URI: 
       # taz.de -- Debatte um Zentral- und Landesbibliothek: Zielloses Zeitverplempern
       
       > CDU-Kultursenator Joe Chialo hält eisern an der Idee fest, das Gebäude
       > der Galeries Lafayette für die ZLB anzukaufen. Er verschwendet seine
       > Zeit.
       
   IMG Bild: Ende eines Luxuskaufhauses: Die Galeries Lafayette an der trostlosen Friedrichstraße machen Ende Juli dicht
       
       Wer dachte, die „Jahrhundertchance“ für Berlins Zentral- und
       Landesbibliothek (ZLB) sei längst begraben, wurde jetzt durch Kultursenator
       Joe Chialo eines Besseren belehrt. Kein Geld? Kein Problem. Wie der
       CDU-Politiker im Abgeordnetenhaus erklärte, setzt er bei der Suche nach
       einem neuen Super-Standort für die ZLB einfach weiter auf die tot geglaubte
       Idee, mit den aus allen Nähten platzenden Dependancen in Mitte und
       Kreuzberg in das demnächst leerstehende Luxuskaufhaus Galeries Lafayette an
       der Friedrichstraße zu ziehen.
       
       Bereits im August vergangenen Jahres hatte Chialo dafür geworben, die ZLB
       in dem 1996 eröffneten und seit langem darbenden Konsumtempel
       unterzubringen. [1][Die Bibliotheksszene war elektrisiert.] Im Gegensatz zu
       den Haushaltspolitiker:innen, denen sich bei dem vom Eigentümer des
       Gebäudes aufgerufenen [2][Kaufpreis von fast 600 Millionen Euro] der Magen
       umdrehte. Letztere setzten sich durch. Chialos
       Lafayette-Wiederverwertungs-Plan findet sich mit keiner Zeile im wenige
       Monate darauf verabschiedeten Doppelhaushalt 2024/2025.
       
       Der Eigentümer will zwar immer noch fast 600 Millionen sehen oder ansonsten
       das Kauf- in ein Bürohaus umbauen lassen. Dafür zauberte die
       Kulturverwaltung nun [3][neue und, so Chialo, „kreative“
       Finanzierungsideen] aus dem Hut: Die ZLB zieht ins Lafayette, vermietet
       aber zwei der sieben Etagen an die vom Bund finanzierte Staatsbibliothek.
       Die nutzt die ehemaligen Kaufhausstockwerke während der geschätzt bis zu 15
       Jahre dauernden Sanierung ihres Haus 2 an der Potsdamer Straße – und über
       die Mieteinnahmen kann das Land Berlin wiederum den Kauf des Gebäudes
       irgendwie mitstemmen.
       
       Es klingt alles so vernünftig und einfach. Aber wie das so ist mit dem
       Vernünftigen und Einfachen: Es ist schwer zu machen. In dem Fall tendieren
       die Chancen für Chialos Jahrhundertchance wie im vergangenen Jahr
       allerdings auch jetzt wieder gegen Null.
       
       ## Wenig Begeisterung bei Staatsbibliothek und SPD
       
       Da ist zunächst die Staatsbibliothek als Einrichtung der Stiftung
       Preußischer Kulturbesitz und damit des Bundes. Richtig ist, dass deren 1978
       fertiggestellter Standort an der Potsdamer Straße, der prosaisch Haus 2
       genannte Scharoun-Bau, zwar seit Jahren ebenso dringend wie aufwendig
       saniert werden muss. Allerdings gibt es hierfür bislang weder eine
       offizielle Kostenprognose noch einen verlässlichen Zeitplan.
       
       Und dann ist da der Koalitionspartner SPD. Schon beim ersten öffentlichen
       Vorstoß Chialos vor neun Monaten erklärten die Sozialdemokrat:innen
       hinterher, [4][dass sie erstens nichts davon wussten und zweitens nichts
       davon hielten]. Das wiederholten sie nun. Die kulturpolitische Sprecherin
       der SPD-Fraktion sprach erneut von „einer charmanten Lösung“, um dann
       hinzuzufügen, dass ihr aber „wirklich die Phantasie“ fehle, „wo wir das
       Geld hernehmen wollen“.
       
       Was in der Begeisterung über Chialos neue Kreativität tatsächlich
       unterschlagen wird: Der Bund würde mit seinen Mietzahlungen für die zwei
       Etagen allenfalls einen Teil zur Finanzierung des Lafayette-Ankaufs
       beitragen. Vor allem aber dürfte er versucht sein, die Kosten möglichst
       weit zu drücken. Das eigene Großprojekt wird genug verschlingen.
       
       Zu den Avancen des Kultursenators ließ die Stiftung Preußischer
       Kulturbesitz dann auch kühl mitteilen, dass die Prüfung eines geeigneten
       Standorts für eine Interimslösung während der Grundinstandhaltung des Haus
       2 „noch nicht abgeschlossen“ sei. Begeisterung klingt anders.
       
