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       # taz.de -- Europa und der Gaza-Krieg: Unerwünschter Redner
       
       > Dem britisch-palästinensischen Chirurgen Ghassan Abu Sitta wurde in
       > Frankreich die Einreise verweigert – so wie im April in Deutschland.
       
   IMG Bild: Darf er gar nicht mehr in die EU einreisen? Der britisch-palästinensische Chirurg Ghassan Abu Sitta in Beirut im Dezember 2023
       
       Paris/Berlin taz | Ghassan Abu Sitta, ein für seine humanitären Einsätze in
       Gaza bekannter britisch-palästinensischer Chirurg und Rektor der
       Universität Glasgow, wurde am Samstag von der französischen Grenzpolizei
       auf dem Flughafen Paris-Charles-de-Gaulle an der Einreise gehindert.
       
       Mitte April war er bereits in Deutschland am Flughafen in Berlin an der
       Einreise gehindert worden. Er hätte damals auf dem [1][umstrittenen
       Palästina-Kongress] in Berlin sprechen sollen, der von der Polizei
       aufgelöst und verboten wurde. Als Motiv für das französische Einreiseverbot
       wurde nun auf den deutschen Entscheid vom 12. April verwiesen, Abu Sitta
       wie andere Gastredner aus nicht einreisen zu lassen.
       
       Ein französischer Beamter sagte der Nachrichtenagentur AP zufolge, Abu
       Sitta sei abgewiesen worden, weil ihm die Einreise in alle Länder des
       Schengen-Raums aufgrund eines deutschen Ersuchens verwehrt worden sei. Der
       französische Beamte, der gemäß der Regierungspolitik nicht öffentlich
       genannt werden darf, wollte keine Einzelheiten oder weitere Informationen
       nennen. Das Präsidentenamt im Elysée-Palast erklärte hingegen, über den
       Vorgang nicht informiert zu sein.
       
       Ghassan Abu Sitta hatte am Samstag auf X geschrieben, dass er nicht wie
       vorgesehen bei einer Konferenz im französischen Senat sprechen könne,
       [2][weil er von Deutschland für ein Jahr aus der gesamten EU „verbannt“
       worden sei].
       
       ## Das Einreiseverbot wirft Fragen auf
       
       Ghassan Abu Sitta war aufgrund seiner humanitären Tätigkeit als Arzt in
       Gaza in der Zeit nach dem 7. Oktober und bis Mitte November von einer
       Senatorin der französischen Grünen als Augenzeuge zu einer Konferenz über
       das Völkerrecht eingeladen worden. Das Thema der Debatte war: Respektiert
       Frankreich das internationale Recht?
       
       Abu Sitta war während des Krieges mit einer Delegation der Organisation
       Ärzte ohne Grenzen als Chirurg in Gaza gewesen und hatte in Interviews mit
       internationalen Medien geschildert, unter welchen Bedingungen er als
       Chirurg in den Krankenhäusern al-Schifa und al-Ahli operieren musste: unter
       äußerst prekären hygienischen Bedingungen und oft ohne Narkose und
       Schmerzmittel für die schwerverletzten Patienten, bei denen es sich um
       Opfer der israelischen Bombardierungen des Gazastreifens handelte. Im
       Januar hatte er diesbezüglich auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof
       in Den Haag ausgesagt.
       
       Vor dem Senat in Paris aber scheinen seine Darstellungen nicht erwünscht zu
       sein. Oder hatten ihn die schlecht informierten französischen
       Grenzpolizisten womöglich mit dem (allerdings viel älteren) Historiker
       Salman Abu Sitta verwechselt? Der war im April ebenfalls nicht als
       Gastredner in Berlin zugelassen worden und hatte dann das Redeverbot per
       Video umgangen und damit den Abbruch des Kongresses veranlasst.
       
       Im Kontext der propalästinensischen Proteste an der [3][Pariser Hochschule
       Sciences Po] und anderen Universitäten wirft das Einreiseverbot Fragen auf.
       Der kommunistische Senator Ian Brossat bezeichnete das Einreiseverbot ohne
       Zögern als „Schande“. Im Verlauf des späteren Nachmittags wurde bei der
       Konferenz im Senat eine aufgezeichnete Videobotschaft des unerwünschten
       Arztes ausgestrahlt.
       
       Unklar ist, welche deutsche Behörde das Betätigungsverbot gegen Ghassan Abu
       Sitta verfügt hat – und warum. Kritiker werfen ihm vor, der „Volksfront zur
       Befreiung Palästinas“ (PFLP) nahezustehen, weil er vor vier Jahren auf der
       Beerdigung eines verstorbenen Gründers der Organisation eine Trauerrede
       hielt. Die PFLP steht seit 2023 auf der EU-Terrorliste.
       
       Aber ist das der Grund für das Betätigungsverbot? Auf Anfrage der taz
       verwies das Bundesinnenministerium am Sonntag auf die Bundespolizei und die
       Berliner Senatsverwaltung für Inneres. Ghassan Abu Sittas Anwälte wollen
       sich damit nicht zufriedengeben: Sie bereiten rechtliche Schritte vor, wie
       sie der taz sagten.
       
       5 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Palaestina-Kongress-in-Berlin-aufgeloest/!6004209
   DIR [2] https://twitter.com/GhassanAbuSitt1/status/1786673587673239605
   DIR [3] /Nahost-Proteste-an-Sciences-Po/!6008414
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
   DIR Daniel Bax
       
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