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       # taz.de -- Kulturelle Landpartie im Wendland: Harfenkurs und Hatha-Yoga
       
       > Bei der Kulturellen Landpartie im Wendland gibt es unzählige
       > Ausstellungen, Kurse und Konzerte. Ein paar Veranstalter machen ihr
       > eigenes Ding.
       
   IMG Bild: Jonglage bei der Landpartie 2018
       
       Wollten Sie nicht schon immer mal Harfe spielen lernen? Bei der Kulturellen
       Landpartie im Wendland ist das angeblich kein Problem. Nach 60 Minuten,
       verspricht Kursleiter Thomas Breckheimer aus der Zeetzer Mühle, „spielen
       alle Harfe“. Auch diejenigen, die vorher noch nie in ihrem Leben ein
       solches Instrument in der Hand hatten.
       
       Die täglichen Harfencrashkurse – Kosten: 15 Euro oder wahlweise ein Sack
       trockenes Brennholz – gehören zum Standardangebot der Landpartie, die
       derzeit zum 35. Mal stattfindet. Seit dem Himmelfahrtstag und noch bis zum
       Pfingstmontag gibt es in dem durch die Gorleben- und Castor-Proteste auch
       international bekannt gewordenen Landkreis Lüchow-Dannenberg an rund 100
       Orten mehr als 1.000 Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge
       und Exkursionen. Die Kulturelle Landpartie ist damit der bei Weitem größte
       Veranstaltungszyklus dieser Art in Deutschland.
       
       [1][Hatha-Yoga] im Obstgarten, Tai Chi Xigung im Wiesenlabyrinth, eine
       Lamatour über den Osterberg oder einfach „meditatives Chaos“: Insbesondere
       für gestresste Großstadtbewohner:innen hält die Landpartie zahlreiche
       Angebote zur körperlichen wie seelischen Entspannung bereit. Therapeuten
       und Schamaninnen offerieren in Gärten und Scheunen Reiki und Massagen. In
       Harlingen wird „Quantenheilung für Mensch und Tier“ angeboten, „Einfach
       drauflos weben“ können Interessierte in Harpe, Klein Breese lockt mit einem
       „Segen-Ritual aus Maya-Weisheit“.
       
       Es gibt Kurse für nahezu alles und jede:n. „Anhänger filzen mit Nadel und
       Wolle“ kann ebenso erlernt werden wie Zaubertricks. Interessierte können an
       Wildkräuterwanderungen und Führungen über einen Ziegenhof teilnehmen, am
       „Vocal Painting Workshop mit Vera“ oder an Kursen für Silberschmiedekunst
       und Glasblasen.
       
       ## Kunst, Kultur und Kuchen
       
       Nahezu alle Künstler:nnen und Kulturschaffende, die sich in den
       vergangenen Jahren im Wendland niedergelassen haben, öffnen während der
       Landpartie ihre Werkstätten und Ateliers. Das Publikum kann Malern und
       Bildhauern in ehemaligen Ställen bei der Arbeit zusehen sowie Theater und
       Musik auf Höfen und Dorfplätzen erleben.
       
       An den meisten der „Wunderpunkte“ genannten Ausstellungs- und
       Veranstaltungsorte werden die Besucher:innen mit selbst gebackenen
       Kuchen und Spezialitäten aus der Region versorgt. Es gibt fangfrischen
       Fisch aus Gorleben und Bratwurst vom Wildschwein aus den weitläufigen
       Wäldern der Göhrde.
       
       Ein beliebter Anlaufpunkt ist das Hof- und Wohnprojekt „Ein Ding der
       Möglichkeit“ im kleinen Rundlingsdorf Salderatzen. Auf der Freilichtbühne
       treten während der Landpartie Chöre auf. Scheunen fungieren als Galerien,
       Ställe werden zu Ateliers, das „Heuhotel“ ist stets komplett ausgebucht.
       Auf einer Wiese hinterm Haus findet sich aber meistens noch ein Platz zum
       Zelten.
       
