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       # taz.de -- Journalistenmord in Griechenland: 13 Kugeln gegen die Presse
       
       > Bespitzelungen, ein Toter: Journalisten in Griechenland leben gefährlich.
       > In Athen beginnt der Prozess wegen des Mords an Reporter Giorgos
       > Karaivaz.
       
   IMG Bild: Gedenken an den ermordeten Journalisten Giorgos Karaivaz am Ort des Attentats
       
       Athen taz Als der [1][Journalist] Giorgos Karaivaz am 9. April 2021
       gegenüber seiner Wohnung im gutbürgerlichen Athener Vorort Alimos aus
       seinem Auto steigt, wird er noch ein paar Sekunden leben. Gerade ist er von
       seinem Arbeitsplatz in den Studios des privaten Athener Fernsehsenders Star
       TV zurückgekehrt. Plötzlich nähern sich ihm zwei Männer auf einem Scooter.
       Einer der beiden Männer schießt mit einer Pistole aus allernächster Nähe 13
       Mal auf Karaivaz. Zehn Kugeln treffen ihn. Karaivaz ist sofort tot und die
       Männer verschwinden im Betonmeer von Athen.
       
       Der brutale Mord am helllichten Tag auf offener Straße glich einer
       Hinrichtung und sorgt für einen großen Aufschrei auch fernab von Hellas.
       Drei Jahre nach der Ermordung fordern internationale Organisationen für
       Pressefreiheit, darunter das in Leipzig ansässige European Centre for Press
       and Media Freedom (ECPMF), in einer gemeinsamen Erklärung die griechischen
       Behörden dazu auf, den Fall endlich aufzuklären. „Trotz der Verhaftung von
       zwei Verdächtigen im April 2023 gab es bisher keine wesentlichen
       Fortschritte. Angesichts der Tatsache, dass Karaivaz über Verbindungen der
       griechischen Polizei mit dem organisierten Verbrechen berichtete, besteht
       die reale Gefahr, dass Teile der Polizei nicht wollen, dass die
       Ermittlungen vorankommen“, heißt es darin.
       
       [2][Die Pressefreiheit in Griechenland ist in Gefahr.] Bespitzelungen,
       Verleumdungsklagen, Morde: Erstmals seit dem Ende der Obristendiktatur im
       Sommer 1974 verurteilte das Europaparlament in einer Entschließung vom 7.
       Februar [3][Griechenland]. Den Finger in die Wunde legte in der Causa
       Hellas ferner der Europarat. Ein am 5. März veröffentlichter Bericht über
       die Pressefreiheit in Europa widmet sich ausführlich dem Problemkind
       Griechenland. In der aktuellen Weltrangliste der Pressefreiheit von
       Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Hellas nur noch den 88. Platz und ist
       damit abgeschlagenes EU-Schlusslicht – hinter der Zentralafrikanischen
       Republik, Katar sowie Burkina Faso.
       
       ## Abhängig von Staatsgeldern
       
       Von den Gründen dafür kann Eurydice Bersi von der Athener
       Investigativplattform Reporters United (RU) ein Lied singen. In der
       griechischen Presse gebe es eine Reihe von Methoden, damit Sachverhalte,
       die die Regierung in Athen, Botschaften anderer Länder oder Großunternehmer
       stören könnten, nicht veröffentlicht werden, sagt Bersi gegenüber der taz.
       „Journalisten schlagen sie, wohlwissend, dass diese nicht abgenommen
       werden, erst gar nicht ihren Ressortleitern vor“, sagt er. Ferner wüssten
       die Ressortleiter, welchen Auftrag sie welchem Redakteur erteilen. Das
       reiche meistens schon. „Falls nicht, gibt es einen dritten, selteneren
       Mechanismus: störende Textstellen erscheinen einfach nicht“, sagt Bersi und
       fügt hinzu: „Zum Glück gibt es journalistische Widerstandsnester wie RU.“
       
       Die vierte Gewalt habe sich der Exekutive unterworfen, stellt auch der
       Wirtschaftsjournalist Thanassis Koukakis fest. Das habe vor allem
       ökonomische Gründe.„Die meisten Medien sind chronisch defizitär und somit
       auf mit Staatsgeldern finanzierte Werbung dringend angewiesen.“ Würden die
       Staatsgelder als Finanzquelle ausfallen, müssten drei Fünftel der Medien
       sofort schließen, so Koukakis.
       
