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       # taz.de -- Debatte über die A 100: Autobahn im Hinterhof
       
       > Auf einer Veranstaltung der SPD waren sich alle einig: Den Weiterbau der
       > A 100 braucht niemand. Konsens ist das bei den Sozialdemokraten aber
       > nicht.
       
   IMG Bild: Hier, auf dem 16. Bauabschnitt der A 100, soll der Verkehr bald rollen
       
       Berlin taz | Die SPD scheint immerhin im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
       gegen den vom Bund und seinem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP)
       vorangetriebenen Weiterbau der Stadtautobahn A 100 durch Berlin zu sein.
       Der Kreisverband hatte am Donnerstagabend zu der Informationsveranstaltung
       „Eine Autobahn durch den Hinterhof?“ geladen, ein Titel, der eine gewisse
       Kritik an dem Vorhaben durchklingen ließ. Eine Autobahn im eigenen
       Hinterhof ist schließlich eine ziemliche Horrorvorstellung für so ziemlich
       jede und jeden.
       
       In der übrigen Berliner SPD [1][ist die Position zum Weiterbau der A 100
       freilich nicht so klar]: Im Koalitionsvertrag des aktuellen schwarz-roten
       Senats wurde das Thema lieber ausgeklammert, um Streitereien zu vermeiden.
       Was die Parteilinke der Berliner SPD Tamara Lüdke, die für den Bezirk
       Lichtenberg im Abgeordnetenhaus sitzt, schon lange bedauert. Sie ist
       dagegen, dass mit dem geplanten 17. Bauabschnitt von Treptow bis zur
       Storkower Straße in Prenzlauer Berg Teile von Friedrichshain und
       Lichtenberg zerfräst werden. Das ließ sie auch auf der Veranstaltung noch
       einmal durchblicken. Sie gab aber zu, dass nicht unwesentliche Teile der
       Landespartei das anders sehen.
       
       Vielleicht auch deswegen wurde die Podiumsdiskussion von der SPD nicht groß
       beworben. Und der wenig glamouröse Ort – ein kleiner Saal in
       Friedrichshain, der von der Arbeiterwohlfahrt zur Verfügung gestellt wurde
       – vermittelte den Eindruck, dass hier halt ein paar rebellische Sozis aus
       dem ewig widerspenstigen Friedrichshain-Kreuzberg ihr eigenes Süppchen
       kochen dürfen, wenn sie es unbedingt möchten.
       
       Gut besucht war die Veranstaltung trotzdem. Das Interesse daran, ob die
       weiteren vier Kilometer Autobahn, die schätzungsweise etwa eine Milliarde
       Euro kosten würden, wirklich kommen, ist groß. Schade nur, dass niemand von
       der CDU oder der FDP mit auf dem Podium saß und somit niemand deren
       Argumente für den Weiterbau referierte, die einen durchaus interessiert
       hätten. Somit waren sich in der Gesprächsrunde wie im Publikum alle einig:
       Der angedachte Weiterbau ist aus allerlei Gründen der helle Wahnsinn.
       
       Weert Canzler, Verkehrsforscher vom Wissenschaftszentrum Berlin für
       Sozialforschung (WZB), kontrastierte Volker Wissings Zahlen und Annahmen
       mit seinen eigenen. Der Minister gehe von einer weiterhin wachsenden
       Bevölkerung in Berlin und damit einem höheren Verkehrsaufkommen aus,
       deswegen sei der Weiterbau vonnöten. Seine Forschung jedoch zeige, so
       Canzler, dass seit der Corona-Pandemie und dank der Aufwertung des
       Homeoffice weniger Pendler unterwegs seien und sich das, anders als von
       Wissing behauptet, wahrscheinlich auch nicht ändern werde. Die Entlastung
       der Innenstadt durch die Autobahn sei nicht so notwendig, wie Wissing und
       auch die Berliner CDU es darstellten.
       
       ## Das Gegenteil von Verkehrswende
       
       Canzler erinnerte auch daran, dass eine Stadtautobahn das ungefähre
       Gegenteil einer wegen des Klimawandels notwendigen Verkehrswende sei. Es
       müsse nicht noch mehr städtischer Raum für Autos versiegelt, sondern im
       Gegenteil massiv entsiegelt werden. Städte wie London, Paris und Seoul
       hätten dies bereits erkannt und betrieben seit einer Weile eine weniger
       autofreundliche Politik. „Was macht eine Stadt attraktiver?“, fragte er
       rhetorisch und beantwortete die Frage gleich selbst: Noch mehr Autos
       jedenfalls nicht.
       
       Marcel Weber, Geschäftsführer des queeren Clubs Schwuz in Neukölln und
       Vorstandsmitglied der Berliner Clubcommission, nahm sich einer anderen
       Thematik an: Durch den Weiterbau der A 100 sind auch bekannte Clubs wie das
       About Blank und die Wilde Renate existenziell bedroht. Die Autobahn soll
       schließlich eine Schneise am Ostkreuz ziehen, wo diese ansässig sind.
       Verdrängung oder zumindest jahrelange Schließung wären die Folge. Weber
       machte aber auch klar: „Wenn die A 100 nicht weitergebaut wird, ist das
       Problem nicht gelöst.“ Er verwies auf die Problematik, dass im Falle eines
       Baustopps der A 100 an derselben Stelle Wohngebiete entstehen könnten – der
       natürliche Feind von Technoclubs.
       
       Briti Beneke von der Bürger*inneninitiative A 100, die sich gegen
       den Weiterbau der Autobahn engagiert, machte klar, dass man derzeit auf das
       Prinzip Hoffnung setze, aber nicht wisse, ob das am Ende reiche. Den
       Weiterbau verzögern, irgendwann auch durch das Anrufen von Gerichten, sei
       derzeit aus Mangel an Alternativen die Strategie. Geleitet vom Wunsch, dass
       das Bundesverkehrsministerium bald ein weniger autofahrerfreundlicher Chef
       leiten werde und Kai Wegner – der auch deswegen Regierender Bürgermeister
       wurde, weil er seinen Wahlkampf erfolgreich auf die Autofahrerlobby
       ausrichtete – möglichst bald einen anderen Job habe.
       
       Allerdings tickt die Uhr: Im kommenden Jahr sollen die Voruntersuchungen
       für den 17. Bauabschnitt abgeschlossen sein, 2027 dann das
       Planfeststellungsverfahren. 2035, davon träumt zumindest Volker Wissing,
       soll die A 100 fertig sein.
       
       23 May 2024
       
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