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       # taz.de -- Fonds für Opfer sexualisierter Gewalt: Wie lange noch, Frau Paus?
       
       > Beim Fonds Sexueller Missbrauch klafft ein riesiges Finanzloch – nun
       > droht die Abwicklung. Das Familienministerium weist jede Schuld von sich.
       
   IMG Bild: Familienministerin Lisa Paus am Mittwoch im Bundestag
       
       Heute auf den Tag genau vor einem Jahr würdigte Familienministerin Lisa
       Paus den [1][Fonds Sexueller Missbrauch (FSM)]. Zumindest sagte sie am 16.
       Mai 2023 Sätze wie diese: „Kinder und Jugendliche erleben leider immer
       wieder, dass Erwachsene ihr Vertrauen missbrauchen. Wer in jungen Jahren
       sexuelle Gewalt erfahren hat, leidet oft sein Leben lang an den Folgen.
       Das sind keine Einzelfälle. Unsere Verantwortung ist es, konsequent gegen
       sexuelle Gewalt vorzugehen, umfassende Prävention zu betreiben und vor
       allem den Betroffenen wirksam zu helfen.“ [2][Auf der Homepage des
       Familienministeriums kann man das nachlesen]. Die Grünen-Politikerin geht
       noch weiter, sie macht den Betroffenen von sexuellem Missbrauch ein großes
       Versprechen: „Sie können auch in Zukunft auf den Fonds zählen.“
       
       Doch diese Sätze könnten der Ministerin mittlerweile als Unwahrheit
       ausgelegt werden. Denn momentan deutet alles darauf hin, dass der Fonds
       nicht weitergeführt wird. So jedenfalls lässt sich der aktuelle Bericht des
       Bundesrechnungshofs lesen: „Das BMFSFJ (Bundesfamilienministerium, d.R.)
       verstößt seit Jahren bei der Verwaltung des Fonds Sexueller Missbrauch im
       familiären Bereich gegen gesetzliche Vorschriften. Der Fonds hat zudem
       jetzt schon eine Finanzierungslücke von mehr als 53 Mio. Euro.“ Der
       Bundesrechnungshof (BRH) kommt zu dem logischen Schluss: Der Fonds muss
       abgewickelt werden, und zwar zügig.
       
       Das wäre dramatisch. Denn all jene Menschen, die in ihrer Kindheit und
       Jugend sexuelle Gewalt erfahren und sich seit 2010 nach dem Aufdecken
       [3][massenhafter Missbrauchsfälle in Kirchen], Heimen, [4][Sport]vereinen
       darauf verlassen haben, dass ihnen wenigstens als Erwachsenen geholfen
       wird, setzen in den [5][Fonds große Hoffnung.] Rund 28.000 Betroffene haben
       in den vergangenen elf Jahren, seit der Fonds eingerichtet wurde, einen
       Antrag auf finanzielle Hilfen gestellt, für Therapien, Bildungsmaßnahmen,
       Mobilitätshilfen. Manche Betroffene bekamen und bekommen einige hundert
       Euro, andere bis zu mehrere tausend Euro. Insgesamt hat der Fonds laut
       Paus-Ministerium bis heute 147 Millionen Euro gezahlt, jeden Monat melden
       sich weitere Betroffene.
       
       ## Lockeres Verhältnis zum Geld
       
       Doch mittlerweile dürften viele Anträge unbeachtet auf einem Stapel liegen,
       andere zwar begutachtet worden sein, aber unbeantwortet bleiben. Denn es
       ist laut Bundesrechnungshof nicht nur kein Geld mehr da, sondern es klafft
       dieses riesige Finanzloch. Zudem fordert [6][Finanzminister Christian
       Lindner] für den kommenden Haushalt zwar von allen Ministerien straffere
       Budgets, aber die öffentlichen [7][Kämpfe zwischen der Grünen Paus und dem
       FDP-Mann Lindner bei der Kindergrundsicherung] sind nicht zugunsten der
       Familienministerin ausgegangen. Wie soll bei diesem Kräfteverhältnis
       ausgerechnet der finanzgeplagte Fonds, der unberechtigterweise politisch
       unter Radar flog, weitergeführt werden?
       
