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       # taz.de -- Im alten Stadtbad Lichtenberg: Kunst statt planschen
       
       > Im 19. Jahrhundert entstanden in Berlin Volksbäder für die Hygiene der
       > Stadtbevölkerung. Heute ist das Stadtbad Lichtenberg ein
       > Veranstaltungsort.
       
   IMG Bild: Geschwommen wird hier seit 1991 nicht mehr: das denkmalgeschützte Stadtbad Lichtenberg
       
       Dem Stadtbad Lichtenberg sieht man sofort an, dass es schon so einige Jahre
       auf dem Buckel hat. Die graue Fassade hat zum Teil Risse, an einigen
       Stellen fällt der Putz ab. Bunte Graffiti schmücken heute die Wände des
       Gebäudes. Im Zweiten Weltkrieg hat das 96-jährige Volksbad eine Sprengbombe
       überstanden, während der Besatzung durch die Rote Armee wäre beinahe ein
       Kartoffellager daraus geworden.
       
       Der Haupteingang des Gebäudes in der Hubertusstraße besteht aus drei
       gläsernen Türen mit goldenen Rahmen, die gut erhalten geblieben sind.
       Darüber sieht man den plastischen Fraktur-Schriftzug „Stadtbad Lichtenberg“
       und darüber vier männliche Schwimmerstatuen, die aussehen, als könnten sie
       jeden Moment vom Block herunterspringen.
       
       Direkt im Foyer erinnert ein Schild an längst vergangene Zeit:
       Einlasszeiten für Frauen am Dienstag, Donnerstag und Sonnabend und für
       Männer Montag, Mittwoch, Freitag steht da in verschnörkelter Schrift. Zwei
       Schwimmhallen gibt es. Eine Männerhalle, mit einer Bahnlänge von 25 Meter,
       und eine Frauenhalle, deren Bahn 20 Meter lang ist. Schwimmen kann man da
       heute nicht mehr. Die Becken sind leer und das Stadtbad Lichtenberg dient
       als Kultur- und Veranstaltungsort.
       
       Früher ging’s vor allem um Hygiene: Der Berliner Dermatologe Oskar Lassar
       hatte ein Bad pro Woche zum Standard erhoben, was gar nicht so einfach
       umzusetzen war: Die meisten Berliner Mietwohnungen hatten keine Duschen und
       Wannen. Weil öffentliche Badeanstalten in Europa damals die absolute
       Ausnahme waren, gründete Lassar 1874 den Berliner Verein für Volksbäder.
       
       ## Ganz Berlin soll baden
       
       Volksbad heißt: Sie sollten unabhängig von Klassenzugehörigkeit allen
       Berliner*innen zur Verfügung stehen. Es klingt wie eine Revolution:
       Jeder und jede sollte sich den Eintritt leisten können. In den folgenden
       Jahren entstehen erste Stadtbäder. Das Volksbad in Moabit etwa wird 1891
       als erste Badeanstalt eröffnet, andere folgen schnell. Bald gibt es sie in
       jedem Stadtteil. Das Stadtbad Lichtenberg eröffnet als eines der letzten
       Volksbäder im Jahr 1928, obwohl die Planung bereits 1907 begonnen hat.
       
       Heute sind private Duschen Standard und viele der einstigen Volkswaschräume
       wurden zu Schwimmhallen. In Neukölln und Charlottenburg werden die
       denkmalgeschützten Volksbäder noch immer genutzt, sie zählen aber zu den
       Ausnahmen. Andere stehen leer, etwa in Pankow oder Steglitz. Die
       Sanierungskosten wären zu hoch und die Gebäude gelten heute als Lost
       Places.
       
       Laut der Berliner Bäder-Betriebe (BBB) gibt es noch weitere Bäder, in denen
       nicht mehr geschwommen wird. Damit sie nicht das gleiche Schicksal wie das
       Stadtbad Pankow oder Steglitz teilen müssen, werden sie immer öfter als
       Veranstaltungsorte umgewidmet.
       
       So ist eben auch aus dem Stadtbad Lichtenberg keine verwunschene Ruine
       geworden – obwohl das gut hätte passieren können, als es nach der Wende
       1991 wegen zu hoher Sanierungskosten komplett schließen musste.
       
       Man unternahm immer wieder Versuche, neue Nutzungskonzepte für das Bad zu
       finden. 2006 etwa sollte das Stadtbad Lichtenberg für sechs Millionen Euro
       zum Gesundheitszentrum umgebaut werden: Arztpraxen,
       Sporttherapieeinrichtungen und alternative Therapiestätten waren im
       Gespräch. Auch die Nutzung als türkisches Bad wurde diskutiert.
       [1][Verschiedene Initiativen] wie der eigens zur Erhaltung des Stadtbads
       gegründete Förderverein Hupe e. V. kämpften erfolglos für eine Sanierung.
       Seit 2016 ist klar, dass eine Wiederaufnahme des Badebetriebes wegen der
       hohen Investitionskosten und der Unwirtschaftlichkeit nicht mehr erfolgen
       kann.
       
       ## Zukunft auf dem Trockenen
       
       Heute ist das Männerbecken von einem hellen Parkettboden verdeckt, der an
       ein modernes Wohnzimmer erinnert. Darauf verteilt liegen große Sitzkissen.
       Wo einst die Berliner Arbeiterklasse sich in den türkisen Emaillewannen den
       Dreck abgewaschen hat, kann heute Champagner geschlürft werden. Hochzeiten,
       Firmenfeiern, Geburtstage: Für so ziemlich jede Art von Veranstaltung kann
       man das Stadtbad Lichtenberg buchen. Auch die Lange Nacht der Ausbildung
       hat dort ihr Zuhause gefunden.
       
       Verwaltet wird das ausgetrocknete Schwimmbad vom Berliner
       Immobilienmanagement (BIM) im Auftrag der Stadt Berlin. Nass wird man dort
       zwar nicht mehr, aber dafür kann man aktuell etwa digitale Kunst unter dem
       Namen [2][„Stadtbad reloaded“] besichtigen.
       
       2 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.stadtbad-lichtenberg.de/
   DIR [2] https://www.stadtbadreloaded.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Derya Türkmen
       
       ## TAGS
       
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