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       # taz.de -- Ausländische Pflegefachkräfte: Lange Wege nach Deutschland
       
       > In der Not suchen Kliniken verstärkt im Ausland nach Fachkräften.
       > Vorreiterin in Bremen ist das Rote Kreuz. Hierher kommen die Leute von
       > selbst.
       
   IMG Bild: Dass sie in Deutschland auch Grundpflege leisten müssen, ist für viele ausländische Pflegekräfte eine Umstellung
       
       Bremen taz | Etwa einmal pro Woche bekommt Ines Wißotzki eine Mail mit dem
       Inhalt: „Kann ich mich bewerben?“ oder: „Kann xy sich bewerben?“ Die
       Antwort lautet bei entsprechender Qualifikation als Pflegefachkraft
       grundsätzlich ja, denn Ines Wißotzki arbeitet bei der Bremischen
       Schwesternschaft vom Roten Kreuz und koordiniert dort die Betreuung
       ausländischer Pflegefachkräfte. Die meisten von ihnen arbeiten im Rotes
       Kreuz Krankenhaus (RKK) in der Bremer Neustadt. [1][Wie allen Kliniken
       deutschlandweit fehlt dort Personal].
       
       Als erste in Bremen hat die Schwesternschaft gezielt Pflegefachkräfte aus
       dem Ausland angeworben. Die ersten sind 2019 nach Deutschland gekommen.
       Inzwischen arbeiten rund 80 von ihnen auf den Stationen. Das sind 25 mehr
       als beim städtischen Krankenhausbetrieb Geno, bei dem mit 8.000
       Beschäftigten mehr als elfmal so viele Mitarbeiter:innen tätig sind.
       Dafür stellt die Geno seit dem Jahr 2022 jährlich rund 30 Auszubildende aus
       dem Nicht-EU-Ausland ein, vermittelt von Ehrenamtlichen in den
       Herkunftsländern.
       
       Die Strategie der Geno zur [2][Gewinnung ausländischer Pfleger:innen] ist
       am Dienstag Thema in der Gesundheitsdeputation der Bremischen Bürgerschaft.
       „Kompliziert, zeitaufwendig, teuer“, so lässt sich der vorab vorliegende
       Bericht zusammenfassen. So würde die Rekrutierung pro Fachkraft den
       Arbeitgeber 15.000 bis 18.000 Euro kosten. Die Zahl hat die
       Gesundheitsbehörde dem Pflegemarkt-Report entnommen.
       
       „Das kommt hin“, sagt dazu Ines Wißotzki von der Bremischen
       Schwesternschaft. Der Preis sei gerechtfertigt, wenn die Pflegefachkräfte
       von den Vermittlungsagenturen im Heimatland so vorbereitet worden sind,
       dass diese dann auch wirklich in den Einrichtungen einsatzbereit sind. „Wir
       haben aber auch anfangs andere Erfahrungen gemacht“, sagt Wißotzki.
       
       Mittlerweile rekrutiert die Schwesternschaft die Mitarbeiter:innen
       selbst im Ausland, seit 2022 als eines von 57 Unternehmen in Deutschland,
       die das Prüfsiegel „Faire Anwerbung Pflege“ tragen. Auf diese Weise spart
       sie zum einen die Kosten für Vermittlungsagenturen – zum anderen hat sie
       mehr Einfluss auf die Auswahl der Personen und kann so besser
       sicherstellen, dass sie geeignetes Personal einstellt.
       
       ## Mund-zu-Mund-Propaganda
       
       Möglich macht das Mund-zu-Mund-Propaganda. „Das spricht sich herum“, sagt
       Wißotzki. Ihre Mailadresse, die auf keiner Homepage steht, werde
       weitergereicht. „Dann melden sich entweder Leute, die jemand kennen, der
       oder die schon bei uns arbeitet oder jemand aus dem Haus fragt für Bekannte
       an.“ Am Anfang seien viele aus Jordanien gekommen, weil die erste
       Vermittlungsagentur dort ansässig war. Mittlerweile arbeiteten Pflegekräfte
       aus 20 Ländern im RKK, viele aus den Balkanstaaten, aber auch aus der
       Ukraine und jetzt verstärkt Frauen aus dem Iran.
       
       Letztere, sagt Wißotzki, kämen aus politischen Gründen, sie wollten frei
       leben. Deshalb holten auch alle ihre Familien zügig nach – was aber für die
       Mehrzahl der ausländischen Pfleger:innen gelte. Nach ihren Erfahrungen
       seien es [3][in der Regel keine Arbeitsmigrant:innen], deren Kinder
       von den Großeltern im Heimatland groß gezogen werden, bis sie genug
       verdient haben, um zurückkehren zu können. Deshalb sieht Wißotzki hier
       neben den langen Bearbeitungszeiten für Visa die größten Hürden: „Es fehlt
       an Wohnungen und Kindergartenplätzen.“ Alleinstehende und Alleinanreisende
       könne die Schwesternschaft zusammen mit dem Rotes Kreuz Krankenhaus in
       eigenen oder angemieteten Wohnungen unterbringen, aber keine Familien.
       