       Das Familienministerium scheint ein etwas lockeres Verhältnis zum Geld zu
       haben. Die monetäre Lücke beim Fonds begründet es jedenfalls so:
       „Antragstellende nehmen die bewilligten Leistungen oftmals mit zeitlicher
       Verzögerung und über einen längeren Zeitraum, auch mehrere Jahre, in
       Anspruch. Dadurch ist es möglich, mehr Bewilligungen auszusprechen, als
       aktuell Geldmittel im Fonds vorhanden sind.“ Paus’ Haus verweist darauf,
       dass es sich dabei um „Vorgänge und Absprachen handelt, die in der
       vorherigen Wahlperiode stattgefunden haben“. Das mag sein, aber Betroffene
       können sich eben nur an die amtierende Ministerin wenden.
       
       ## Auf Protest einstellen
       
       Was die Betroffenen indes nicht wissen (können): Aufgrund der prekären Lage
       hatte die Regierungskoalition offenbar schon vor einiger Zeit beschlossen,
       den Fonds einzustellen – nachdem der Bundesrechnungshof bereits 2022 und
       2023 die „Haushalts- und Wirtschaftsführung des Fonds“ bemängelt hatte. Das
       sei in den Akten des Familienministeriums hinterlegt, das Ministerium habe
       zudem „ein Konzept zur Abwicklung des Fonds“ zugesagt. Das bestreitet das
       Familienministerium und versichert: „Eine Einstellung des FSM ist nicht
       vereinbart worden.“ Eher werde „über die Fortführung des FSM im Rahmen der
       aktuellen Haushaltsberatungen gesprochen“. Was ist also los im Hause Paus?
       
       Nun sollte niemand die [8][Betroffenen für eine untätige Masse halten, im
       Gegenteil,] zumindest das Familienministerium darf sich wohl auf ihren
       Protest einstellen. Und der könnte heftiger als bisher ausfallen. Ingo
       Fock, seit 20 Jahren Vorsitzender des [9][Vereins „gegen missbrauch]“,
       jedenfalls ist wütend: „Die Einstellung des Fonds Sexueller Missbrauch ist
       eine Sparmaßnahme der Regierungskoalition auf dem Rücken von Betroffen von
       sexuellem Kindesmissbrauch. Erschreckend ist zudem, dass das
       Familienministerium offenbar die eigene Aktenlage nicht zu kennen scheint
       oder dies nicht zugeben möchte.“
       
       Fock kennt sich zudem bestens beim [10][Opferentschädigungsgesetz (OEG)]
       aus. Er weiß, dass das Gesetz gut gedacht ist, nämlich dass der Staat Opfer
       nach einer Gewalttat – Überfälle, Missbrauch, Terroranschläge –
       entschädigt, wenn er sie schon vor den Taten nicht schützen konnte. [11][Er
       weiß aber auch, wie kompliziert, zermürbend, langwierig ein solcher Prozess
       ist.] Jedes Detail der Tat muss wiedergegeben, ärztliche Atteste müssen
       vorgelegt werden. Für Betroffene sexueller Gewalt in der Kindheit ist das
       zum Teil traumatisierend, viele verzichten daher auf einen OEG-Antrag und
       hatten große Hoffnung in den Fonds gesetzt. Ohnehin werden rund 60 Prozent
       der OEG-Anträge abgelehnt.
       
       Wie auch immer die Zukunft des Fonds aussieht – das Vertrauen der
       Betroffenen dürfte das Familienministerium verspielt haben. Der
       Bundesrechnungshof indes rät dem Paus-Ministerium, [12][„die Rechtsverstöße
       unverzüglich zu beenden“, und fordert, „haftungs- und disziplinarrechtliche
       Konsequenzen zu prüfen“.]
       
       16 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.fonds-missbrauch.de/
   DIR [2] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/lisa-paus-wuerdigt-zehnjaehrige-arbeit-des-fonds-sexueller-missbrauch--225086
   DIR [3] /EKD-Bericht-ueber-Missbrauch/!5984701
   DIR [4] /Sexualisierte-Gewalt-im-Sport/!5880194
   DIR [5] /Neues-Missbrauchsgesetz/!6002237
   DIR [6] /Gesetz-gegen-sexuelle-Gewalt-an-Kindern/!5997916
   DIR [7] /Kindergrundsicherung-am-Ende/!5998975
   DIR [8] /Kampagne-gegen-sexuellen-Missbrauch/!5972564
   DIR [9] https://www.gegen-missbrauch.de/
   DIR [10] https://www.hilfe-info.de/Webs/hilfeinfo/DE/HilfeUndBeratung/FinanzielleHilfen/Opferentschaedigung/Opferentschaedigung_node.html
   DIR [11] /Traumatisierte-ehemalige-Heimkinder/!5926443
   DIR [12] https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2024/ergaenzungsband-2023/34-volltext.pdf?__blob=publicationFile&v=2
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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