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       # taz.de -- Debatte über HKW-Literaturpreis: Ist das Kunst oder kann das weg?
       
       > Eine Jury ist mit dem Vorwurf konfrontiert, Literatur politisch zu
       > bewerten. Dabei lässt sich das Ästhetische nicht vom Schreibenden
       > trennen.
       
   IMG Bild: Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin verleiht den Internationalen Literaturpreis
       
       Was ist literarische Qualität? Können Menschen sie objektiv bestimmen? Und
       kann man sie von der Literatur schreibenden Person trennen? Das sind große
       Fragen, die gerade große Experten des Literaturbetriebs vor großen Augen
       des Feuilleton-Publikums diskutieren. Anlass ist ein [1][in der Zeit
       erschienener Text] zweier ehemaliger Jurymitglieder des Internationalen
       Literaturpreises des Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin. Sie werfen
       den anderen Jurymitgliedern und dem Haus vor, Literatur nicht nach
       ästhetischen, literarischen, sondern nach politischen Kriterien
       auszuzeichnen.
       
       Nun kann ich keine große These über die Bedeutung dieses Vorgangs für die
       Gegenwartsliteratur anbieten. Stattdessen möchte ich, wie an dieser Stelle
       üblich, eine Annäherung aus persönlicher Perspektive wagen. Das ist die
       eines Kolumnisten, der [2][aus der Sicht eines Arbeiterkindes mit
       Migrationshintergrund] schreibt – und der diese Kolumne so nicht schreiben
       würde, wäre er kein Arbeiterkind mit Migrationshintergrund.
       
       In der Debatte geht es auch um die Frage, in welchem Verhältnis die
       ästhetische Qualität von Texten und die Marginalisierung von Autor:innen
       stehen. Schadet den Marginalisierten nicht, wer nicht ausschließlich ihre
       Arbeit, sondern auch ihre Biografien berücksichtigt? Oder übersieht man
       ihre gute Arbeit, wenn man ihre Biografien nicht berücksichtigt?
       
       Ich habe vor ein paar Jahren begonnen, „Postprolet“ zu schreiben, weil mein
       Wunsch, eine Kolumne zu schreiben, in eine Zeit fiel, in der sich Menschen
       für meine Perspektive interessierten. Wäre es nicht so gewesen, würde ich
       dann trotzdem eine Kolumne schreiben? Vielleicht. Was ich aber mit
       Sicherheit sagen kann: Bevor ich einen Text geschrieben habe, der
       veröffentlicht wurde und auf den ich Resonanz bekam, hätte ich nie daran
       geglaubt, dass ausgerechnet ich einen Text schreiben kann, der
       veröffentlicht wird und den andere Menschen lesen.
       
       ## Der Wert der lästigen Verquickung
       
       Die Möglichkeit, diese entscheidende Erfahrung zu machen, habe ich nicht
       bekommen, weil ich schon mit 18 gewusst hätte, dass ich einmal
       professionell Texte schreiben möchte. Mir fehlte schon die entsprechende
       materiell-ideelle Unterstützung der Familie und das entsprechenden
       Selbstbewusstsein, die entsprechende Laufbahn einzuschlagen. Vielmehr
       konnte ich diese Erfahrung machen, weil ich auf Menschen gestoßen bin, die
       sich für meine Perspektive interessiert haben, vielleicht gerade weil die
       sich von ihrer unterscheidet. Ich hatte schlicht Glück.
       
       Meine ersten Texte habe ich über die türkeistämmige Community geschrieben.
       Dann über soziale Ungleichheit. Irgendwann kam diese Kolumne dazu. In der
       [3][ersten habe ich über meine Zweifel] geschrieben, welchen Sinn „so eine
       Kolumne“ überhaupt haben kann. Ob sie nicht „letztlich nur dazu dient, die
       Glücklichen ihres Glücks und des Unglücks der anderen zu vergewissern“. Ich
       war Kolumnist geworden, aber auf dem Ausländerproletenticket!
       
       Welchen Wert haben also meine Texte oder geht es gar nicht darum? Sagt mein
       Werdegang etwas darüber aus, wie gut ich schreiben kann? Auch heute hadere
       ich mit diesen Fragen. Weil mein Schreiben und meine Erfahrung untrennbar
       miteinander verknüpft sind, werde ich hadern, solange ich schreibe.
       Gleichzeitig steckt der Wert meiner Texte, wenn sie überhaupt irgendeinen
       Wert haben, genau in dieser lästigen Verquickung. Ob das auch ein
       ästhetischer Wert ist, darüber sollen sich andere streiten.
       
       21 May 2024
       
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