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       # taz.de -- Dänische Fechterin bei Olympia-Premiere: Gold und sonst nichts
       
       > Bei den ersten olympischen Frauen-Fechtwettbewerb blieb Ellen Osiier 1924
       > unbezwungen. Über ihre weitere Karriere ist kaum etwas zu finden.
       
   IMG Bild: En garde: Kommando, mit dem Fechter:innen aufgefordert werden, Fechtstellung einzunehmen
       
       Als Ellen Ottilie Thomson am 13. August 1890 als Tochter eines
       Brandinspektors und einer Hausfrau im nordjütländischen Hjørring geboren
       wurde, wäre vermutlich niemand auf die Idee gekommen, dass sie eines Tages
       zur ersten Frau werden würde, die eine olympische Goldmedaille im Fechten
       gewinnen kann. Das liegt nicht nur daran, dass erst sechs Jahre später die
       ersten Olympischen Spiele veranstaltet wurden, sondern auch daran, dass
       Fechten als unweiblich betrachtet wurde.
       
       Wann genau und vor allem warum Ellen die Sportart Fechten für sich
       entdeckte, ist wie viele Details ihres Lebens nicht bekannt. Fest steht
       nur, dass sie eine Schülerin des damals angesagtesten Fechtlehrers
       Dänemarks, dem aus Frankreich stammenden Leonce Mahaut, war. Die in seinem
       „Salle d’Armes Mahaut“ veranstalteten Fecht-Soireen, bei denen ausländische
       Spitzenfechter auftraten, gehörten zu den gesellschaftlichen Ereignissen,
       über die ausführlich in den Zeitungen der Hauptstadt berichtet wurde.
       
       Allein war Ellen Thomson mit ihrer Sportbegeisterung im Übrigen nicht: 1917
       trat sie dem „Damernes Fægte-Klub“, dem Damen-Fechtklub von Kopenhagen bei.
       Zwei Jahre später heiratete sie, nach kriegsbedingt fünfjähriger
       Verlobungszeit, und zwar einen richtiggehenden Fecht-Promi. Der jüdische
       Arzt Ivan Osiier hatte bei den Olympischen Spielen in Stockholm 1912 die
       Silbermedaille im Degenfechten gewonnen und galt nicht nur als vielseitiger
       Stilist, sondern engagierte sich auch als Sportfunktionär in diversen
       Kopenhagener Klubs.
       
       Lange sah es so aus, als ob Ivan der einzige Olympiateilnehmer der Familie
       bleiben würde. 1[1][924 durften dann aber in Paris] erstmals Frauen um
       olympische Medaillen fechten, allerdings nur mit dem Florett. 15 Kämpfe
       musste die damals 33-jährige [2][Ellen Osiier] absolvieren, bis sie
       schließlich gegen die Engländerin Gladys Davis im Finale stand und gewann.
       Beobachter priesen den eleganten, sauberen Stil der Siegerin, über deren
       weitere sportliche Karriere kaum etwas zu finden ist. Ellen sagte 1960 über
       den Kampf in einem TV-Interview: „Ich konnte sehen, dass sie unbeherrscht
       war. Anstatt einen Schritt zurück zu machen, ging ich nach vorn, und sie
       wurde getroffen, bevor sie mich treffen konnte.“ Es sei „unbeschreiblich“,
       Gold zu gewinnen, „das Beste, was es gibt“.
       
       ## Vornehmes Publikum, schöne Kämpfe
       
       Offizielle Europa- oder Weltmeisterschaften gab es für Frauen damals nicht,
       entsprechend besteht Ellen Osiiers Kampfbilanz nur aus der Goldmedaille.
       
       Lediglich im Wiener Sporttagblatt wird am 23. Dezember 1926 von einem
       Internationalen Fechterinnen-Turnier in Budapest berichtet, während dem das
       „vornehme Publikum bei den schönen Kämpfen voll auf seine Kosten kam“. Auch
       Ellen Osiier wird im Artikel erwähnt, allerdings mit falschem Titel und
       falscher Ortsangabe: „Zum Schlusse gab es Schaukämpfe der Weltmeisterin
       (sic!) Osiier (Oslo).“
       
       Als einzige aktive dänische Sportler boykottierten 1936 Ivan Osiier und der
       ebenfalls jüdische Ringer Abraham Kurland [3][die Olympischen Spiele in
       Berlin.] Ellen war die Lust am Fechten ohnehin vergangen: Eigentlich war
       sie als Punktrichterin für die Olympischen Spiele 1932 in Los Angeles
       vorgesehen, aber kurz vor dem Beginn der Wettkämpfe wurde sie
       ausgeschlossen. Eine dänische Fechterin hatte behauptet, dass Osiier eine
       Mannschaftskameradin bevorzuge und deswegen nicht objektiv urteilen könne.
       Es folgte ein Prozess wegen übler Nachrede, den Ellen gewann.
       
       1943 flohen die Osiiers vor den Nazis nach Stockholm, wo Ivan eine Stelle
       am St. Görans-Krankenhaus annahm. Nach der Befreiung kehrte das Paar zurück
       nach Kopenhagen.
       
       Ellen Osiier starb 1962, drei Jahre vor ihrem Mann. 2021 gehörte das Paar
       zu den dänischen Sportlern und Sportlerinnen, unter denen die Zuschauer die
       drei wichtigsten aller Zeiten auswählen konnten. Die Osiiers gewannen
       nicht.
       
       30 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Archiv-Suche/!5640935&s=olympische+spiele+paris+1924&SuchRahmen=Print/
   DIR [2] https://pantheon.world/profile/person/Ellen_Osiier
   DIR [3] /Olympia-1936-in-Berlin/!5322416
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elke Wittich
       
       ## TAGS
       
   DIR Fechten
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