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       # taz.de -- Berliner Linke nach der Europawahl: Hochburg kommt vor dem Fall
       
       > Die Linke sucht nach Erklärungen für ihren Absturz und den Aufstieg des
       > BSW vor allem im Osten Berlins. Der Landeschef spricht von einem
       > Desaster.
       
   IMG Bild: Wahlplakat der Linken in Pankow – auch in dieser ehemaligen Hochburg ist der Wähler:innen-Anteil auf unter 9 Prozent geschrumpft
       
       Berlin taz | Der ehemalige Berliner Linken-Abgeordnete Hakan Taş hat sein
       Parteibuch abgegeben. Die Linke habe sich immer stärker von den Menschen
       vor Ort entfernt, nun, nach der Europawahl, sei für ihn Schluss. „Und es
       ist ja nicht so, dass wir das erste Mal bei Wahlen verlieren, niemand hat
       dafür Verantwortung übernommen, auch in Berlin nicht“, sagt Taş am Dienstag
       zur taz.
       
       Was seine künftige politische Heimat anbetrifft, habe er sich noch nicht
       hundertprozentig entschieden, sagt Taş, [1][der von 2011 bis 2021 im
       Abgeordnetenhaus saß]. „Aber ich werde sicher das Bündnis Sahra Wagenknecht
       begleiten.“ Das passe für ihn. Auch er sei gegen Waffenlieferungen. Und:
       „Islamisten sind abzuschieben.“ Beides werde von Teilen der, so Taş,
       „Kaderelite“ der Hauptstadt-Linken abgelehnt. Nicht so bei der
       Wagenknecht-Partei.
       
       Dort nimmt man die Avancen des einstigen integrationspolitischen Sprechers
       der Linksfraktion verhalten zur Kenntnis. Das Bündnis Sahra Wagenknecht
       (BSW) habe aktuell rund 80 Mitglieder und wolle [2][wie bisher auch vorerst
       weiter nur langsam wachsen], sagt Alexander King zur taz.
       
       Der Ex-Linke ist der einzige BSW-Abgeordnete im Landesparlament und
       koordiniert den Parteiaufbau in Berlin. Im Sommer soll ein Landesverband
       gegründet werden. King sagt: „Es wird bei allen Interessierten geschaut,
       weshalb sie zu uns kommen wollen und ob sie zu uns passen. Wir wollen keine
       Rechten, keine Streithähne, keine Karrieristen.“
       
       ## „Kommt Sahra noch?“
       
       Der oberste Berliner BSW-Aufbauhelfer ist auch zwei Tage nach der
       Europawahl noch „baff“ über das Ergebnis. [3][Mit 8,7 Prozent hatte sich
       das BSW berlinweit aus dem Stand vor die Linke geschoben], die im Vergleich
       zur Wahl 2019 um fast 5 Punkte auf 7,3 Prozent abrutschte. Insbesondere die
       Erfolge in den ehemaligen Hochburgen der Linken, den Bezirken Lichtenberg
       und Marzahn-Hellersdorf, wo das BSW 17,5 und 17,1 Prozent erreichte, fallen
       ins Auge. Überraschend sind die Ergebnisse gleichwohl nicht.
       
       „Kommt Sahra noch?“: Schon vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 gehörte diese
       Frage an den Bratwurstständen der Linken in den Großwohnsiedlungen in
       Lichtenberg zum Standardrepertoire insbesondere älterer Genoss:innen.
       [4][Deren Sorgen kreisten um hässliche Glascontainer und Zugezogene], ihre
       Erinnerungen galten der DDR, als es sauber und ordentlich zugegangen sei.
       Vor Jahren hatte die Linke hier das Image der Kümmererpartei. Das trat sie
       bei den folgenden Wahlen an die örtliche CDU ab.
       
       Und „Sahra“ ist seither zwar nur ein Mal nach Lichtenberg gekommen. Dafür
       macht das BSW seit Anfang des Jahres mobil. Ihre neue dreiköpfige Fraktion
       im Bezirksparlament [5][kämpft gegen Kiezblocks und Poller und
       Geflüchtetenunterkünfte].
       
       Für den in Lichtenberg direkt gewählten Linken-Abgeordneten Sebastian
       Schlüsselburg steht das BSW damit „nachweislich rechts der
       Sozialdemokratie“. Der „Kulturkampf gegen die Verkehrswende“ sei „billiger
       Populismus“, die Migrationspolitik nichts anderes als rassistisch, sagt
       Schlüsselburg zur taz.
       
