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       # taz.de -- Post von der Bundeswehr: Frieden durch Inklusion
       
       > Trisomie 21 ist nichts, womit sich die Bundeswehr auskennt. Trotzdem
       > möchte sie meinen Sohn Willi mit ihrem Talent-Scout bekannt machen.
       
   IMG Bild: Einmal in den Panzer klettern und schon schaut die Welt ganz anders aus: Kinder am „Tag der Bundeswehr“ im Juni 2023 in Kaufbeuren
       
       Unser Sohn Willi erhielt neulich eine persönliche Einladung sich einen der
       begehrten Teilnehmerplätze „als VIP beim TALENT SCOUT“ am „Tag der
       Bundeswehr“ zu sichern. Ich bezweifle zwar, dass die Plätze so richtig
       begehrt sind, aber ich hätte trotzdem nicht erwartet, dass die Truppe schon
       so inklusiv – oder so verzweifelt ist – dass sie sogar schon Rekruten mit
       so deutlichen geistigen Einschränkungen nehmen. Da seit der Nazizeit aus
       guten Gründen in Deutschland aber kein Register geführt werden darf über
       Menschen mit Behinderungen, ist diese Besonderheit dem Einwohnermeldeamt
       (welches Willis Daten an die Bundeswehr weitergegeben hat) bestenfalls gar
       nicht bekannt.
       
       Mein Mann ärgerte sich über die Postkarte, auf der vorne der Name unseres
       Sohnes wie auf dem Namensschild einer Uniform abgebildet war. Die Karriere
       eines seiner Kinder als Soldat:in wäre für ihn – neben einer
       Theologielaufbahn – wahrscheinlich das berufliche Worst-Case-Szenario.
       
       Willi selber interessiert sich glücklicherweise überhaupt nicht fürs
       Militär, sondern mehr für das Sortieren von Farbstiften und Murmeln. Aber
       unter anderen jungen Menschen mit [1][Down-Syndrom] ist das Interesse an
       einem Job in Uniform (egal welcher) schätzungsweise ziemlich groß. In der
       Regel bleibt der Wunsch jedoch unerfüllt. Eigentlich schade, denn dann gäbe
       es noch mehr nette Bahnbeamte und wenn wir weltweit alle militärischen
       Führungspositionen mit ihnen besetzten, gäbe es auch bald keinen Krieg
       mehr. Aber auf mich hört ja wieder keiner.
       
       Ich googelte „Trisomie 21“ und „Bundeswehr“ und der erste Treffer verwies
       im Bericht des Wehrbeauftragten von 2017 auf einen Vorfall, bei dem ein
       Offizier während einer Fortbildung seine Kameraden mit den Worten „Bin ich
       hier in einer Mongowerkstatt? Ihr seid Affen mit Trisomie 21!“ beschimpft
       hatte.
       
       Mal davon abgesehen, dass es bei der [2][Bundeswehr] eine ganze Menge
       [3][Probleme mit Diskriminierung] von Minderheiten gibt, praktizieren sie
       tatsächlich Inklusion. Laut eigenen Angaben dienen dort zurzeit 9.500
       schwer beeinträchtigte Personen. Der Großteil von ihnen (8.100) sind
       allerdings Zivilbeschäftigte und sie haben keine geistige, sondern
       Körperbehinderung.
       
       Beim Zivilpersonal sind das fast zehn Prozent aller Stellen und die
       Bundeswehr liegt damit weit über der Quote. Darauf darf man stolz sein!
       Soldat:in kann man mit einer Behinderung allerdings nicht werden und in
       Willis Fall ist das wohl auch ganz gut so. Die 1.300 Soldat:innen, die in
       der Bundeswehr einen Schwerbehindertenausweis besitzen, leiden in der Regel
       unter [4][Einsatzschädigungen], wie beispielsweise einer Posttraumatischen
       Belastungsstörung. Da kann man dann nicht stolz sein, wenn die Zahl hoch
       ist.
       
       Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die bereit sind unser Land zu
       verteidigen und dafür ihre Gesundheit und im Ernstfall sogar ihre Leben
       einsetzen. Ich selber möchte das nämlich nicht tun und ich möchte auch
       nicht, dass meine Kinder das tun müssen.
       
       Trotz aller Dankbarkeit habe ich aber immer noch Vorurteile gegen die
       Bundeswehr – und das nicht, weil sie dort keine Affen mit Trisomie 21
       einstellen. Ich fürchte grundsätzlich in militärischen Machtstrukturen
       deren Missbrauch und [5][rechtsextreme Tendenzen]. Wie man mehr gute Leute
       dazu bringen soll, zum Bund zu gehen, das weiß ich leider auch nicht.
       Ungefragt Nachwuchswerbung für den Soldatenberuf an Minderjährige zu
       verschicken scheint mir aber nicht der richtige Weg zu sein.
       
       Um unser persönliches Verhältnis zur Bundeswehr etwas zu entkrampfen haben
       wir für Willi nun einen Flecktarn-Jogginganzug bestellt und ihn beim Talent
       Scout am Tag der Bundeswehr angemeldet. Es soll dort Militärmusik und
       Erbseneintopf nach Bundeswehrart geben. Ich bin sicher, keiner der jungen
       VIPs wird sich dafür so begeistern können wie Willi – ich bezweifle nur,
       dass er in Sachen Suppe auf den Befehl „Verpflegen Sie jetzt“ warten würde.
       
       6 Jun 2024
       
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