       Deshalb telefonieren sie und ihre Kollegin viel mit Vermieter:innen, aber
       auch Schulen und Kindertagesstätten sowie diversen Behörden. Die deutsche
       Bürokratie sei für die meisten der internationalen Pfleger:innen ein
       Kulturschock, sie verbringe viel Zeit damit, Amtsschreiben zu erklären.
       
       Viel Papierkram abzuwickeln gebe es auch, bevor jemand überhaupt ein Visum
       bekommt. „Die Stapel sind oft fünf bis acht Zentimeter hoch“, sagt
       Wißotzki. Die Bewerber:innen müssen ihre Qualifikationen und
       Erfahrungen nachweisen, dazu Deutschkenntnisse.
       
       ## Vereinfachte Verfahren
       
       Seit diesem Jahr ist das Verfahren allerdings bundesweit vereinfacht
       worden. So können die Behörden auf Schulzeugnisse, Geburtsurkunden und
       andere Dokumente verzichten, die für das Anerkennungsverfahren als
       Fachkraft nicht relevant sind. Auch Beglaubigungen würden nur noch bei
       begründeten Zweifeln angefordert, so eine Sprecherin der Bremer
       Gesundheitsbehörde. Übersetzungen seien nicht mehr erforderlich, wenn das
       Original in englischer Sprache vorliege.
       
       Nicht mehr zwingend ist zudem eine Vorab-Prüfung, ob die ausländische
       Ausbildung der deutschen gleichwertig ist. Wer auf diese
       Gleichwertigkeitsprüfung verzichtet, muss in Deutschland eine umfassende
       Kenntnisprüfung ablegen. Darauf werden manche Fachkräfte im Ausland
       vorbereitet, andere erst in Deutschland. Die Geno wolle dies nun generell
       so handhaben, teilt die Bremer Gesundheitsbehörde mit. Der Vorteil: Wenn
       die Fachkenntnisse nicht ausführlich geprüft werden müssen, sind die
       Menschen schneller im Land.
       
       Das RKK und die Bremische Schwesternschaft haben sich dennoch für die
       Alternative entschieden: Sie lassen die Gleichwertigkeit prüfen und schulen
       dann in einem Anpassungslehrgang gezielt die Inhalte, die einer Person
       fehlen. Der Grund: Die Kenntnisprüfung sei sehr umfangreich und schwer zu
       bestehen, hätten die internationalen Pflegekräfte erfahren, sagt Ines
       Wißotzki. Einige seien anfangs durchgefallen.
       
       Die Anpassungslehrgänge, die auch Beschäftigten anderer Einrichtungen
       offenstehen, dauern zwischen drei und 18 Monaten. In dieser Zeit können die
       Personen dann nur als Pflege-Helfer:innen eingesetzt werden, bis sie als
       Fachkräfte anerkannt sind.
       
       ## Kulturelle Unterschiede
       
       In den ersten zwei Wochen nach der Ankunft gebe es nur Theorie, sagt Ines
       Wißotzki. Dort würde Wesentliches besprochen: welche Aufgaben sie in
       Deutschland haben, worauf sie sich einstellen müssen. Die wichtigsten
       Unterschiede würden sie aber schon in den Bewerbungsgesprächen per
       Videocall besprechen. „Wir hatten anfangs Muslimas, denen nicht klar war,
       dass sie hier auch die Grundpflege bei Männern übernehmen müssen.“ Oder
       dass sie aus hygienischen Gründen keine langen Ärmel tragen dürfen.
       
       In den meisten Herkunftsländern würden die Patient:innen zudem von den
       Angehörigen versorgt und gewaschen. „Die Fachkräfte machen dort keine
       Grundpflege und müssen sich sehr umstellen.“ Deshalb würden viele am
       liebsten in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation arbeiten. „Das
       kommt dem ärztlichen Handeln näher.“ Auch Sprachkenntnisse müssten oft noch
       vertieft werden.
       
       Nicht immer führt der Aufwand zu einem dauerhaften Arbeitsverhältnis.
       Ursprünglich hätten 105 Personen angefangen, sagt Ines Wißotzki, aber eine
       Ausfallquote von 20 Prozent gebe es auch bei inländischen
       Arbeitnehmer:innen. Bei der Geno sind von 65 Angeworbenen 55 geblieben.
       
       Wie viele ausländische Fachkräfte insgesamt in Bremen in Heimen und
       Kliniken arbeiten, wird nicht erhoben. Im Jahr 2023 wurden nach Angaben der
       Gesundheitsbehörde 263 Anträge auf Anerkennung gestellt, also nach
       Absolvierung entweder der Kenntnisprüfung oder des Anpassungslehrgangs, in
       dem auch Lehrinhalte geprüft werden. In drei Fällen sei der Antrag auf
       Anerkennung zurückgezogen worden, da kein passender Ausbildungsberuf
       vorlag. In einem Fall wurde die Anerkennung abgelehnt. Die meisten Anträge
       seien von Staatsangehörigen aus Tunesien und Indien gestellt worden,
       gefolgt vom Libanon, den Philippinen und Vietnam.
       
       7 May 2024
       
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