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       # taz.de -- Unerwartete Begleitung im Hochgebirge: Der Schutz der Ziegen
       
       > Als wir unsere Wanderung auf einem südtiroler Berg beginnen, schließen
       > sich uns eine Ziegenmutter und acht Zicklein an. Wir werden sie nie
       > vergessen.
       
   IMG Bild: Mitunter eine wertvolle Begleitung: Ziegen wie hier in Baden-Baden
       
       Wir sind hoch. So hoch, dass um uns schon Wolken sind. Und sonst nicht
       viel. Oder alles. [1][Ruhe und Alleinsein.] Bäume und Wiesen. Wäldchen und
       Wege. Wir sind auf einem Berg in Südtirol. Gerade kommen wir aus einer
       Almhütte, wo wir einen Kaffee getrunken haben und machen uns wieder auf die
       Wanderung. Wir wollen zu zweit weiter hoch auf einen Gebirgsgrat: Der
       schmale Weg auf einem Bergrücken, der zwei Gipfel miteinander verbindet.
       
       Als wir aus der Alm treten, sehen wir Jugendliche, die einen Holzzaun
       versetzen. Einem der Teenager, der ein Drahtseil spannt, laufen Ziegen
       hinterher. Sie folgen ihm so nah wie Hunde. Zwei Mädchen bohren mit einem
       Akkuschrauber Schrauben in Holzpfosten.
       
       Als wir an ihnen vorbeilaufen, passieren wir die Ziegen. Eine Ziegenmutter
       und acht Zicklein. Es ist nicht auszumachen, ob alle zu der Mutter gehören.
       Sie beäugen uns aus großen Augen. Als wir weitergehen, folgen uns die
       Ziegen. Die große Glocke der Ziege und die kleinen Glöckchen der Zicklein
       klingen dabei: bim, bam! Bim, bim! Wir freuen uns und lachen, dass sie bei
       uns sind.
       
       Doch als wir weiter den Berg hinaufgehen, folgen uns die Ziegen noch immer.
       Wir überlegen, ob das richtig ist. Ob sie keiner vermissen wird. Doch sie
       bleiben unbeirrt hinter uns: bim, bam! Bim, bim! Die Mutter folgt als
       erste, sie läuft nie vor uns, als wollte sie uns anführen lassen. Die
       kleinen Zicklein folgen ihr etwas unwillig. Die Mutterziege stößt sie immer
       wieder leicht mit Ihren Hörnern zurück, wenn die Zicklein zu nah an uns
       herankommen wollen. Als würde sie gern nah bei uns sein und dabei das
       Vorrecht haben. Und die Zicklein müssen mitkommen, ob sie wollen oder
       nicht.
       
       Wir steigen weiter hinauf in Richtung des Grats, es liegt nun Schnee. Und
       wir rätseln weiter, warum uns die Ziegen folgen. Vermuten sie etwas zu
       fressen bei uns? An einer Weggabelung zum Grat kommt uns eine Familie
       entgegen, die den Hügel umwandert hat. Vater, Mutter, Kind. Sie lachen, als
       sie uns mit den Ziegen sehen. „Na laufen sie euch nach?“ Die [2][Familie]
       erzählt uns, dass es oben auf dem Grat verschneit und matschig sein soll.
       „Mit dem Jungen gehen wir da nicht rauf“, sagen sie. „Auch nicht im
       Sommer.“ Ob es zu riskant sei, fragen wir. „Das müsst ihr wissen“, sagen
       sie.
       
       Wir überlegen. Doch ich habe kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, mit den
       Ziegen über den Grad zu wandern, bei dem es steil hinabgeht. Was ist, wenn
       sie uns zwischen die Beine laufen und wir schwanken? Die Ziegen können gut
       klettern, aber vielleicht irritieren sie uns. Wir beschließen abzusteigen.
       Auch wenn wir etwas enttäuscht sind, dass wir unser ursprüngliches Ziel
       nicht erreichen werden.
       
       Beim Abstieg [3][ist der Weg stellenweise rutschig]. Ich spüre, dass ich
       etwas müde bin und bin nun froh, dass wir nicht oben auf dem Grat gelaufen
       sind. Noch immer sind die Ziegen eng hinter uns: bim, bam! Bim, bim! Schon
       seit über einer Stunde. Ich blicke sie nun anders an. Der gemeinsame Gang
       hat eine Verbundenheit geschaffen. Und plötzlich kommt es mir auch so vor,
       als würden die Ziegen einen Zweck verfolgen. Als hätten sie etwas gespürt.
       Vielleicht wollten sie uns ja davon abhalten, ganz hinaufzugehen. Hier oben
       fühlt es sich so an, als würden sie aufpassen, die Ziegen.
       
       „Sind das eure Ziegen?“, fragen uns zwei Frauen, die uns unten
       entgegenkommen. „Ja“, sage ich spontan und lache.
       
       Wir gelangen in Richtung einer Gondelstation. Die Ziegen hinter uns werden
       nun langsamer. Wir scheinen uns aus ihrem Territorium wegzubewegen. Ein
       Paar kommt uns entgegen. Auch sie lächeln über die Ziegen hinter uns. Doch
       da bleiben die Ziegen stehen. Sie warten einen Moment. Dann drehen sie um.
       Sie gehen langsam hinter dem Paar her: bim, bam! Bim, bim! Das Paar winkt,
       es verschwindet hinter einer Hügelkuppe und die Ziegen mit ihnen. Plötzlich
       sind sie fort. Und es schmerzt. Ihre Begleitung fehlt. Diesen Weg mit ihnen
       werden wir nicht vergessen.
       
       6 Jul 2024
       
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