# taz.de -- Protestcamps an Unis: Dialogbereitschaft und Straflust
> Antisemitische Ausfälle lassen sich nicht nur mit Dialog einhegen. Und
> Jugend ist kein Blankoscheck für gefährlichen Quatsch. Unsicherheiten
> bleiben.
IMG Bild: Pro-palästinensische Aktivist:innen in der Humboldt Universität zu Berlin am 23. Mai
Wenn es irgendwo in Deutschland heißt, „Antisemitismus hat bei uns keinen
Platz“, dann ist es meistens schon zu spät. Zu spät, da dieser Ausspruch
eine Reaktion auf schon begangene antisemitische Taten ist, sich der
Antisemitismus also schon den Platz genommen hat.
So geschehen an der Universität Bonn. [1][Die Universitätsleitung reagierte
Ende Mai] mit diesem hilflosen Satz auf die Besetzung des Hauptgebäudes
durch die israelfeindliche Gruppe [2][„Students for Palestine“]. Seit
Anfang des Monats hatte die Gruppe auf dem Gelände der Universität ein
Protestcamp errichtet, Mitte dieser Woche [3][eskalierte es dann]. Bei
einem Vortrag des Antisemitismusforschers [4][Lars Rensmann] über die
„Judenfeindschaft heute“ störten Teilnehmer die Veranstaltung. Von der
Aufklärung über Judenhass fühlten sich einige wohl belästigt. Ein Mann rief
„Freiheit für Palästina“, obwohl es in dem Vortrag nicht um das israelische
Vorgehen im Gazastreifen ging. Später folgten körperliche Angriffe. Ein
gewaltfreies Umfeld, für das sich die Universitätsleitung versprochen hatte
einzusetzen, gab es also bereits wenige Tage nach dem Statement der
Unileitung nicht mehr.
Tja, wie also umgehen mit den Protestcamps, den Unibesetzungen und
Störaktionen, die, [5][angefangen an den US-amerikanischen Universitäten],
mittlerweile auch hier den Lehrbetrieb lahmlegen, die ein ungestörtes
Campusleben für jüdische Student:innen kaum mehr möglich machen und bei
denen die Gewalt nun [6][ein weiteres Mal eskalierte]?
Die Berliner Humboldt-Universität hatte es mit Dialogbereitschaft versucht.
Die Präsidentin wollte eine Besetzung dulden, obwohl Demonstranten bereits
Hamas-Symbole in die Hochschule gesprüht und den Rahmen einer friedlichen
Aktion damit verlassen hatten. Noch während die Präsidentin mit den
Studenten ins Gespräch ging, konnten sich Gewaltbereite in einem anderen
Stockwerk verschanzen und das Mobiliar zerstören.
## Erfahrungen aus den 90er Jahren
Allein mit Dialog lässt sich antisemitischer Protest offensichtlich nicht
einhegen. Linke werden das nicht gerne hören: Aber hier braucht es auch
eine autoritäre Reaktion. Wer Auslöschungsfantasien gegenüber Juden und
Israel propagiert, darf dafür nicht noch mit Verständnis und
Gesprächsrunden belohnt werden. Das wissen wir spätestens seit den
1990er-Jahren und gescheiterter sozialpädagogischer Nachsicht gegenüber
rechtsradikalen Jugendlichen.
Gleichzeitig beobachte ich bei dem ein oder der anderen ein Bedürfnis nach
übermäßiger Bestrafung dieser Student:innen, das den Rahmen einer
notwendigen Reaktion verlässt. Ein unbändiges, autoritäres Strafbedürfnis,
eine Straflust, halte ich für falsch.
Antisemitismus muss hier aber als identitätsstiftendes Merkmal verstanden
werden. Dieses lässt sich nicht allein mit Argumenten auflösen – vor allem
bei harten Ideologen. Ein „ja, aber“ oder ein entschuldigendes „Na ja, aber
sie sind doch noch jung“ ist hier falsch.
Wenn Studenten ihren Protest also [7][mit Gewaltaufrufen gegen Juden und
Israel schmücken], wenn sie sich in ihren Forderungen mit einer
Terrororganisation gemein machen, dann offenbaren sie ihren eigenen
autoritären Charakter, der für Aufklärung oder Dialog nicht empfänglich
ist.
Warum tun sich viele Linke damit so schwer? Liegt es nur daran, dass sie
Autorität grundsätzlich ablehnen? Nun, ein Grund von vielen ist sicherlich,
dass viele Linke selbst ein Problem mit Antisemitismus haben. Oder haben
Sie die Rechtfertigungen vieler linker Gruppierungen und Einzelpersonen
nach dem Abschlachten israelischer Zivilisten am 7. Oktober durch die Hamas
schon vergessen? Ich nicht.
Wie lautet also das Patentrezept, um die nächste Unibesetzung durch
studentische Hamas-Fanboys und -Fangirls zu verhindern? Ich habe keine
abschließende Antwort. Ich ringe mit mir selbst.
9 Jun 2024
## LINKS
DIR [1] https://www.uni-bonn.de/de/neues/stellungnahme-zur-stoerung-des-universitaetsbetriebs-am-29-mai-2024
DIR [2] https://www.studentsforpalestine.de/
DIR [3] https://ga.de/bonn/stadt-bonn/students-for-palestine-uni-bonn-gewalt-bei-antisemitismus-vortrag-asta-reagiert_aid-114064195
DIR [4] /Unser-Israel-11/!5137753
DIR [5] /Judenhass-in-der-Universitaet/!6004718
DIR [6] /Antisemitischer-Ueberfall-auf-FU-Student/!5987284
DIR [7] /Propalaestina-Proteste-an-deutschen-Unis/!6012172
## AUTOREN
DIR Erica Zingher
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