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       # taz.de -- Comic-Salon Erlangen 2024: Comics in Zeiten der Sintflut
       
       > Der Comic-Salon Erlangen ist eine Institution. In diesem Jahr waren das
       > Element Wasser und die Kriege in der Ukraine und in Nahost zentrale
       > Themen.
       
   IMG Bild: Der Schweizer Nando von Arb erzählt im Comic „Fürchten lernen“ über seine Angststörung. (Ausschnitt)
       
       Wasser prägte den diesjährigen Comic-Salon Erlangen. Ausgiebiger Regen
       beherrschte die fränkische Stadt, hinderte aber weder Comicfans, Künstler,
       Händler noch Fachpublikum daran, [1][das alle zwei Jahre stattfindende
       Event] zu besuchen. Zwischen Starkregen und trockenen Phasen, in denen
       sich auch die Sonne zeigte, konnte man in die Ausstellung „Wasserzeichen.
       Comics über das fluide Element“ eintauchen. Die vielfältige Schau widmet
       sich unterschiedlichen Ansätzen des Zeichnens von Wasser in Comics. Ob der
       sintflutartige Regen in Will Eisners New Yorker Short Stories, klirrendes
       Packeis bei Jacques Tardi oder Winsor McCays phantastische Flutungen von
       „Little Nemo“-Zeitungsseiten: Das Wasser zwingt seine Zeichner zu immer
       neuen Abstraktionen der Wirklichkeit.
       
       Im Kunstpalais am Schlossplatz wird auch das Werk des 1988 geborenen
       Franzosen Jeremy Perrodeau vorgestellt, der in den vergangenen zehn Jahren
       betörend unkonventionelle Science-Fiction-Welten schuf (etwa „Dämmerung“,
       2017), in denen über Natur, Technik und Zivilisation nachgedacht wird.
       
       Zentrum des sehr gut besuchten Festivals war die Comicmesse mit ihren
       Zelthallen am Schlossplatz und im Schlossgarten. Hier präsentierten die
       deutschen Comicverlage und Händler ihre Novitäten (der Egmont Verlag etwa
       zu Donald Ducks 90. Geburtstag), Comicschaffende signierten ihre neuen
       Werke wie am Fließband, die Fans bildeten davor lange Schlangen.
       Zeichen-Workshops, Vorträge, Performances (Cosplay-Foto-Walks!) und
       Podiumsdiskussionen kamen hinzu und lockten trotz drohender Sintflut in die
       prächtigen Schloss- und Universitätsgebäude.
       
       ## Comics zum Nahostkonflikt
       
       Der Salon setzte sich in Zeiten der Kriege auch mit strittigen Themen
       auseinander. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wurde in der
       Ausstellung „Leben in der Kriegszone“ thematisiert. Darin berichten junge
       ukrainische Zeichnerinnen und Zeichner von ihren Erfahrungen und
       Perspektiven auf den Krieg. Manche schildern, wie sich ihr Alltag änderte,
       wie sie ihre Berufe aufgeben mussten, um etwa an der Front zu dienen. Neben
       irreal farbigen Darstellungen nächtlicher Bombardierungen finden sich
       originelle Erzählansätze: etwa in den Arbeiten von Tania Kremen, die von
       den Straßenkatzen in Kyjiw erzählt, die sich über das plötzliche
       Verschwinden der sie bisher fütternden Menschen wundern. Der humorvolle
       Ansatz bringt den tragischen Hintergrund treffend auf den Punkt.
       
       Angesichts der Polarisierung zwischen israelischer und palästinensischer
       Sichtweise auf den Nahostkonflikt ergriff eine Gruppe von deutschen
       Comicschaffenden (unter anderem Hannah Brinkmann, Barbara Yelin, Birgit
       Weyhe, Moritz Stetter) Anfang des Jahres die Initiative, um in Form von
       kurzen Reportagecomics einen friedlichen Dialog anzustoßen. Ihre Comics
       basieren auf Interviews mit Personen jüdisch-israelischer oder
       palästinensischer Herkunft in Deutschland. In der Ausstellung „Wie geht es
       dir? Zeichner*innen gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“
       dokumentieren sie die Verzweiflung Betroffener in Deutschland, zeigen aber
       auch Hoffnungsschimmer (online unter [2][wiegehtesdir-comics.de]).
       
