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       # taz.de -- Wehrdienst in Deutschland: Per Fragebogen zu mehr Soldaten
       
       > Bundesverteidigungsminister Pistorius will ab 2025 einen
       > „Auswahlwehrdienst“ einführen. Das erste Ziel: 15.000 neue
       > Wehrdienstleistende jährlich.
       
   IMG Bild: Einer der letzten Jahrgänge vor Aussetzung der Wehrpflicht: Geländeübung mit G36-Gewehr in Torgelow 2011
       
       Berlin taz | „Auswahlwehrdienst“ nennt Boris Pistorius sein neues Modell,
       um der Bundeswehr mehr Nachwuchs zuzuführen. Am Mittwoch präsentierte der
       sozialdemokratische Bundesverteidigungsminister zunächst im
       Verteidigungsauschuss, dann in der Bundespressekonferenz seine Pläne, die
       im Herbst ins Kabinett eingebracht sein und bis zum Frühjahr 2025 den
       Bundestag passiert haben sollen.
       
       Das von Pistorius vorgestellte Konzept sieht vor, dass alle Frauen und
       Männer beim Erreichen des wehrdienstfähigen Alters, also zum vollendeten
       18. Lebensjahr, von der Bundeswehr angeschrieben werden. Während die jungen
       Frauen den Brief ungeöffnet in den Papierkorb befördern können, sind die
       rund 400.000 Männer des jeweiligen Jahrgangs gesetzlich verpflichtet, den
       Fragebögen auszufüllen und zurückzusenden.
       
       Auf der Grundlage der Antworten trifft die Bundeswehr dann die Entscheidung
       darüber, wer zur Musterung eingeladen wird. Dieser Einladung zu folgen ist
       für Männer ebenfalls verpflichtend. Aus dem Kreis der bis zu 50.000
       Gemusterten sollen anschließend „die Geeignetsten und Motiviertesten“
       ausgewählt werden, um entweder einen sechsmonatigen Grundwehrdienst
       abzuleisten oder sich für bis zu insgesamt 23 Monate zu verpflichten.
       
       2011 hatte der Bundestag mit einer Mehrheit aus Union, FDP und Grünen sowie
       gegen die Stimmen der SPD und der Linkspartei [1][die Wehrpflicht für
       Männer] ausgesetzt. Stattdessen gibt es neben dem vorherrschenden
       Berufssoldatentum seither nur noch einen freiwilligen Wehrdienst sowohl für
       Männer als auch für Frauen ab 17 Jahren. Der stößt jedoch nicht auf
       ausreichende Resonanz, um den Personalbedarf zu decken. Derzeit melden sich
       um die 10.000 freiwillig, wobei die Abbrecherquote hoch ist.
       
       ## Orientierung am „schwedischen Modell“
       
       Ziel des neuen Modells ist es, ab 2025 insgesamt 15.000 Wehrdienstleistende
       jährlich auszubilden, wobei sich die Zahl schrittweise erhöhen soll – Jahr
       für Jahr um gut 3.000. Das hat mit der angestrebten Vergrößerung der
       Bundeswehr zu tun, die von derzeit knapp 181.000 Soldat:innen bis 2031
       auf 203.000 aktive Soldat:innen anwachsen soll. Zusätzlich sollen
       260.000 Reservist:innen kommen, die im Verteidigungsfall mobilisiert
       werden können.
       
       Mit seinem rund 1,4 Milliarden Euro teuren Vorschlag orientiert sich
       Pistorius stark am „schwedischen Modell“. Im Gegensatz zu [2][Schweden],
       das 2017 die Wehrpflicht wieder eingeführt hat, verzichtet er allerdings
       aus pragmatischen Gründen auf Geschlechtergerechtigkeit. Denn eine wie auch
       immer geartete Wehrpflicht für Frauen würde eine Grundgesetzänderung
       erfordern – bei der sich Pistorius nicht sicher sein kann, dass sie in
       dieser Legislaturperiode zustande käme.
       
       Mit der gleichen Begründung soll es vorerst auch keine allgemeine
       Dienstpflicht geben, die alternativ nichtmilitärisch zum Beispiel in
       sozialen Einrichtungen abgeleistet werden könnte. Sowohl in der SPD als
       auch in der Union gibt es hierfür starke Befürworter:innen, auch
       Pistorius selbst. Bei Grünen und FDP gibt es dagegen jedoch starke
       Widerstände.
       
       ## „Wehrpflicht durch die Hintertür“
       
       Auch die jetzt vorgelegten abgespeckten Pläne stoßen in der
       Regierungskoalition nicht auf ungeteilte Begeisterung. „Die von Pistorius
       vorgeschlagene Musterungspflicht für Männer ist eine Rückkehr zur
       Wehrpflicht durch die Hintertür“, kritisierte die grüne
       Bundestagsabgeordnete Milla Fester. „Junge Menschen jetzt zum Dienst an der
       Waffe verpflichten zu wollen wäre ein tiefer Eingriff in ihr Leben“, sagte
       sie der taz. Gerne könnten junge Menschen mit einem Brief zu mehr
       Engagement für die Gesellschaft motiviert werden. Aber: „Ein Zwang kann
       nicht die Lösung sein.“
       
       Von der oppositionellen Linkspartei kommt ebenfalls Kritik. „Die
       Wehrpflicht zu reaktivieren, um Personal für die ausgerufene Zeitenwende zu
       rekrutieren, lehnen wir strikt ab“, sagte Parteichefin Janine Wissler der
       taz. „Die Wehrpflicht ist ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert, deren
       vollständige Abschaffung überfällig wäre.“
       
       Pistorius geht davon aus, dass sich mit seinem Vorschlag „mühelos“
       ausreichend Rekrut:innen auf freiwilliger Basis finden lassen. Aber was
       ist, wenn das nicht gelingt? Das „schwedische Modell“ sieht für diesen Fall
       Zwangsrekrutierungen vor. Das könne der Minister für Deutschland „nicht
       ausschließen“, sagte er. „Dann müssen wir auch über eine verpflichtende
       Option nachdenken.“
       
       Von einer „Salamitaktik hin zu einer neuen, allgemeinen Wehrpflicht“ sprach
       Michael Schulze von Glaßer, der Geschäftsführer der „Deutschen
       Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ DFG-VK.
       „Pistorius will bei dem Thema die Grenzen des mit der Ampelregierung
       Machbaren ausreizen und bereitet damit schon mal weitergehende Schritte für
       eine nächste Bundesregierung vor“, sagte Schulze von Glaßer der taz. „Wir
       werden uns den jeweiligen Fragebogen ansehen und jungen Menschen den
       Lösungsweg präsentieren, damit sie nicht zur Zwangsmusterung und am Ende
       zur Armee müssen“, kündigte er an.
       
       12 Jun 2024
       
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   DIR Pascal Beucker
       
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