# taz.de -- Hochwasser am anderen Ende Deutschlands: Aufweichende Deiche
> In Hamburg sitzt man gerade im Trockenen. Was aber, wenn der Bruder in
> Bayern neben der Donau wohnt? Ein Erlebnisbericht aus der Ferne.
IMG Bild: Bedrohlich schön: Der Donaudamm bei Straubing am 4. Juni
Es fängt an mit der interaktiven Hochwasserkarte der „Tagesschau“-App. Auf
dem Handy ist diese Karte kaum zu bedienen, so zielgenau muss man mit den
Wurstfingern die kleinen runden Punkte treffen. Orange Punkte bedeuten
„mittleres Hochwasser“, rote Punkte bedeuten „großes Hochwasser“, lila
Punkte „sehr großes Hochwasser“. Da, wo ich wohne, in Hamburg, ist kein
Punkt. Da, wo mein Bruder wohnt, in Straubing, ist der Punkt orange. Es ist
der 1. Juni. Straubing liegt in Niederbayern an der Donau zwischen
Regensburg und Passau.
Wird schon gut gehen, denke ich. Andererseits: Die Donau fließt in einem
Bogen um das Haus meines Bruders herum. Gefühlt liegt das Haus in einer
Senke, weil die Donau zurückgehalten wird von einem Erdwall. Wenn das
Wasser über den Wall treten würde, würde die Senke volllaufen wie eine
Badewanne. Das Wasser käme von mehreren Seiten. Aber gut: „Mittleres
Hochwasser“, easy. Ist nicht das erste Mal. Gab’s auch schon, als ich ein
Kind war und in Regensburg wohnte.
Blöd nur, dass es im Wetterbericht heißt: Am Wochenende Dauerregen in
Süddeutschland. Blöd auch, dass zur interaktiven Hochwasserkarte am
laufenden Band Videos von Liveschalten [1][aus dem Hochwassergebiet]
kommen. Und dass es mittlerweile einen Liveblog gibt, so wie für den
Ukraine- und den Nahostkrieg.
Im Liveblog steht am 2. Juni: „Damm im Landkreis Pfaffenhofen gebrochen“,
es geht dabei um den Fluss Paar, einem Nebenfluss der Donau. Nie gehört.
Dann steht da: „Katastrophenfall in mittlerweile 12 Landkreisen.“
Katastrophenfall? Ich lese weiter. „Katastrophenfall“ bedeutet, dass
irgendwelche Maßnahmen schneller ergriffen werden können. Eine
bürokratische Kategorie quasi. Wie damals in der Pandemie die
„gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“.
## Sinnlose Sandsäcke
Als Straubing auch den Katastrophenfall ausruft, greife ich zum Telefon.
„Und, seid ihr schon abgesoffen?“ – „Nein, nein“, sagt mein Bruder. „Alles
in Ordnung. Der Scheitelpunkt kommt erst heute Nachmittag.“ – „Okay und
hält der Deich?“ – „Der Deich? Du meinst den Damm. Nach dem großen
Hochwasser im Jahr 2013 wollten sie den verstärken. Ich hoffe, sie haben es
gemacht.“ Von Aufregung keine Spur.
Witzig, denke ich mir. In [2][Hamburg] heißt es „Deich“, in Straubing
„Damm“. Ist offenbar so ein Ding wie mit den Brötchen, die im Süden Semmeln
heißen.
„Und wenn die Donau da drüberschwappt?“ – „Du meinst, wenn der Damm bricht?
Das wäre blöd. Das ist 2013 30 Kilometer entfernt in Deggendorf passiert.
Aber bei uns noch nie.“
Drei Tage später, die Welle mit dem Scheitelpunkt müsste längst durch sein,
nochmal ein Anruf in Straubing. Es ist der 5. Juni. „Hab ihr’s
überstanden?“ „Na ja“, sagt mein Bruder, „der Damm hat gehalten, der
Scheitelpunkt ist erreicht, aber [3][das Wasser geht nicht zurück]. Die
Frage ist, ob der Damm dadurch auf die Dauer aufweicht.“
Und nun? „In der Stadt merkst du von dem Problem nichts. Alle klopfen sich
auf die Schultern und sagen: ‚Hält schon. Hat ja 2013 auch gehalten.‘“ Und
habt ihr Sandsäcke in Petto, falls der Damm bricht? „Nein, Sandsäcke würden
nichts bringen. Die Feuerwehr macht eine Dammwache. Das ist alles.“ Und
wenn es am Wochenende wieder regnet? „Schwer zu sagen. Aber bisher [4][ist
kein Regen angesagt.“]
Es ist eine seltsam zwiespältige Bedrohung, die Bedrohung vom hinterm Damm.
„Die Landschaft ist plötzlich ganz anders. Es sieht sehr schön aus,
besonders abends. Man denkt: In Schönheit geht die Welt zugrunde.“
Noch ist nichts entschieden in Straubing. Stand Donnerstagnachmittag.
7 Jun 2024
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## AUTOREN
DIR Klaus Irler
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