       Stimmt alles nicht, heißt es von Alexander King. „Uns geht es nicht darum,
       dass keine Flüchtlinge nach Berlin kommen“, sagt er. Dem BSW gehe es um
       eine gerechte Verteilung der Geflüchteten, „darum, dass nicht immer
       diejenigen Kieze belastet werden, die ohnehin schon viele Flüchtlinge
       aufgenommen haben und die infrastrukturell und sozioökonomisch eh nicht
       gerade begünstigt sind“.
       
       ## Linke verspricht „schonungslose“ Aufarbeitung
       
       Mitverantwortlich dafür gemacht wird auch die Linke, die Lichtenberg bis
       vor wenigen Jahren uneingeschränkt dominierte. Wobei der Absturz der Partei
       nicht zuletzt in den Plattenbausiedlungen brutal ist. In zwei Stimmbezirken
       im Ortsteil Fennpfuhl etwa rauscht die Linke von Platz 1 mit über 28
       Prozent um rund 16 Punkte auf Platz 4 mit unter 12 Prozent ab – das BSW
       hingegen fährt über 21 Prozent ein, Platz 1. Die Wahlbeteiligung war hier
       mit etwas über 50 Prozent freilich auch niedrig.
       
       Der Linke-Landesvorsitzende Maximilian Schirmer will trotzdem nichts
       schönreden: „Das ist ein Desaster.“ Innerhalb der Partei gelte es, das
       Wahlergebnis „schonungslos“ aufzuarbeiten. „Wir werden uns hier ehrliche
       Fragen stellen müssen“, sagt Schirmer zur taz. Dazu gehöre, „ob wir als
       Linke unserer Verantwortung nachgekommen sind, [6][ob wir auf die Fragen
       der Menschen die richtigen Antworten gegeben haben]“.
       
       Das BSW sei „eine Projektionsfläche für großen Frust“, so der
       Linke-Landeschef. „Wir als Linke wollen aber mehr als nur den Frust
       aufgreifen, sondern für die Menschen wirklich etwas verbessern. Da müssen
       wir besser werden.“
       
       ## Warnung vor vorschnellen Schlüssen
       
       Zugleich warnt Maximilian Schirmer mit Blick auf das Abschmieren seiner
       Partei vor vorschnellen Interpretationen. „Das ist schon etwas
       komplizierter, zumal wir leider auch an das Lager der Nichtwähler verloren
       haben.“
       
       Auch der Politikwissenschaftler Werner Krause mahnt zur Vorsicht. „Wir
       haben zu wenig belastbare Daten, um sicher zu sagen, was die
       Wähler:innen des BSW antreibt“, sagt der Experte für Parteienpolitik von
       der Universität Potsdam zur taz.
       
       Eine Rolle in den Ostberliner Plattenbausiedlungen dürfte natürlich
       gespielt haben, dass die Wähler:innen mit der Arbeit der Linken immer
       weniger zufrieden sind, wohingegen Sahra Wagenknecht wahlmotivierend
       wirkte, schon weil sie „authentisch Protest verkörpert“. Gesichert sei das
       aber eben nicht. „Wir müssen hier einfach noch weitere Wahlen abwarten“, so
       Krause.
       
       Die Berliner Linke macht sich unterdessen Mut. So verweist Landeschef
       Schirmer auch auf die weiter steigenden Mitgliederzahlen. Austritten wie
       dem von Hakan Taş am Dienstag zum Trotz: Allein seit dem Wahlsonntag zählt
       die Partei Schirmers Angaben zufolge mehr als 50 Neueintritte, insgesamt
       hat die Linke in Berlin damit fast 7.500 Mitglieder. Eine Entwicklung, die
       sich nur nicht in der Zahl der Wähler:innen niederschlägt.
       
       11 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nicht-gewaehlte-Berliner-Politiker/!5800498
   DIR [2] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!5984687
   DIR [3] /Kleinparteien-bei-der-Europawahl/!6013343
   DIR [4] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156705.lichtenberg-die-kuemmerer-am-stadtrand.html
   DIR [5] /BSW-in-Berlin/!5989092
   DIR [6] /Parteitag-der-Berliner-Linken/!6007178
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rainer Rutz
       
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