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       # taz.de -- Kinder brauchen Freiheiten: Eis, Eis, Baby
       
       > Kleine Freiheiten sind wichtig für Kinder. Auch für unsere
       > Kolumnist:in war es prägend, sich in der Stadt selbstständig ein Eis
       > kaufen zu dürfen.
       
   IMG Bild: Endlich ein Eis mit drei Kugeln
       
       Ich weiß nicht, wie oft ich in letzter Zeit in Berlin an [1][Eisdielen]
       vorbeigelaufen bin, wo groß „Nur Kartenzahlung“ dransteht, oder wahlweise
       in der Verneinung „Kein Bargeld“. Wie bitte, was?
       
       Eine der tollsten Sachen an den Kölner Sommern meiner Kindheit war es,
       einmal quer durch Ehrenfeld zu laufen, um am Eisladen am Brüsseler Platz
       ein 50-Pfennig-Stück auf den Tresen zu legen und [2][ein Bällchen
       Zitroneneis] zu bestellen.
       
       Ein anderer Eisladen um die Ecke von unserem Kinderhort war dafür
       berüchtigt, dass wir dort nach dem [3][Sankt Martinszug] durch den
       Stadtgarten ein Eis bekamen, wenn wir im November als kleine Gruppe mit
       selbst gebastelten Laternen um die Häuser zogen und laut „Hier wohnt ein
       reicher Mann, der uns was geben kann!“ krähten. Vorher waren wir schon am
       Imbiss auf der Venloer Straße mit Pommes mit Majo versorgt worden, danach
       das Eis, obwohl es draußen kalt war. Geil.
       
       Ich durfte schon mit den älteren Hortkindern mitlaufen, als ich gerade
       erst in die erste Klasse gekommen war. Manchmal bekamen wir in den
       Wohnhäusern, wo wir durch die Treppenhäuser stiefelten und an den Türen
       klingelten, sogar Kleingeld geschenkt, wenn die Leute vergessen hatten,
       Süßigkeiten ranzuschaffen. Abends schütteten wir dann unsere Plastiktüten
       mit den gesammelten Zuckergeschenken auf dem Tisch aus und teilten alles
       gerecht auf, die Snickers wie das Kleingeld. Wir haben es geliebt.
       
       ## Kleiner Funken Selbstständigkeit
       
       Ob Eis gegen 50 Pfennig oder Eis für Gesang – wir konnten uns unsere Snacks
       selbst besorgen, ohne dass unsere Eltern hätten dabei sein müssen, um eine
       Plastikkarte zu zücken. Nicht dass ich ein großer Fan der kapitalistischen
       Früherziehung wäre, aber dass Kinder den Gang vom Spielplatz zur Eisdiele
       vielleicht allein zurücklegen dürfen, um sich zwischen Schokolade und
       Stracciatella zu entscheiden und dabei einen kleinen Funken der
       Selbstständigkeit zu spüren, finde ich nicht die schlechteste Idee.
       
       Zumal der Verzicht auf Bargeld auch alle Erwachsenen ausschließt, die kein
       Bankkonto haben. So nach dem biopolitischen Motto, die Menschen, die durch
       das Raster der Registrierung fallen, können ja gar nicht existieren, also
       denken wir gar nicht erst an sie.
       
       Als ich das erste Mal allein mit dem Fahrrad zur Grundschule gefahren bin,
       war ich an der Kreuzung am Hans-Böckler-Platz kurz verwirrt, ob ich rechts
       oder links lang fahren soll und blieb verunsichert stehen. Ich werde nie
       vergessen, wie meine Mutter sich kurz danach einfach ganz ruhig neben mich
       stellte. Da wusste ich plötzlich wieder, wo ich langfahren muss. Sie war
       zur Sicherheit mitgekommen, ohne dass ich es gemerkt hatte. Danach habe ich
       den Weg immer gefunden.
       
       Kindern zuzutrauen, dass sie sich mit der Zeit orientieren und durch ihre
       Umwelt navigieren können – oder eben beim Martinssingen aufeinander
       aufpassen – ist so unfassbar wichtig. Ich war schon damals stolz, ein
       Schlüsselkind zu sein, das sich selbst das Mittagessen kocht.
       
       Mein bester Freund war es auch, und wir haben uns immer gegenseitig besucht
       und unsere neongrünen Schlüsselanhänger geschwungen, die so schöne
       neongrüne Spiralen formten.
       
       Und wenn wir mal kein Kleingeld hatten, gab es bei ihm zu Hause eine große
       Tiefkühltruhe mit Cornetto-Hörnchen von Aldi. Erdbeer, Schoko oder
       Haselnuss.
       
       25 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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