URI: 
       # taz.de -- Tausende Euro Nachzahlung: Heizung auf eins, Konto im Dispo
       
       > 1,5 Millionen Euro sollen Göttinger Mieter*innen an Heizkosten
       > nachzahlen. Der Wärmeversorger ist das überwiegend kommunale Unternehmen
       > Enercity.
       
   IMG Bild: Vorsicht, das kann teuer werden!
       
       Hamburg taz | Am 1. Juni wären die Zahlungen fällig geworden, aber die
       Mieter*innen im Göttinger Stadtteil Grone wollen nicht zahlen. 9.000
       Euro, 8.000 Euro, 5.000 Euro – so hoch sind zum Teil die
       Heizkostennachzahlungen, die der Vermieter LEG Immobilien von den einzelnen
       Mietparteien verlangt. Insgesamt sind 1.100 Wohneinheiten von den
       Monsterrechnungen betroffen. Die Forderungen belaufen sich
       zusammengerechnet auf 1,5 Millionen Euro.
       
       „Ein riesiger Schock“ sei das gewesen als er und die anderen
       Mieter*innen die Rechnungen in ihren Briefkästen gefunden hätten, sagt
       Steffen Zimmermann. Das war schon im Dezember, kurz vor Weihnachten.
       Zimmermann selbst sollte nur 270 Euro bezahlen, aber auch er zahlte nicht.
       „Wir haben nur ein Druckmittel, wenn wir kollektiv handeln“, sagt der
       Mieter und Stadtteilaktivist. 600 Einwohner*innen haben sich seitdem
       zusammengeschlossen und wehren sich [1][gegen den Immobilienkonzern].
       
       Der Energieversorger ist Enercity, eine 75-prozentige Tochter [2][der Stadt
       Hannover]. Wie es zu diesen Mondpreisen kommt? Das Unternehmen verweist auf
       den früheren Vermieter: „Die Wohnungsgesellschaft hat seinerzeit beim
       Abschluss des Vertrages mit uns hinsichtlich des Bezugs von Wärme
       ausdrücklich ein Produkt gewünscht, was sich an den Börsenpreisen für Gas
       orientiert hat“, teilt Enercity schriftlich mit. Über „Chancen als auch
       Risiken dieses branchenüblichen Produktes“ sei die Wohnungsgesellschaft
       umfassend informiert gewesen. Inzwischen habe es einen Eigentümerwechsel
       gegeben.
       
       Der Vertrag sei vor der Energiekrise sehr attraktiv gewesen, weil der
       Börsenpreis für Gas günstig war. Ob die Wohnungsgesellschaften diese
       Vorteile an Mieter:innen weitergegeben hätten, „können wir leider nicht
       beantworten“, heißt es von Enercity. Im Zuge des Russland-Kriegs gegen die
       Ukraine seien die Gaspreise dann sehr stark gestiegen.
       
       Mieter Zimmermann sieht noch einen Fehler: „Das Problem sind die
       Contracting-Verträge“, sagt er. Beim sogenannten Contracting gibt ein
       Wohnungsunternehmen die Zuständigkeit für das Bereitstellen von Heizanlagen
       und Wärme an ein anderes Unternehmen weiter – in diesem Fall Enercity.
       Enercity berechnet also nicht nur den Preis für das Gas, sondern lässt auch
       die Bereitstellung und Wartung der Anlagen einfließen. Hinzu kämen weitere,
       oft intransparente Faktoren.
       
       „Es ist ein Skandal, dass ein kommunales Unternehmen einer anderen Stadt
       sich an der Not der Göttinger Mieter*innen bedienen will“, sagt der
       Göttinger Karlheinz Paskuda, Mitglied im Landesvorstand der Linkspartei.
       „Wer solche Verträge erlaubt, öffnet der Willkür Tür und Tor.“ Schließlich
       wisse niemand, ob Enercity den teuren Börsenpreis für den Strom überhaupt
       bezahlt habe, oder sich schamlos bereichere.
       
       Enercity-Sprecher Carlo Kallen betont jedoch, es handele sich gar nicht um
       Forderungen von Enercity an die Mieter:innen. Sein Unternehmen habe eine
       Geschäftsbeziehung ausschließlich mit der Wohnungsgesellschaft. Diese
       übernehme selbst die Abrechnung mit den Mieter:innen.
       
       ## Energiekonzern hat fette Gewinne gemacht
       
       Im Krisenjahr 2022 hat der Konzern nach eigenen Angaben ein Rekordgeschäft
       erzielt und 218,5 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet – ein Plus von 3,2
       Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Landesvorstand der Linkspartei fordert
       von Enercity, die Forderungen fallen zu lassen. Sie seien „höchst
       unmoralisch und absolut unvertretbar“, sagt die Landesvorsitzende Franziska
       Junker.
       
