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       # taz.de -- Plötzlich Veganer: Ist der Wahl-O-Mat kaputt?
       
       > Unser Autor wundert sich über sein Wahl-O-Mat-Ergebnis. Aber vielleicht
       > hat es mit seinen Zweifeln in Rüstungsfragen zu tun. Dem BVB sind diese
       > fremd.
       
   IMG Bild: Grüne Meile vor dem Brandenburger Tor. Fußball und Politik verkehrsberuhigt
       
       Achtung, nur noch eine Woche bis zur Europawahl – und ausgerechnet jetzt
       ist der Wahl-O-Mat kaputt. Wie sonst kann es sein, dass mir nach absolut
       ehrlichen Antworten auf alle Fragen empfohlen wird, die „V-Partei für
       Veränderung, Vegetarier und Veganer“ zu wählen? Dabei habe ich doch
       jahrelang aus echter Liebe und albernem Trotz mehr Fleischfotos gepostet
       als Markus Söder. Auch dem Parteiziel Veränderung stehe ich eigentlich eher
       zögerlich gegenüber. Schließlich bin ich seit 25 Jahren bei der taz.
       
       Reichlich verwirrt überlege ich, wie dieses erstaunliche Ergebnis wohl
       zustande gekommen sein könnte, wenn der Wahl-O-Mat nicht von den
       interessanterweise altmodisch maskulinen Vegetariern und Veganern
       gehackt wurde. Ja, also, räume ich im Stillen ein, es könnte vielleicht
       doch richtig sein … Weil ich bei den meisten Ökoforderungen „stimme zu“
       gedrückt habe, teils aus Überzeugung, teils aus schlechtem Gewissen wegen
       meines klimaschädlichen Fleisch- und Flugkonsums.
       
       Das Über-Ich also. Aber gegen Massentierhaltung bin ich wirklich, für Bio
       dito, auch wenn die Blutwurst dann teurer wird. Aber warum dann nicht die
       Grünen? Wahrscheinlich, weil ich nicht bei jeder Waffenexportfrage sofort
       bedenkenlos zugestimmt habe. Blieb also nur noch die V-Partei.
       
       ## Rheinmetalldeal
       
       Das kann schon stimmen. Denn auch das großzügige Verständnis der grünen
       nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur [1][für die
       „gemischten Gefühle“ zur neuen Werbepartnerschaft] zwischen Borussia
       Dortmund und dem Rüstungskonzern Rheinmetall, die sie offenbar schon im
       Vorfeld gutgeheißen hatte, reicht mir nicht ganz aus. Meine Vorfreude auf
       das Champions-League-Finale wurde jedenfalls getrübt. Auch wer Waffen im
       Notfall nötig findet, muss nicht unbedingt Werbung für sie machen und von
       den staatlich finanzierten Gewinnen als Sportverein profitieren. [2][Nein,
       auch nicht als BVB-AG].
       
       Aber ich war auch nicht wie Neubaur beim Spatenstich für die neue
       Kampfjetfabrik von Rheinmetall dabei. Und vielleicht ist das ja wirklich
       alles nötig, um Deutschland kriegstüchtig zu machen und die Zeitenwende zu
       vollenden, in die Robert Habeck den Dortmunder Deal verständnisvoll
       einreiht.
       
       Weil die V-Partei für mich trotz allem nicht infrage kommt, starte ich
       einen neuen Wahl-O-Mat-Versuch, gehe diesmal auf Nummer sicher, gebe bei
       allen 38 Fragen „neutral“ ein und denke, dass dann sicher Olaf Scholz
       herauskommt. Doch siehe da, einfach für gar nichts einzutreten ist beim
       Wahl-O-Mat nicht gestattet! Wahrscheinlich, weil Scholz zur Europawahl gar
       nicht antritt, obwohl es auf den SPD-Plakaten so aussieht. Möglicherweise
       hat die offizielle Spitzenkandidatin Katarina Barley ja tatsächlich ein
       paar eigene Meinungen in den Wahl-O-Mat eingegeben.
       
       ## Autismusvorwurf
       
       Schon nach ein paarmal „neutral“ klicken wird man fast so streng
       angeschissen wie Scholz von Marie-Agnes Strack-Zimmermann im
       Verteidigungsausschuss: „Bitte beantworten Sie die Thesen sorgfältig!“ Wer
       trotzdem unverdrossen unentschieden bleibt, erhält am Ende die Auskunft:
       „Leider kann der Wahl-O-Mat auf der Grundlage Ihres Antwortmusters kein
       individuelles und zuverlässiges Ergebnis berechnen.“ Schade, aber deutlich
       höflicher als Strack-Zimmermann, die dem Kanzler „autistische Züge“
       vorwarf, weil er nicht ganz so schnell wie sie die Produkte aus ihrem
       Wahlkreis auf russisches Gebiet abfeuern wollte.
       
       Womit wir bei dem heißen Brei wären, um den wir, wie auch ich hier, gerne
       herumreden, indem wir uns lieber mit der berechtigten Empörung über
       ekelhafte Schnösel auf Sylt, [3][abstoßendem Geschrei in Talkshows] und
       anderen deutschen Skandalen als mit der Weltlage beschäftigen. Insgeheim
       wissen wir alle, dass alles davon abhängt, wie Putin und Biden im
       Ukrainekrieg agieren und wie die US-Bürger auf die Verurteilung von Donald
       Trump reagieren. Man kann es sich da einfach machen und wie Sahra
       Wagenknecht auf Plakate schreiben: „Krieg oder Frieden? Sie haben jetzt die
       Wahl“. Aber eine dermaßen verblödend verkürzte Frage gibt es nicht einmal
       im Wahl-O-Mat.
       
       1 Jun 2024
       
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