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       # taz.de -- Doping im Schwimmsport: Wada was?
       
       > Wie die Weltantidopingagentur versucht, einen Fall von Massendoping unter
       > chinesischen Schwimmern als nichtigen Küchenunfall hinzustellen.
       
   IMG Bild: Schnell und positiv: Auch bei Doppelolympiasiegerin Zhang Yufei wurden Spuren eines Herzmedikaments nachgewiesen
       
       Die Schwimmerin Astrid Strauß hat einmal behauptet, ihr unerlaubt hoher
       Testosteronwert sei auf den Konsum von Erdbeerbowle und hochprozentigem
       Weinbrand zurückzuführen. Der spanische Radprofi Alberto Contador versuchte
       seinen Clenbuterol-Befund mit dem Verzehr von Rindfleisch zu erklären.
       
       Die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa wollte [1][das Herzmittel
       Trimetazidin] in einer Süßspeise, gereicht vom Großvater, aufgenommen
       haben. Die internationale Antidoping-Agentur Wada nahm die Erklärungen
       genauso wie die kritische Öffentlichkeit natürlich nicht für bare Münze.
       
       Aber jetzt scheint die in Montreal ansässige Behörde [2][unter dem Vorsitz
       von Witold Bańka], einem ehemaligen polnischen Politiker der PiS-Partei,
       hanebüchene Rechtfertigungen durchaus für voll zu nehmen. Unlängst kam
       heraus, dass im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in Tokio, Anfang
       Januar 2021, gleich 23 chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer positiv auf
       ebendieses Mittel Trimetazidin getestet worden waren.
       
       Trimetazidin ist ein Herzmedikament und verbessert bei schlechter
       Durchblutung die Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Herzens. Auf diese Wirkung
       hatte bereits ein anderer chinesischer Schwimmer, Sun Yang, im Jahr 2014
       vertraut und Trimetazidin eingenommen. Auch das artverwandte Herzmittel
       Meldonium erfreute sich in Russland und China großer Beliebtheit bei
       eigentlich pumperlgesunden Leistungssportlern.
       
       ## Testflut beim Testwettkampf
       
       Die Testflut kam bei einem drei Tage währendem Wettkampf in China zustande.
       Eine Ausrede, verbreitet von der chinesischen Antidopingbehörde Chinada,
       war schnell gefunden: eine Massenkontamination. In der Küche des
       Sportlerhotels seien Rückstände des Medikaments gefunden worden. Die
       betroffenen Athleten wurden von der Chinada nicht suspendiert oder
       anderweitig bestraft. Im olympischen Becken gewannen chinesische Schwimmer
       vielmehr sechs Medaillen, drei davon glänzten gülden. Die Wada behauptete,
       stets Kenntnis von den Fällen und der chinesischen Art der Aufarbeitung
       gehabt zu haben.
       
       Einiges kam der Wada nicht koscher vor, aber sie akzeptierte letztlich
       nicht nur die Version der Chinada, sondern verzichtete selbst auch auf
       einen Einspruch vor dem internationalen Sportgericht Cas in Lausanne.
       Begründung: In Zeiten von Corona hätte man die Kontaminationsthese nicht
       wirklich prüfen können. Sie schien der Wada aber auch so, wissenschaftliche
       Prüfung hin oder her, „plausibel“.
       
       Medien machten auf den Fall aufmerksam. Die Wada hielt es über zwei Jahre
       lang nicht für nötig, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren. Als die
       New York Times, der australische Daily Telegraph und die
       ARD-Dopingredaktion über den Fall berichteten, ereiferte sich die
       Wada-Führung in einer Pressemitteilung über eine „irreführende und
       potenziell verleumderische Medienberichterstattung“.
       
       In einem Frage-Antwort-Katalog [3][sammelte sie noch jedes Argument], das
       die chinesische Seite entlasten könnte: Die Messergebnisse seien ja eh im
       niedrigen Bereich gewesen; etliche Sportler, die eben noch positiv gewesen
       seien, hätten bei der nächsten Dopingkontrolle beim selben Event einen
       negativen Befund gehabt; die Schwimmer seien aus allen Regionen Chinas
       zusammengekommen und hätten mehrheitlich im selben Hotel gewohnt. Das alles
       spreche für die Aufnahme von verunreinigtem Essen. Fertig. Fall erledigt.
       
       ## Halbwahrheiten und fragwürdige Schlüsse
       
       Aber so einfach will sich vor allem die US-Antidopingbehörde Usada nicht
       abspeisen lassen. [4][In einem eigens zusammengestellten
       Frage-Antwort-Katalog] wirft sie der Wada eklatante Mängel und tendenzielle
       Bewertungen vor. Die Usada schreibt: „Die Weltantidopingagentur greift
       verstärkt auf Halbwahrheiten zurück, zieht fragwürdige Schlüsse. Sie hat es
       versäumt, ihre Regeln hart durchzusetzen.“ Der Umgang mit dem eigenen
       Regelwerk in der Wada sei „zutiefst besorgniserregend“.
       
       Ganz ähnlich sieht es der Grünen-Politiker Philip Krämer, stellvertretender
       Sportausschuss-Vorsitzender. Nach Olympia in diesem Sommer in Paris müsse
       man „grundlegend darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, eine
       Weiterfinanzierung der Wada vorzunehmen oder ob es uns eben nicht gelingt,
       ein alternatives System herausgelöst aus dem organisierten Sport
       aufzubauen“. Er will das Thema nun im Ausschuss auf die Agenda setzen.
       
       14 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Trimetazidin
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Witold_Ba%C5%84ka
   DIR [3] https://www.wada-ama.org/sites/default/files/2024-04/2024-04_fact_sheet_faq_chinese_swimming.pdf
   DIR [4] https://www.usada.org/wp-content/uploads/USADA-Responses-to-WADA-FAQs.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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