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       # taz.de -- Gesunde Ernährung: Auf Mikrobiom-Mission
       
       > Ernährungstipps sind was für Selbstoptimierer. Aber 20 bis 30
       > Gemüsesorten pro Woche essen? Da kickt dann doch der Ehrgeiz.
       
   IMG Bild: Schon wieder Spargel?
       
       Schon wieder Spargel, so wird das nichts, denke ich, als ich zum XXL
       Schnitzel- und Spargelfreitag in eine Eckkneipe geschleift werde. Ich muss
       diese Woche auf 20 bis 30 unterschiedliche Obst- und Gemüsesorten kommen,
       und Spargel hatte ich schon. Die angestrebte Überdosis Vitamine sorgt für
       Irritation: „Du meinst echt Sorten, ja? Nicht Portionen.“ „Ja, für mein
       [1][Mikrobiom]“ – „Dein was?“
       
       Neulich habe ich die Doku „Hack your Health“ bei Netflix gesehen. Mit
       kleinen gefilzten Bakterienfiguren, die in Stop-Motion im Darm ackern,
       wird erklärt, dass wir nicht allein verdauen können. Dafür brauchen wir
       Viren, Bakterien und Hefepilze, zusammen ergeben sie unser Mikrobiom. Und
       das sollte möglichst breit aufgestellt sein, damit es verlässlich ist. Denn
       das Mikrobiom ist mitverantwortlich für unsere Gesundheit, etwa für
       Übergewicht, Allergien oder [2][Stress] – wie groß dieser Einfluss ist,
       weiß die Forschung zwar noch nicht, aber er ist da.
       
       Forscher:innen haben aber festgestellt, dass das Mikrobiom von Menschen
       in Industrienationen nicht so divers ist wie in weniger industrialisierten
       Ländern. Mit dem Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln schrumpft unser
       Mikrobiom. Dabei gebe es einen einfachen Trick: „Obst und Gemüse immer
       zählen: 20 bis 30 Sorten pro Woche“, sagt die Forscherin mit einem Lächeln,
       als hätte sie erlaubt jetzt mal ganz tief in die Gummibärchentüte zu
       greifen.
       
       Normalerweise bin ich kein Fan von [3][Ernährungstipps]. All die Pülverchen
       und Tabletten, von denen man angeblich nie wieder pupsen, gähnen oder fahle
       Haut haben muss. Das ist bestimmt Abzocke. Aber Obst und Gemüse kann ja
       kaum schaden.
       
       Wie viele Sorten esse ich also in einer Woche? Ich habe keine Vorstellung
       und zähle: Banane, Trauben, Salat, eingelegter Kohl, Tomaten, Spargel (weiß
       und grün), Kartoffeln und Süßkartoffeln, Erbsen, Gurke, Kresse, Rote Beete,
       Erdbeeren, rote Zwiebeln, Apfel, Karotten.
       
       In der Kantine mischen sich ein paar fein geriebene Mairübchen unter den
       Blattsalat – noch nie habe ich mich so über Unbekanntes in meinem Salat
       gefreut. Donnerstagabend dann Makali im Brot, also frittierter Blumenkohl,
       Paprika, Aubergine, Zucchini. Bringt das Gemüse noch Punkte, wenn alles,
       was gut für mein Mikrobiom sein soll, in kochendem Fett ertränkt wurde?
       Mein Ehrgeiz sagt Ja.
       
       Bis Freitag komme ich auf 22 Sorten. Ab jetzt wird es sportlich: Adieu
       Appetit, hallo Taktik.
       
       Im Supermarkt lege ich die ersten Aprikosen des Jahres in meinen Korb. Im
       Regal daneben liegen Ananas, Marajucas, Mangos. Ich widerstehe der
       Versuchung, mit den weitestgereisten Früchten einfache Punkte zu sammeln.
       Ein Einkaufskorb mit einer fast so schlechten Klimabilanz wie ein
       Inlandsflug, nur um ein paar Bakterien zu sammeln? Das kann nicht die
       Lösung sein.
       
       „Wie wärs mit Giersch?“, fragt meine Kollegin, „den kann man auf Pizza
       legen.“ Ich bin eigentlich mit Margherita zufrieden, aber eben auch auf
       Mikrobiom-Mission. Das Unkraut hat antibakterielle, entzündungshemmende
       Wirkung, verrät mir Google, und wächst gerne an Flussufern.
       
       Also suche ich an der Havel auf einer Wiese nach den
       holunderblütenähnlichen weißen Dolden. Ein Gestrüpp hat zwar diese Blüten,
       aber sehr kleine Blätter. Ich vergleiche Pflanzenbilder auf meinem Handy.
       Ist das Hundspetersilie? „Sehr giftig“, steht da. Das reicht. Beim nächsten
       Mal frage ich beim Imbiss lieber nach einer von diesen sauer eingelegten
       Jalapeños.
       
       1 Jun 2024
       
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