# taz.de -- Kinotipp der Woche: Guter schlechter Geschmack
> Aufs Feinste subversiv: Das Hackschen Höfe Kino zeigt Filme der Queer
> Cinema-Legende John Waters, darunter die Tanz-TV-Komödie „Hairspray“ mit
> Divine.
IMG Bild: John Waters „Hairspray“ war Divines letzter Film (Zweite von rechts)
Eines der großen Verdienste des Filmemachers John Waters aus Baltimore in
den USA ist, dass es Dank ihm auch so etwas wie einen guten schlechten
Geschmack gibt. Haarsträubende Plots, Teenie-Schmonzetten, Schmalz und
Kitsch muss man selbst als Cineast nicht zwangsläufig verachten, hat man
von ihm gelernt, sondern man darf selbst den größten Müll auf der Leinwand
lieben, zumindest so lange er mit etwas Leidenschaft inszeniert wurde.
Dass er es dabei geschafft hat, vom [1][absoluten Underground-Filmemacher]
hin zu einer geachteten und einflussreichen Ikone aufzusteigen, die selbst
in einer Folge der „Simpsons“ einen prominenten Auftritt hat, ist geradezu
eine rührende und fast unglaubliche Geschichte. Und fast schon Stoff für
einen echten John-Waters-Film.
Doch der Mann mit dem ewigen Menjou-Bärtchen geht langsam auf die Achtzig
zu und dreht schon seit einer Weile keine Filme mehr. Als Intellektueller,
der sich immer noch mit großer Begeisterung alles Mögliche im Kino
reinzieht, bleibt er dabei weiterhin eine Instanz.
Seine am Ende jeden Jahres herausgegebene Liste mit seinen liebsten Filmen,
die er in den letzten 365 Tagen gesehen hat, ist Kult. Und seine Filme,
Meisterwerke des transgressiven Gay-Kinos [2][ein bleibendes Vermächtnis,
das in alle möglichen Richtungen strahlt]. In seiner vor kurzem
erschienenen Autobiographie berichtet der Berliner Splatterfilm-Meister
Jörg Buttgereit, dass er zum deutschen John Waters werden wollte, nachdem
er dessen frühes Machwerk „Pink Flamingos“ gesehen hatte.
Das [3][Hackesche Höfe Kino] zeigt noch bis Mitte Juni eine kleine
Retrospektive mit Filmen von John Waters. Die wildesten Streifen aus den
Siebzigern wie das besagte „Pink Flamingos“ und [4][„Female Trouble“]
liefen bereits. Nun ist das Spätwerk an der Reihe, das als vergleichsweise
kommerziell gilt. Mag sein, aber im Vergleich zu „Pink Flamingos“, in dem
die große Diva Divine in einer berühmt-berüchtigten Szene nicht nur so tut,
als würde sie Hundescheiße essen, sondern wirklich Hundekot verspeist, und
in einer Filmepisode so getan wird, als würde der Beischlaf mit Hühnern
vollzogen, ist so ziemlich jeder Film kommerziell.
Divine, die berühmte Drag-Queen und große Muse von Waters, ist auch in
„Hairspray“ (1988) zu bewundern, ihrem letzten Film vor ihrem Tod. Dieser
ist bis heute Waters bekanntester Film, auch Dank eines erfolgreichen
Musicals, das später unter demselben Namen für Furore sorgte.
Allein schon das Casting in diesem Film ist völlig irre. Neben Divine
treten hier der Sixties-Popstar Sonny Bono, die Fifties-R&B-Queen Ruth
Brown und die Achtziger-New-Wave-Legende Debbie Harry auf. Dass Waters für
seine schillernden Trashfilme so ziemlich jede und jeden aus dem
Showbusiness bekommen konnte, zeigt auch sein Film „Cry-Baby“ (1990) mit
Johnny Depp in der Haupt- und Iggy Pop in einer Nebenrolle.
All die gezeigten Filme sind Schund, aber das in seiner großartigsten Form.
Die amerikanische Mainstreamgesellschaft wird aufs Korn genommen, der
Spießbürger erschreckt und Fragen nach Moral und Anstand werden auf eine
Weise beantwortet, die dem Papst und solchen Leuten wirklich überhaupt
nicht gefallen. John Waters steht für subversives Kino vom Allerfeinsten.
Man sollte sich immer wieder neu ansehen, was es einem noch zu sagen hat.
22 May 2024
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## AUTOREN
DIR Andreas Hartmann
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