URI: 
       # taz.de -- Gespräch mit US-Künstler Henry Taylor: Wie eine Art Jazz
       
       > Der Berliner Schinkel Pavillon stellt den US-Künstler Henry Taylor
       > erstmals in Deutschland aus. Kurz vor Ende der Ausstellung haben wir mit
       > ihm gesprochen.
       
   IMG Bild: Blick in die Ausstellung. Im Vordergrund: Henry Taylor, „Another country, Ben Vereen“, 2023
       
       taz: Herr Taylor, die mit Ihnen befreundete Malerin Jill Mulleady hat für
       den Schinkel Pavillon unter dem Titel „You Me“ eine gemeinsame Ausstellung
       kuratiert, in der sie sich mit der Objektivierung weiblicher und Schwarzer
       Körper in der Kunstgeschichte auseinandersetzt. Von Ihnen ist eine
       malerische Reaktion auf Marcel Duchamps „Nu descendent un escalier No. 2“,
       die als Lithografie Teil der Ausstellung ist, und Gerhard Richters „Ema
       (Akt auf einer Treppe)“ zu sehen. Wie kam es zu Ihrer Arbeit? 
       
       Henry Taylor: Ich habe bei meiner Version an Richter gedacht, der sich auf
       Duchamp bezogen hat. [1][Bei Duchamp] ist es wie eine Operation, das
       Auseinandernehmen eines Körpers. Es fasziniert mich, aber in so einem Bild
       kann ich mich nicht bewegen.
       
       Im letzten Jahr haben Sie einige Monate in Paris gelebt und gearbeitet, für
       die Ausstellung „From Sugar To Shit“. Damit hat die Zweigstelle Ihrer
       Galerie Hauser & Wirth eröffnet. Wie kam es zu diesem Titel? 
       
       Das war etwas, was meine Mutter immer sagte: „Er ging vom Zucker in die
       Scheiße.“ Etwa als mein Bruder das College abgebrochen hat. Erinnerungen
       sind ein großer Teil meiner Arbeit. Mein Vater sagte immer „Meet Me“,
       „lerne mich kennen“. Das wurde der Titel meiner Abschlussausstellung bei
       CalArts (California Institute of the Arts). Eine Woche später ist er
       gestorben.
       
       Eine Auswahl dieser Paris-Bilder ist jetzt in Berlin zu sehen. Darunter
       eines, das Sie selbst neben dem aufgebahrten Körper Ihres Vaters zeigt.
       Ihre Gesichter sind nicht zu erkennen. Sie haben es „Me Me“ genannt. 
       
       Zuerst dachte ich, es ist nur eine Skizze, aber je weiter ich es mir
       anschaute, wurde mir klar, dass ich es nicht weiter ausbauen muss. Ich habe
       meinen Vater nur dreimal gemalt. Das erste Mal wie jemanden, den man von
       hinten die Straße entlanggehen sieht. Man sieht das Gesicht nicht, aber so,
       wie er sich bewegt, weiß man, wer es ist. Ich sehe mich in ihm.
       
       Sie haben ihn mit schwarzen Engelsflügeln gemalt. Aber anders als bei Ihrem
       Bild „Michelle“, einer übergroßen Michelle Obama als Göttin Isis, sind sie
       hier nicht ausgebreitet. 
       
       Es ist wie zu versuchen, einige erlösende Eigenschaften in den Menschen zu
       finden. Man kann vielleicht nicht die ganze Zeit ein Engel sein. Ich habe
       viel über dieses Bild nachgedacht oder wann ein Bild fertig ist. Ich weiß
       nicht, ob es jemals richtig sein kann.
       
       Sie arbeiten auch mit Assemblagen; aus Fundstücken wie Wischmops oder
       leeren Bleicheflaschen zusammengesetzten Skulpturen, die teilweise wie
       Porträts wirken. Etwa von Ihrer Mutter, die als Reinigungskraft arbeitete,
       um die Familie mit acht Kindern zu unterstützen. Aber auch als Verweis auf
       die Art von Jobs, die oft von Schwarzen in den USA ausgeübt werden. 
       
       Manchmal klingen bestimmte Dinge in der Erinnerung stärker nach. Wissen
       Sie, als ich in meine Pariser Wohnung kam, waren da etwa 30 Leinwände. Ich
       dachte, wow, was ist denn hier los? Das war wie ein ganzer Haufen
       Baumwolle, über den man nachdenken musste. Ich dachte, ich werde in Stücke
       gehen, wie meine Mutter, als sie in Akkordarbeit putzen ging. Das ist wie
       eine Art Bewusstseinsstrom, eine Art Jazz.
       
       Ebenfalls in Paris entstanden ist die Arbeit „got, get, gone, but don ’ t
       you think you should give it back?“. Sie zeigt eine nackt als Brunnenfigur
       vor dem Louvre und dem British Museum knieende Josephine Baker. Im
       Hintergrund ist ein Sklavenschiff zu sehen. Wie ist dieses Bild entstanden? 
       
       Ich denke die ganze Zeit über verschiedene Künstler nach und auch über mich
       selbst. Das war das zweite Mal, dass ich [2][Josephine Baker] gemalt habe.
       Es hätte nicht sie sein müssen, aber manchmal haben wir keine Wahl. Sie ist
       einfach aufgetaucht, vielleicht weil bei einem Rundgang noch einmal erwähnt
       wurde, dass sie in Frankreich ein großer Star war, aber auch Aktivistin in
       der Widerstandsbewegung und als erste Schwarze Frau ein Grab im Pantheon
       bekam.
       