       LEG Immobilien selbst könne jedoch gar nichts für den Contracting-Vertrag,
       sagt die Unternehmenssprecherin Veronika Böhm. Man habe den Vertrag vom
       Vorbesitzer der Immobilie, [3][der Adler Group], übernommen. „Es gab für
       uns keine Möglichkeit, den Vertrag vorzeitig zu kündigen“, so Böhm.
       
       Die Adler Group ist ein undurchsichtiges und hoch verschuldetes
       Firmengeflecht, gegen das wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung,
       Marktmanipulation und Betrugs ermittelt wird. Doch Contracting-Verträge mit
       Energieunternehmen sind auf dem Wohnungsmarkt nicht unüblich. Erst Ende Mai
       wurde bekannt, dass sechs landeseigene Wohnungsgeber in Berlin ebenfalls
       Contracting-Vereinbarungen mit verschiedenen Energieunternehmen betreiben.
       Auch dort [4][wehren sich die Mieter*innen].
       
       In Göttingen sind Steffen Zimmermann und die anderen Bewohner*innen der
       LEG-Häuser fest entschlossen, keinen Cent von den übertriebenen
       Forderungen zu bezahlen. Sie haben sich zu einer Prüfgemeinschaft
       zusammengeschlossen, die Widerspruch eingelegt und sämtliche Kostenbelege
       von dem Energieunternehmen angefordert hat.
       
       ## Auch die Mieten wurden erhöht
       
       Der Energieversorger teilt der taz mit, er haben „schon vor Wochen“ in
       einem Gespräch mit der Stadt Göttingen Bereitschaft signalisiert, im Rahmen
       einer Zuwendung an den Härtefonds der Stadt Göttingen soziale Härten für
       Mieter:innen in Grone abzufedern. Außerdem hat das Unternehmen einen
       eigenen Härtefonds, der allerdings bisher nur in Hannover greift. Enercity
       sei dabei, ihn „so zu erweitern, dass er auch soziale Härten von
       Mieter:innen beispielsweise in Göttingen abfedern kann, wenn die
       Anspruchsvoraussetzungen vorliegen“, teilt Kallen mit.
       
       Unter den Zahlungspflichtigen des finanzschwachen Stadtteils Grone sind
       viele Empfänger*innen von Bürgergeld oder anderen Transferleistungen.
       Ihre Wärmerechnungen zahlt das Jobcenter. Im Rahmen der
       Nebenkostenvorauszahlungen habe LEG zudem die Mieten drastisch erhöht, zum
       Teil von 620 auf 920 Euro monatlich, sagt Steffen Zimmermann. „Für viele
       ist das existenzbedrohend.“
       
       Immerhin: Die Vermieterin LEG hat den Vertrag mit Enercity Contracting
       nicht verlängert, sodass er Ende 2022 ausgelaufen ist. Den neuen Vertrag
       schloss LEG mit seiner eigenen Tochtergesellschaft „Energie Service Plus
       GmbH“. Es ist auch wieder ein Contracting-Vertrag.
       
       Transparenzhinweis: Wir haben den Text um die Stellungnahme des
       Energieversorgers Enercity ergänzt und im Zuge dessen korrigiert, dass
       nicht dieser die Forderungen an die Mieter:innen stellt.
       
       4 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Immobilienkonzern-als-Vermieter/!5982828
   DIR [2] /CO-Abscheidung-bei-der-Hannover-Messe/!6003357
   DIR [3] /Unhaltbare-Wohnungszustaende-in-Neukoelln/!6005379
   DIR [4] /Heizkostennachzahlung-bei-der-Gewobag/!6010611
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
       ## TAGS
       
   DIR Heizkosten
   DIR Göttingen
   DIR Wohnen
   DIR Social-Auswahl
   DIR IG
   DIR Hamburg
   DIR Volksinitiative
   DIR Berlin-Kreuzberg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gedenkstreit in der Hamburger Hafencity: Wohnen, wo die Schlächter losfuhren
       
       In Hamburgs Hafencity entstehen Wohnungen – da, wo einst Truppen nach
       „Deutsch-Südwest“ verschifft wurden. Historiker fordern daran zu erinnern.
       
   DIR Bezahlbare Mieten für Berlin: Günstig und öko wohnen
       
       Eine neue Volksinitiative setzt sich für Wohnungen statt Büros und für
       ökologisches Bauen in Berlin ein. Bis September brauchen sie 20.000
       Unterschriften.
       
   DIR Hauskomplex in Kreuzberg: Unschöner wohnen
       
       Ein Hochhausblock der Gewobag nahe dem Kottbusser Tor verkommt seit Jahren.
       Die Mieter*innen sind stinksauer auf das landeseigene Unternehmen.