# taz.de -- Besuch aus der Zukunft: Vom Ende der Tech-Diktatur
> Als Kundin muss man überall befürchten abgezockt zu werden. Aber in
> Zukunft ändert sich das – auch durch ein zweites Internet.
IMG Bild: Ein harter Break muss her
Die älteste erhaltene [1][Kundenbeschwerde] stammt aus dem Jahr 1750 vor
Christus. Ein gewisser Nanni beschwerte sich beim Großhändler Ea-nasir,
dass die Qualität des gelieferten Kupfers mangelhaft sei. Als sich die
Sohle meines erst zwei Monate alten Schuhs genau in dem Augenblick löst,
als ich durch eine Pfütze laufe, fühle ich mich Nanni sehr nah. Nanni
empörte sich über [2][die Respektlosigkeit des Händlers] und pochte auf
sein Rückgaberecht. Zu Hause durchwühle ich vergeblich mein Arbeitszimmer
auf der Suche nach der Quittung, ohne die ich die Schuhe nicht zurückgeben
kann.
„Kannst du nicht zwei Monate in die Vergangenheit reisen und schauen, wo
ich den Kassenzettel hingelegt habe?“, frage ich Felix. Mein zeitreisender
Freund lebt eigentlich im Jahr 2124 und besucht mich gelegentlich. Jetzt
zuckt Felix nur entschuldigend mit den Schultern. „Nein, tut mir leid.“
„Wieso muss ich mich überhaupt mit so einem Mist herumschlagen? Ständig
muss ich aufpassen, als Kundin nicht abgezockt oder verarscht zu werden.
Erst gestern habe ich bei Instagram der Nutzung meiner Posts für
KI-Training widersprochen, und für die Sammelklage gegen Vodafones
einseitige Tariferhöhung muss ich mich auch noch anmelden.“
„Klingt anstrengend. Bis zum Generalstreik von 2045 wird das sogar noch
schlimmer.“
„Aber danach wird alles besser?“
„Ja! Bis dahin werden [3][die großen Tech-Konzerne wachsen] und nicht nur
Waren verkaufen, sondern auch immer mehr Services zur Verfügung stellen,
die eigentlich Staatsaufgaben sind, also: digitale Infrastruktur, Bildung,
Gesundheit, Mobilität. Das Verhältnis zwischen Kund*innen und Unternehmen
ähnelt dann immer mehr dem Verhältnis von Bürger*innen und Staat, aber
ohne Wahlrecht und Rechtssicherheit. Die Menschen werden sogar doppelt
abhängig, weil sie für die Firmen arbeiten, bei denen sie einkaufen.“
„Und wer wird dann schon mit seinem Onlineprofil eine 1/5 Sterne-Bewertung
abgeben, wenn er morgen bei der gleichen Firma einen Job oder eine
funktionierende Internetleitung haben will?“, sage ich. Im Geiste
formuliere ich einen Onlineverriss des Schuhgeschäfts, bei dem ich zum
Glück nicht anfangen will.
„Aber 2045 wird die Tech-Diktatur mit einem Generalstreik gestoppt“,
unterbricht mich Felix. „Eine Woche lang wenden sich die Menschen vom
Internet ab und konsumieren gar nichts mehr. In dieser Zeit stellen wir
fest, dass 70 Prozent des Inhalts und des Traffics von Bots und KIs
verursacht wird. Das Ganze wieder sauber zu trennen, ist viel zu
kompliziert. Ein harter Break muss her. Also wird das zweite Internet mit
neuen Benutzerkonten und neuen Regeln gegründet.
Es wird von Anfang an festgeschrieben, dass Unternehmen und Menschen Rechte
und Pflichten haben. Die Tech-Konzerne werden so umstrukturiert, dass jeder
mit dem Kauf eines Produkts auch einen Firmenanteil erwirbt und so eine Art
wirtschaftliche Gewaltenteilung entsteht. Seitdem läuft es ganz gut.“
„Auf all das kann ich nicht warten. Was mache ich bis dahin mit meinem
Schuh?“
„Entweder du bestellst dir online neue …“
„Nein!“
„Oder du bringst sie zum Schuster. [4][Das spart Ressourcen und unterstützt
die lokale Wirtschaft]. Win, win!“
11 Jun 2024
## LINKS
DIR [1] /Psychologie-der-Onlinebeschwerden/!5634890
DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ea-nasir
DIR [3] /Vor-Inkrafttreten-der-EU-Regeln/!6010291
DIR [4] /Beschluss-der-EU/!6003471
## AUTOREN
DIR Theresa Hannig
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