       Die Museen zeigen voller Stolz die Objekte, die zu Kolonialzeiten aus ihren
       Herkunftsländern gestohlen wurden. In meinem Kopf setzt sich dann aus
       diesen Eindrücken und Gedanken ein Bild zusammen. Vielleicht erinnere ich
       mich auch daran, als ich in der Nervenheilanstalt gearbeitet habe und an
       die Wahnvorstellungen der Leute, und auch das wird ein Teil der Arbeit, die
       ich mache. Ich denke gerade an so viele Dinge, an Momente mit meiner
       Mutter, manchmal klammere ich mich einfach daran.
       
       Ein weiteres Paris-Bild ist „Forest fever is nothing like, „Jungle Fever““,
       dass sich auf Édouard Manets „Le déjeuner sur l’herbe“ bezieht. Bei Ihnen
       sind es drei [3][junge Schwarze Männer mit HipHop-Attributen], wie
       Goldketten, die sich in einem Park entspannen, im Hintergrund wartet eine
       große schwarze Limousine. Sehen Sie Ihre Arbeiten auch als eine Form der
       Reinterpretation des westlichen Kunstkanons? 
       
       Das war es definitiv die ganze Zeit. Aber manchmal ist es auch nur eine Art
       Spiel. Offensichtlich brauchen wir eine Repräsentation, aber dann geht es
       mir auch um die Liebe zur Malerei. Bei diesem Bild begann es mit einer
       kleinen Skizze, als ich über Manet nachdachte und darüber, im Park zu
       sitzen. Ein Park ist eine große Sache, denn in den USA haben Schwarze oft
       keinen Zugang mehr oder werden von der Polizei schikaniert.
       
       Ich habe gute Erinnerungen an die Parks, in denen ich in Oxnard
       aufgewachsen bin. Wir haben Basketball und Fußball gespielt und wir haben
       Musik gemacht. Jetzt bekommt ein Park eine ganz andere Bedeutung. Ich plane
       meine Bilder nicht vorher, sie entstehen als Ideen und dann sehe ich, was
       passiert. Das ist wie mit Musik. Du hörst etwas, erinnerst dich und trägst
       es mit dir herum. Vielleicht entsteht daraus eine Note und die Note wird
       zum Lied.
       
       Ihre Ausstellung im Whitney Museum haben Sie „Henry Taylor: B-Side“
       genannt, die Seite einer Single, die üblicherweise als weniger wichtig
       gesehen wird. Wie kamen Sie auf diesen Titel? 
       
       Die B-Seiten sind die, die übersehen werden. Oft sind die A-Seiten etwas
       kommerzieller oder zugänglicher und dann gibt es die Dinge, die
       aufrichtiger und vielleicht auch radikaler sind. Es geht auch um
       diejenigen, die in der Gesellschaft übersehen werden, die Menschen von der
       Straße. Ich meine, wir sollten einfach gewissenhaft mit verschiedenen
       Dingen umgehen, aber es auch spielerisch halten.
       
       Wie begegnen Sie Ihren Bildern in einer Ausstellung wie dieser? 
       
       Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich am liebsten versuchen würde,
       nachträglich etwas zu reparieren. Als Thelonious Monk eine Platte aufnahm,
       sagte vielleicht der Bassist: „Oh, Mann, ich wusste nicht, dass du das
       aufnehmen würdest. Es wird bleiben.“ Das ist wie die „Essenz der Existenz“,
       wie mein Vater sagte. Gleichzeitig ist es ein großer Schmerz. Ich kann
       nicht zurückgehen und alles korrigieren.
       
       17 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Duchamp-Ausstellung-in-Frankfurt/!5850928
   DIR [2] /Ausstellung-in-London-feiert-die-Diva/!5953347
   DIR [3] /HipHop-Ausstellung-in-Frankfurt/!6007113
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maxi Broecking
       
       ## TAGS
       
   DIR Interview
   DIR Kunst
   DIR zeitgenössische Kunst
   DIR Kunstgeschichte
   DIR USA
   DIR Kunst
   DIR Auschwitz-Birkenau
   DIR Konzeptkunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Siebzehn Mal Marcel Duchamp: Ein Scherz mit Duchamp
       
       Rudolf Herz ließ für seine Ausstellung „Marcel Duchamp. La Patte“ Pariser
       Straßenkünstler malen. Zu sehen ist sie im museum FLUXUS+ Potsdam.
       
   DIR Gerhard Richter in Auschwitz: Bilder zur Shoah
       
       Gerhard Richters Birkenau-Zyklus findet in Oświęcim (dt. Auschwitz) seinen
       dauerhaften Ausstellungsort. Gedanken dazu aus polnischer Perspektive.
       
   DIR Gespräch mit verstorbenem William Pope.L: „Rasse ist unglaublich immateriell“
       
       Der Konzeptkünstler William Pope.L ist im Alter von 68 Jahren gestorben.
       Letztes Jahr sprach die taz mit ihm über Konfrontationen und über freudigen
       Lärm.