Fachkräftemangel durch Maßnahmen zu lösen, die am Ende den
Personalbedarf erhöhen, das löst bei Arbeitsgeber:innen und Politik
starke Abwehrreflexe aus. Doch die Gewerkschaften sind sicher, dass sich
nur so genügend Nachwuchs für die sozialen Berufe gewinnen lässt. So
brechen in der Pflege durchschnittlich 30 Prozent der Auszubildenden
vorzeitig ab – einer der branchenweit höchsten Werte.
Umso erfreulicher ist es, dass es Verdi für den Pflegebereich immer öfter
gelingt, bessere Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu erstreiten. In
sogenannten Entlastungstarifverträgen (TVE) werden feste Personalschlüssel
festgelegt. Werden diese unterschritten, steht den Beschäftigten ein
Ausgleich in Form von Freischichten zu.
## 26 Vereinbarungen bundesweit in Krankenhäusern
Die Beschäftigten der landeseigenen Berliner Kliniken Charité und Vivantes
machten 2021 den Anfang, als sie [2][nach 50 Tagen Streik der
Geschäftsführung einen Entlastungstarifvertrag abrangen], der bundesweit
Schule machte. 2022 folgten sechs Unikliniken in Nordrhein-Westfalen; 2023
die privat geführten Unikliniken in Gießen und Marburg. Bundesweit gibt es
mittlerweile 26 solcher Vereinbarungen, zuletzt am Jüdischen Krankenhaus in
Berlin-Mitte.
Dass sich Entlastungstarifverträge auszahlen, zeigt das Beispiel Charité.
Seit der Einführung kann das Universitätsklinikum einen deutlichen Zuwachs
an Bewerber:innen verzeichnen.
Das Erfolgsrezept Entlastungstarifvertrag will Verdi jetzt auch auf den
Kita-Bereich ausweiten. In Berlin forderte die Gewerkschaft den Senat auf,
über einen „Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung“ zu
verhandeln. Kern der Forderungen ist, wie an den Kliniken, ein besserer
Personalschlüssel.
1 May 2024
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## AUTOREN
DIR Jonas Wahmkow
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