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       # taz.de -- Anerkennung von palästinensischem Staat: Gegenwind für die Hamas
       
       > Die Anerkennung Palästinas ist ein wichtiges Signal an die
       > Palästinensische Autonomiebehörde. Mit ihr steht und fällt jede Lösung
       > des Konflikts.
       
   IMG Bild: Am israelischen Militärkontrollpunkt Qalandia in der Nähe von Ramallah im Westjordanland
       
       Im Unisono kommentieren Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und die
       Hamas die Anerkennung des Staats Palästina durch drei europäische Staaten.
       Sie sei eine Belohnung für die Islamisten. Was für ein Unsinn! Die
       politische Geste richtet sich an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA)
       im Westjordanland. Wenn überhaupt irgendjemand belohnt wird, dann ist es
       die Regierung der Fatah und damit der innenpolitische Gegner der Hamas.
       
       Eigentlich hätte man denken können, dass die [1][Ansage Irlands, Norwegens
       und Spaniens] kaum Auswirkungen auf die Entwicklungen im Nahen Osten haben
       würde. Schließlich hat die bisherige Anerkennung des unabhängigen
       palästinensischen Staates durch über 140 UN-Mitgliedstaaten die Region
       einer Konfliktlösung auch schon nicht näher gebracht.
       
       Nun hat der diplomatische Rückenwind aus Europa aber ganz offensichtlich
       eine erfrischende Wirkung auf die PA. So stimmt der palästinensische
       Regierungschef Mohammad Mustafa ganz neue Töne an, wenn er sagt: „[2][Die
       PA bereitet sich auf die Regierung in Gaza vor.]“ Die offizielle Haltung zu
       möglichen Nachkriegsszenarien lautete bislang, dass man nicht auf den
       Panzern Israels in den Gazastreifen zurückkehren wolle. Ein Bild, das sich
       in den Augen der palästinensischen Öffentlichkeit zweifellos nicht gut
       macht.
       
       Nach den vergangenen acht Monaten weniger denn je. Tatsächlich aber besteht
       längst eine Allianz aus der PA und ihren Sicherheitsdiensten mit Israels
       Armee. Die Hamas hat 2007 nach bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen
       die Kontrolle über den Gazastreifen übernommen und hält sie bekanntermaßen
       mit Gewalt und Strenge gegen alle Oppositionellen bis heute.
       
       ## Wahlen sind unabdingbar
       
       Um eine Wiederholung dieser militärischen Niederlage im Westjordanland
       zu verhindern, ließen damals die Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden die Waffen
       fallen und den Kampf gegen die israelische Besatzung sein. Die
       Sicherheitskräfte der PA kooperieren seither mit dem israelischen Militär
       im Kampf gegen den gemeinsamen Feind Hamas. Die PA würde also keineswegs
       Neuland betreten, wenn sie nach von Israels Armee getaner Arbeit in den
       Gazastreifen zurückkehrte.
       
       Auch wenn die Hamas nicht komplett ausgelöscht ist – ein Ziel, das
       BeobachterInnen zunehmend als utopisch betrachten –, stellt sie auf
       absehbare Zeit kaum eine Bedrohung für die PA dar. Problematisch bleibt die
       Legitimität der Führung. PA-Präsident Mahmud Abbas gilt zu Recht als
       überholt. Über kurz oder lang werden Wahlen abgehalten werden müssen. Einer
       [3][aktuellen Umfrage] im Westjordanland zufolge sind die
       PalästinenserInnen allerdings blöd genug, ihre Fehler von einst zu
       wiederholen.
       
       Neben gut 30 Prozent, die eine Regierung der nationalen Einheit bevorzugen,
       wünschen sich 21 Prozent eine Regierung der Hamas, und nur noch 9,7 Prozent
       unterstützen die Fatah. Absurderweise hat der Krieg im Gazastreifen der
       Hamas im Westjordanland zu mehr Popularität verholfen. Knapp 40 Prozent der
       Befragten glauben, dass das Massaker am 7. Oktober und der Krieg im
       „nationalen palästinensischen Interesse“ sei.
       
       ## Palästinas Außenpolitik geht Israel nichts an
       
       Die Erkenntnis, dass der bewaffnete Widerstand gegen Israel Krieg und
       Verderben bringt, dass sich Frieden hingegen lohnen könnte, ist noch immer
       nicht ins Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise gedrungen. Dabei hätte es
       so anders laufen können nach der Befreiung von der israelischen Besatzung
       im Sommer 2005, als Israel SiedlerInnen und Truppen aus dem Gazastreifen
       – und auch von der Grenze nach Ägypten – abgezogen hat.
       
       Mit großen Gasvorkommen im Mittelmeer und mit kilometerlangen Sandstränden,
       die TouristInnen aus dem gesamten Nahen Osten locken könnten, hat der
       Gazastreifen ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Stattdessen stecken
       die Islamisten, die nur Monate nach dem Abzug an die Macht gewählt wurden,
       die Gelder aus Katar in den Bau von Terrortunneln und Waffen, und die Hamas
       bleibt bis heute beliebteste politische Bewegung. Es ist nicht zu fassen.
       
       Einen Versuch, durch internationale Unterstützung der PA deren
       innenpolitisches Ansehen aufzupolieren, wäre es allemal wert. Ein
       konzertiertes Handeln von USA, EU- und arabischen Staaten, wie [4][Meron
       Mendel es im taz-Interview] anspricht, hätte zweifellos mehr Aussicht auf
       Erfolg als ein dahinplätscherndes Anerkennen Palästinas durch einzelne
       Länder. Bei den Menschen in Ramallah hat Letzteres jedenfalls kaum Euphorie
       ausgelöst.
       
       Es bräuchte viel mehr Rückenwind für die PalästinenserInnen, mit denen eine
       Konfliktlösung möglich ist. Seltsamerweise hält sich auch Deutschland noch
       immer an [5][Netanjahus Mantra], dass eine Anerkennung Palästinas nur Folge
       von Verhandlungen sein kann. Für die palästinensische Außenpolitik ist
       allerdings nicht Israel zuständig, sondern Ramallah.
       
       31 May 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6012257
   DIR [2] https://www.newarab.com/news/palestinian-authority-preparing-govern-gaza-says-pm
   DIR [3] https://mcusercontent.com/769c956beb1afecb70d94fe83/files/b5f75eb3-606b-c3dd-934c-f65bea992151/102_May_2024_English_Results.pdf
   DIR [4] /Meron-Mendel-ueber-Anerkennung-Palaestinas/!6010329
   DIR [5] https://www.timesofisrael.com/knesset-votes-resoundingly-against-unilateral-palestinian-state-recognition/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
       
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