URI: 
       # taz.de -- Reichsbürger-Prozess in Stuttgart: Die sensiblen Reichsbürger
       
       > Am Tag vier des Prozesses zeigt ein Video den Schusswechsel beim
       > Polizeieinsatz. Den Reichsbürgern fällt das Hingucken offenbar schwer.
       
   IMG Bild: Vor dem Tatort in Reutlingen im März 2023
       
       Stuttgart taz | Die Polizei greift um vier Minuten nach sechs in der Früh
       zu. Drei Monate, nachdem die Führungsebene der mutmaßlichen
       [1][Reichsbürger-Verschwörung um den Prinzen Reuß ausgehoben] wurde. Das
       Sondereinsatzkommando stürmt das Wohnhaus von Markus Peter L. in Reutlingen
       mit Schutzschild und Blendlampen. Unter Rufen: „Polizei! Markus Peter L.
       komm’ heraus, zeig Deine Hände!“ arbeiten sich die Beamten in den ersten
       Stock vor.
       
       Nun ist Tag vier der Verhandlung im Hochsicherheitsgerichtssaal
       Stuttgart-Stammheim gegen den militärischen Arm der mutmaßlichen
       [2][Verschwörertruppe]. Das Gericht widmet sich wegen der gesundheitlichen
       Unpässlichkeit eines anderen Angeklagten vorzeitig Markus Peter L., dem
       einzigen Mitglied der Truppe, das Gewalt nachweislich angewandt hat.
       
       Auf zwei riesigen Videowänden zeigt das verwackelte Polizeivideo, wie sich
       Markus L. im Dachgeschoss des Hauses auf einem Sofa hinter einem Bürostuhl
       verschanzt, den er mit einer schusssicheren Weste überzogen hatte. Als die
       Polizei die Tür zu dem Zimmer öffnet, ruft er: „Zurück, oder ich schieße“.
       Was er dann auch tut. Nach mehrfachen Warnungen eröffnet die Polizei das
       Feuer, Markus L. schießt zurück. Dann ertönt der Schrei des getroffenen
       Beamten: „Hab ’nen Treffer im Arm, mein Arm ist komplett am Arsch“, der
       Film bricht ab.
       
       ## Ein Profi mit sechs Waffenbesitzkarten
       
       Markus Peter L. schaut sich die Wackelbilder aus der ersten Reihe der
       Anklagebank seelenruhig an. Die Arme verschränkt, ein Endvierziger mit
       Bierbauch, grauen, kurzen Haaren und Technokratenbrille, Durchschnittstyp.
       Der mutmaßliche Mordversuch, wegen dem er hier hinter Panzerglas sitzt, ist
       ein Beweis dafür, dass die Reuß-Gruppe [3][keineswegs eine lächerliche
       „Rollatortruppe“ war], als die sie etwa von der AfD verharmlost wurde.
       
       Markus Peter L. wusste, was er da tat. Der ehemalige
       Bundeswehr-Obergefreite hatte sechs Waffenbesitzkarten, durfte mit
       Sprengstoff hantieren und hatte eine halbautomatische Langwaffe. Vor allem
       aber konnte L. nach Ansicht der Ermittler aus Bauteilen, die er im Internet
       bestellte, selbst Waffen und Munition herstellen. Dabei war der Reutlinger
       von den Ermittlern zunächst eher als Beifang zur Beweissicherung angesehen
       worden. Die Bundesanwaltschaft hatte zwar die Durchsuchung genehmigt, sah
       aber nicht genügend Hinweise, um die Ermittlungen zur Reuß-Gruppe auch auf
       ihn als Verdächtigen auszuweiten.
       
       L. war davor nur einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Im Mai 2021
       nach einer Querdenker-Demonstration im schwäbischen Ofterdingen hatte man
       ihn zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt. Dort war er zusammen mit
       weiteren Männern in Schwarz aufgetreten und hatte ein Barett mit
       Bundeswehrabzeichen auf dem Kopf. Damit hatte er gegen das Verbot von
       militärischen Abzeichen auf Demonstrationen verstoßen.
       
       Der Verteidiger von Markus Peter L. argumentiert nach dem Film, man habe
       seinem Mandanten gar keine Chance gegeben, sich freiwillig zu stellen.
       Überhaupt zeigen die Angeklagten am vierten Prozesstag viel Sensibilität.
       Einer meint, die Gewaltszenen im Film kaum zu ertragen, ein anderer bittet,
       den Film leiser zu stellen. „Ich kann’s Ihnen nicht ersparen.“, so der
       Richter Joachim Holzhausen.
       
       15 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Reichsbuerger-Putsch/!6004794
   DIR [2] /Reichsbuergerprozess-in-Stuttgart/!6008653
   DIR [3] /Grossprozess-gegen-Reichsbuerger/!6005036
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
       ## TAGS
       
   DIR Reichsbürger
   DIR Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG)
   DIR Rechtsextremismus
   DIR GNS
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Rechtspopulismus
   DIR Reichsbürger
   DIR Osnabrück
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR Reichsbürger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommunalwahlen in Baden-Württemberg: Keine Liste für die AfD
       
       In einigen Städten im Südwesten bekommt die AfD nicht genug Leute für die
       Wahl zusammen. Die Erklärungen fallen sehr unterschiedlich aus.
       
   DIR Prozess gegen Reichsbürger beginnt: Von wegen Rollator-Gang
       
       Der innere Zirkel der Gruppe Reuß steht seit Dienstag in Frankfurt a. M.
       vor Gericht. Ihre Umsturzpläne waren fortgeschritten und auf Gewalt
       ausgerichtet.
       
   DIR Politologe über die Neue Rechte: „Zurück ins Schubladendenken“
       
       Die Neue Rechte verkauft ihre Ideologie mit Verweis auf die „gute, alte
       Zeit“. Volker Weiß und Elke Gryglewski diskutieren, wie sich das kontern
       lässt.
       
   DIR Geplante Lauterbach-Entführung: Wirre Reichsbürger-Telefonate
       
       Rechte wollten 2021 Karl Lauterbach entführen und die Regierung stürzen.
       Beim Prozess wird klar, wie absurd ihr Plan war.
       
   DIR Größtes Terrorverfahren aller Zeiten: Anklage gegen Putsch-Reichsbürger
       
       Vor einem Jahr ließ die Bundesanwaltschaft 27 Reichsbürger festnehmen. Nun
       erhebt sie Anklage. Die Gruppe habe Tote einkalkuliert.