       Koukakis ist sauer. Der griechische Geheimdienst EYP hat ihn nachweislich
       abgehört. Pikanterweise ordnete Premier Mitsotakis unmittelbar nach der
       Machtübernahme an, dass die EYP ihm persönlich direkt unterstellt wird.
       Dennoch wäscht ausgerechnet Mitsotakis seine Hände in Unschuld. Die Athener
       Strafjustiz, deren Spitze Mitsotakis ernennt, lässt ihn in Ruhe.
       Stattdessen sieht sich Koukakis, ein Opfer im gigantischen Athener
       Abhörskandal, gleich drei Zivilklagen mit horrenden Geldforderungen
       ausgesetzt. Die ehemalige rechte Hand und der Neffe von Premier Mitsotakis,
       Grigoris Dimitriadis, der im August 2022 im Zuge des Abhörskandals
       zurücktrat, fordert von ihm in Summe 550.000 Euro. Dem Premier-Neffen stieß
       es übel auf, dass Koukakis auf der Plattform X fremde Artikel über den
       Abhörskandal retweetete.
       
       ## Klagen und Strafanzeigen als Einschüchterung
       
       Koukakis erinnert sich: „Als die damals zuständige EU-Kommissarin für Werte
       und Transparenz, Věra Jourová, in Athen war, um sich vor Ort über die Lage
       der Pressefreiheit zu informieren, wollte mich plötzlich nur ein
       Mitarbeiter von ihr sehen, nicht Jourová selbst, obwohl vorab ein Treffen
       mit Jourová vereinbart war.“ Kurz nach dem Treffen mit ihrem Mitarbeiter im
       Athener EU-Gebäude habe er Jourová auf der Treppe gesehen. Er habe sich
       vorgestellt. Mit entwaffnender Ehrlichkeit habe ihm Jourová vor weiteren
       Anwesenden erklärt: „Ah, Sie sind Herr Koukakis! Sie sollte ich hier in
       Athen auf keinen Fall treffen!“ Koukakis voller Frust: „Ich bin seit 27
       Jahren Journalist. Noch nie stand es um den Journalismus in Griechenland so
       schlecht wie heute.“
       
       Griechenlands wohl bekanntester Investigativjournalist, Kostas Vaxevanis,
       Herausgeber der Athener Wochenzeitung Documento, nennt nur einen Namen, um
       die hiesige Lage der Pressefreiheit zu beschreiben: „Viktor Orbán“. An der
       Regierung Mitsotakis lässt der 58-Jährige kein gutes Haar. Vaxevanis
       offenbart, dass gegen ihn in den letzten Jahren rund 120 Klagen und
       Strafanzeigen erhoben worden sind. Man wolle ihn einschüchtern, mundtot
       machen, ökonomisch vernichten. Er werde aber sich nicht beugen, sagt er.
       Und dies, obgleich die gegen ihn gerichteten Klagen viel Zeit und Geld
       kosteten. „Bisher musste ich dafür eine Viertelmillion Euro für
       Gerichtskosten und Rechtsanwälte aufbringen.“ Obendrein sei seine
       körperliche Unversehrtheit „wiederholt bedroht“ gewesen, auch einen
       versuchten Auftragsmord an ihm habe es gegeben, so Vaxevanis.
       
       Zurück zum Mord an Reporter Karaivaz: Der Prozess gegen die beiden
       mutmaßlichen Killer beginnt am Mittwoch an einem Athener Gericht, mehr als
       drei Jahre nach der Tat. Die Athener Rechtsanwältin Roi Pavlea, die Mutter
       und Schwester des ermordeten Giorgos Karaivaz vertritt, sagt im Vorfeld des
       Prozesses: „Wir erwarten, dass die Auftraggeber, egal wie weit oben sie
       sich befinden, gefunden und bestraft werden“. Sie geht davon aus, dass es
       sich bei den Angeklagten um Auftragsmörder handelt.
       
       24 Jun 2024
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ferry Batzoglou
       
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