       In einem Diskussionspanel zu diesem Projekt wurde moniert, dass
       internationale Comiczeichner und Karikaturisten den Nahostkonflikt oft zu
       einseitig darstellen. Das für den deutschsprachigen Comicmarkt wichtige
       Schweizer Magazin „Strapazin“ – eine Bastion des unabhängigen Comics –
       feierte mit einer kleinen Schau seiner schönsten Titelbilder „die ersten 40
       Jahre“. In der aktuellen Ausgabe werden Comics zum Nahostkonflikt gezeigt,
       einzelne Beiträge wurden wegen zu starker Einseitigkeit aber abgelehnt.
       
       ## Die alte Praxis des Skizzierens
       
       Ein Mittel, die Wirklichkeit abzubilden, ist das „Urban Sketching“, das zu
       Hause oder auch auf Reisen stattfinden kann. Eine Ausstellung von
       internationalen Sketchers und ein Camp auf dem Hugenottenplatz zeugten von
       einer weltweit vernetzten Community. Die alte Praxis des Skizzierens – ob
       mit Bleistift, Aquarell oder dem Tablet – dient hier nicht als Vorstufe
       etwa zu einem aufwendigen Gemälde, sondern soll für sich stehen. Elegante
       Kompositionen internationaler Stars der Szene wie von der Spanierin Inma
       Serrano wurden gezeigt, wie auch Luftig-Leichtes vom Deutschen Sebastian
       Lörscher.
       
       Puren Comic boten die Originalzeichnungen aus dem neuen „Lucky
       Luke“-Hommage-Album „Die Ungezähmten“ des französischen Kultzeichners
       Blutch. Einen weiteren Klassiker, „Katzenjammer Kids“, schuf Rudolph Dirks,
       Sohn deutscher Auswanderer aus Schleswig-Holstein, ab 1897 für US-Zeitungen
       und legte damit einen Grundstein des modernen Comics.
       
       ## Joann Sfar bekam Sonderpreis für sein Lebenswerk
       
       Die größte Schau war Joann Sfar gewidmet, einem französischen Erneuerer des
       Comics seit den 1990er Jahren. Mit „Die Katze des Rabbiners“ schuf er eine
       Reihe mit Millionenauflage in Frankreich, die auch von Sfars
       jüdisch-algerischer Herkunft erzählt. Die umfangreiche wie facettenreiche
       Ausstellung wurde vom Jüdischen Museum in Paris konzipiert. Der 1971
       geborene Joann Sfar bekam bei der „Max und Moritz“-Gala den „Sonderpreis
       für ein herausragendes Lebenswerk“ überreicht – unter tosendem Applaus.
       Barbara Yelin erhielt für ihr künstlerisches Engagement sowie für ihre
       Graphic Novel „Emmie Arbel – Die Farbe der Erinnerung“ über eine
       Holocaustüberlebende aus Israel den „Spezialpreis der Jury“.
       
       Unter den neun Preisträgern waren diesmal drei Schweizer, der 1992 geborene
       Nando von Arb bekam für seine zweite Graphic Novel „Fürchten lernen“
       (Edition Moderne) über seine eigene Angststörung den Preis als bester
       deutschsprachiger Künstler.
       
       Die Auswahl der Nominierungen für die Hauptpreise fiel, wie bereits schon
       in den vorherigen Jahren, etwas zu einseitig aus, denn vor allem kamen
       grafisch experimentelle oder autobiografische Graphic Novels von Newcomern
       in die Auswahl. Gar nicht mehr preiswürdig scheinen handwerklich gut
       gezeichnete Comic-Albenserien, Strips, realistische und fiktionale Formate
       zu sein. Da sollte eine goldene Mitte zu finden sein. Der Comicsalon
       trumpfte einmal mehr mit vielen Highlights auf, die zeigen, dass der Comic
       eine unverzichtbare, nahbare Kunstform ist, die ihre Grenzen weiter
       auslotet.
       
       3 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Internationaler-Comicsalon-Erlangen/!5859504
   DIR [2] https://wiegehtesdir-comics.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralph Trommer
       
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