       Selbst wenn der Bund mitspielt: Den Rest des Kaufbetrags für das
       Lafayette-Gebäude müsste Berlin weiterhin allein tragen. Schon kursieren
       Vorschläge, das ebenfalls sanierungsbedürftige ZLB-Haus an der Breiten
       Straße in Mitte an einen Immobilieninvestor zu verscherbeln. Auch von
       Sponsoring ist die Rede. Na dann, herzlich Willkommen in der
       Zalando-Zentral- und Uber-eats-Landesbibliothek an der Friedrichstraße!
       
       ## Das Projekt am Blücherplatz
       
       So wird ziellos Zeit verplempert, während die eigentlichen Pläne für einen
       neuen Zentralstandort am Kreuzberger Blücherplatz neben der
       Amerika-Gedenkbibliothek in der Ecke verschimmeln. Zur Erinnerung: Es gibt
       Machbarkeitsstudien von 2015, Wirtschaftlichkeitsstudien von 2016,
       [5][einen Senatsbeschluss von 2018], schließlich 2019 noch ein
       Dialogverfahren. Grünes Licht allerorten. Trotzdem ruht seit Jahren still
       die See.
       
       Auch das ist zu nicht unwesentlichen Teilen der SPD und der von ihr seit
       2021 (wieder) geführten Senatsbauverwaltung zu verdanken. In regelmäßigen
       Abständen ventilieren die Sozialdemokrat:innen neue alte
       Monsterbau-Ideen. Mal [6][soll die ZLB ins Tempelhofer Ex-Flughafengebäude
       ziehen], mal ins ICC. Beide sind baulich wie bibliotheksfachlich zwar
       gänzlich ungeeignet. Aber egal. Sie stehen nun mal da und weitgehend leer
       und gehören dem Land.
       
       Das Projekt am Blücherplatz wird in der Zwischenzeit auch durch die
       generellen Baukostensteigerungen teurer und teurer. Schon 2022 waren aus
       ursprünglich 350 Millionen fast 500 Millionen Euro geworden, mittlerweile
       sind es über 600 Millionen. Wenn Chialo jetzt sagt, jeglicher Um- oder
       Neubau werde „teurer als das Angebot, was wir jetzt anpeilen“, trifft das
       nach Jahren des Nichtstuns leider zu. Dass der Neubau dereinst nur über
       Kredite zu finanzieren sein wird, ist klar. Es ist aber allemal besser als
       der Verkauf landeseigener Liegenschaften.
       
       Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Nachnutzung aus der Zeit
       gefallener Kaufhäuser als Orte nichtkommerziellen Gemeinwohls ist unbedingt
       zu begrüßen, allein unter ökologischen Gesichtspunkten. Und, ja, es wäre
       überaus hübsch, wenn die ZLB in die Galeries Lafayette einzöge. Nur ist das
       angesichts der aktuellen Berliner Kassenlage und der sozialdemokratischen
       Blockadehaltung wenig realistisch. Doch genau das ist es, was die ZLB
       braucht: eine realistische, eine echte Perspektive. Und die liegt am
       Blücherplatz.
       
       1 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Berliner-Zentral--und-Landesbibliothek/!5954968
   DIR [2] /Berliner-Zentral--und-Landesbibliothek/!5954968
   DIR [3] /Zentral--und-Landesbibliothek-Berlin/!6010195
   DIR [4] /Zentral--und-Landesbibliothek/!5956864
   DIR [5] /Zentral--und-Landesbibliothek/!5511689
   DIR [6] /Stadtumbau-in-Berlin/!5907755
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rainer Rutz
       
       ## TAGS
       
   DIR Amerika-Gedenkbibliothek
   DIR Friedrichstraße
   DIR Bibliotheken in Berlin
   DIR SPD Berlin
   DIR Joe Chialo
   DIR Wochenkommentar
   DIR Galeries Lafayette
   DIR Joe Chialo
   DIR Schwarz-rote Koalition in Berlin
   DIR Bibliotheken in Berlin
   DIR Galeries Lafayette
   DIR Amerika-Gedenkbibliothek
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Besetzung des Lafayette in Berlin: Die Häuser denen, die drin lesen
       
       Mitarbeiter der Berliner Zentral- und Landesbibliothek besetzen das
       ehemalige Lafayette-Gebäude an der Friedrichstraße – mit Duldung des
       Eigentümers.
       
   DIR Debatte um Zentral- und Landesbibliothek: Sehnsuchtsort Friedrichstraße
       
       Berlins Bibliotheksszene und CDU-Kultursenator Joe Chialo lassen nicht
       locker und werben weiter für einen Umzug der ZLB in die Galeries Lafayette.
       
   DIR Zentral- und Landesbibliothek Berlin: Bücher statt Büros
       
       Es gibt neue Pläne für den Umzug von Berlins Zentral- und Landesbibliothek
       in das Kaufhaus Galeries Lafayette. Der Investor hat jedoch andere Pläne.
       
   DIR Gastbeitrag von Klaus Lederer: Die Friedrichstraße braucht die ZLB
       
       Die unausgesprochene Vision einer neuen Heimat für Wissen und Begegnung
       inmitten Berlins pulsierender Friedrichstraße.
       
   DIR Zentral- und Landesbibliothek: Friedrichstraße bleibt tot
       
       Berlins SPD stellt sich klar gegen die Idee, mit der ZLB in die Galeries
       Lafayette zu ziehen. Stattdessen bringt man das ICC ins Spiel.