       ## Kulturschaffende zog es in die Gegend
       
       Die Kulturelle Landpartie geht auf den Widerstand der Lüchow-Dannenberger
       Bevölkerung gegen die Atomanlagen in Gorleben zurück: Im Februar 1977 hatte
       der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) das
       Elbdorf als Standort für ein [2][„Nukleares Entsorgungszentrum“] benannt
       und damit massive Proteste ausgelöst. Eine atomare
       Wiederaufarbeitungsanlage und ein Endlager für Atommüll ließen sich
       angesichts des andauernden Widerstandes nicht durchsetzen.
       
       Nach den ersten großen Demonstrationen in Gorleben zogen in den 1970er und
       1980er Jahren [3][zahlreiche Künstler, Kunsthandwerker, Schriftsteller und
       andere Kulturschaffende] aus Großstädten ins Wendland. Seit 1989 öffnen sie
       und viele Landwirte zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ihre Werkstätten,
       Ateliers und Höfe für das Publikum.
       
       Außer um Gorleben drehen sich viele Ausstellungen, Vorträge und Aktionen in
       diesem Jahr um die Themen Klimawandel und Wasserverbrauch sowie um den
       Protest gegen Rechtsextremismus. Am Montag thematisierte ein Vortrag in
       Salderatzen „Die völkische Unterwanderung ländlicher Strukturen“, für den
       16. Mai war ebendort ein „Argumentationstraining gegen Rechts“ angekündigt.
       
       ## Techno, Blues, Chanson
       
       Den 17. Mai haben die Veranstalter:innen zum „politischen Freitag“
       ausgerufen: Am „Beluga-Dreieck“ im Gorlebener Wald, wo auf einer Lichtung
       in Sichtweite des Atommüllzwischenlagers und des stillgelegten
       Endlager-Erkundungsbergwerks das frühere Greenpeace-Expeditionsschiff
       „Beluga“ aufgebockt ist, gibt es neben viel Musik auch Infostände,
       Kundgebungsreden und Plakatausstellungen.
       
       Überschüsse aus dem Verkauf von Pizza, Bier und Waffeln gehen an die
       Kampagne „Das Wendland schickt ein Schiff“. Nach 40 Jahren [4][Kampf gegen
       das Atommüllendlager] haben Aktivisti:innen aus der Region ein eigenes
       Boot zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung ins Mittelmeer geschickt.
       Seit August 2023 hilft das wendländische „Compass Collective“ bei der
       Rettung von Flüchtenden.
       
       Bleibt das Wetter bei der diesjährigen Landpartie so gut, wie es ist,
       könnte dieses Mal der bisherige Besucherrekord von rund 50.000 Menschen
       noch übertroffen werden. Der Massenandrang, aber auch Streit um das
       künftige Konzept haben dazu geführt, dass sich einige Dutzend Veranstalter
       von der großen Schwester Landpartie verabschiedet und ihre eigenen
       Strukturen aufgebaut haben. Was vielen zunächst als Übergang erschien, hat
       sich inzwischen etabliert: Der „Landgang“ und die „Wendlandpartie“ finden
       bereits zum vierten Mal parallel zur Kulturellen Landpartie statt und
       warten mit eigenen Programmen auf.
       
       Merkmal des „Landgangs“ ist der grundsätzlich hohe Anspruch an die Qualität
       seiner Aussteller, Klasse statt Masse ist hier das Prinzip. Ausdrücklich
       wenden sich die Initiatoren vom „Rummel“ und Handelsware an vielen
       „Wunderpunkten“ der Landpartie ab. Dieses Jahr sind es zehn Orte mit 19
       Ausstellern, die sich unter dem Motto „Werk + Kunst“ am „Landgang“
       beteiligen. Gegenteiliges bietet die „Wendlandpartie“, sie soll und wird
       eher ein am Vergnügen interessiertes Publikum anziehen. In Bischof,
       Kussebode und auf Gut Corvin gibt es vom Vormittag bis in die Nacht Musik –
       von der Technoparty über Blues und Rock bis hin zu Chansons.
       
       17 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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