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       # taz.de -- Straßenhunde in Istanbul: Hundeasyl oder Einschläfern?
       
       > Wenn Straßenhunde keine Adoptiveltern finden, müssen sie dran glauben.
       > Ein neues Gesetz der Erdoğan-Regierung sorgt in der Türkei für Empörung.
       
   IMG Bild: Streunender Hund in Istanbul
       
       Istanbul taz | Ayşe Hanim, eine Nachbarin, die sich in unserem Viertel
       besonders um das Wohl der Tiere verdient gemacht hat, kann es nicht fassen:
       „Die wollen alle Hunde umbringen. Das dürfen wir nicht zulassen“. Die, das
       ist die türkische Regierung, die in diesen Tagen ein Gesetz ins Parlament
       gebracht hat, das die Tötung von Straßenhunden im großen Stil vorsieht.
       
       Wohl [1][kaum ein Gesetz der Erdoğan-Regierung hat bisher für so viel
       öffentliche Empörung gesorgt] wie das Vorhaben, „massenweise Hunde zu
       töten“, wie Ayşe sagt. Der Verband der TierärztInnen hat eine sehr
       erfolgreiche Unterschriftenkampagne gegen das Vorhaben gestartet, weil
       „unsere tierärztliche Ethik mit dem massenhaften Töten von Hunden
       unvereinbar ist“, wie sie sagen.
       
       Sämtliche Tierschutzvereine laufen Sturm gegen das Vorhaben, selbst in den
       Kommunikationsforen der Auslandspresse ist die Hunde-Euthanasie ein Thema –
       persönlicher Einsatz gegen das „Einschläferungsgesetz“ sei nun gefordert.
       Allen internationalen und nationalen Krisen zum Trotz, kaum ein Thema
       erregt die türkische Öffentlichkeit derzeit mehr als der beabsichtigte
       „Mord“ an unseren Hunden. Die Regierung Erdoğan ist in Erklärungsnot.
       
       ## Hunde stellen angeblich Gefahr für Sicherheit dar
       
       Der zuständige Justizminister Yılmaz Tunç rechtfertigt das Gesetz mit der
       Gefahr, die die herrenlosen Straßenhunde für Kinder und ältere Leute
       darstellten. Immer wieder käme es zu schweren Zwischenfällen, da könne man
       nicht untätig bleiben. Konkret sieht das Gesetz vor, dass Hunde aus den
       überfüllten staatlichen oder kommunalen Hundeasylen für einen Monat per
       Internet zur Adoption angeboten werden und die Hunde, die dann keine neuen
       BesitzerInnen finden, eingeschläfert werden.
       
       Die freien Plätze sollen dann mit eingefangenen Straßenhunden wieder
       aufgefüllt werden. Diese böte man wiederum zur Adoption an, um die
       übriggebliebenen anschließend ebenfalls zu töten. Das solle im Prinzip so
       weitergehen, bis das Problem der Straßenhunde gelöst sei.
       
       Straßenhunde sind in den großen Städten der Türkei, allen voran Istanbul,
       seit Jahrhunderten ein Problem. Während Katzen [2][allgemein geliebt
       werden], gelten Hunde im Koran als unrein und sind für gläubige Muslime ein
       Ärgernis. In osmanischer Zeit sollen Hunde eingefangen und auf eine
       unbewohnte Insel gebracht worden sein.
       
       Insofern ist es auch kein Zufall, dass die islamische Erdoğan-Regierung ein
       Hunde-Euthanasieprogramm auf den Weg bringen will, was insbesondere den
       säkularen Teil der Gesellschaft aufregt. Dieser Konflikt überschattet das
       reale Problem und erschwert eine angemessene Lösung.
       
       ## Sterilisation oder Hundeasyl als Alternativen
       
       Tatsächlich kann es bedrohlich sein, wenn einem auf der Straße ein Rudel
       Hunde begegnet, das wild kläffend sein Revier verteidigt. Vor allem, da
       ihre Zahl kontinuierlich steigt. [3][Nach offiziellen Angaben leben in der
       Türkei aktuell rund vier Millionen streunende Hunde.]Tierschützer schlagen
       Alternativen vor: Man solle die Tiere einfangen, sterilisieren und wieder
       laufen lassen. Außerdem brauche es mehr Einrichtungen, in denen Hunde
       geschützt leben können.
       
       In dem Stadtviertel, in dem ich lebe, haben engagierte Tierschützerinnen –
       tatsächlich sind es hauptsächlich Frauen – erst einmal für alle Streuner
       Hundehalsbänder gekauft, damit sie aussehen, als hätten sie Besitzer, um
       sie so vor Hundefängern zu schützen.
       
       Es gibt aber auch die Idee, am Rande eines kleinen Parks selbst eine Art
       Hundeasyl aufzubauen, das dann von Leuten aus dem Viertel ehrenamtlich
       betreut wird. Und die Tierschützerinnen wollen dafür sorgen, dass möglichst
       viele Hunde sterilisiert werden, um die Zahl streunender Tiere zukünftig zu
       verringern.
       
       Bei der Diskussion im Parlament soll nun eine Balance zwischen der
       Sicherheit für die Bevölkerung und dem Tierwohl gefunden werden, sagt der
       Minister. Beispielsweise indem man sich auf besonders aggressive Tiere
       konzentriert. Das „Mordgesetz“ könnte der Regierung noch schwer auf die
       Füße fallen.
       
       31 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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