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       # taz.de -- Journalist klagt Polizei an: Schläge ins Gesicht, Knie im Rücken
       
       > Bei der Besetzung der Humboldt-Uni in Berlin im Mai wurde ein Journalist
       > mutmaßlich von einem Polizisten verletzt – jetzt äußert sich das Opfer
       > dazu.
       
   IMG Bild: Ging mutmaßlich rabiat vor: Polizei nimmt propalästinensische Demonstrant:innen an der HU fest
       
       Am Dienstag gab die Berliner Senatsverwaltung für Inneres neue Zahlen zur
       [1][Besetzung an der Humboldt-Universität] (HU) durch propalästinensische
       Aktivist:innen bekannt. Ende Mai hatten rund 150 Personen ein
       Institutsgebäude der Universität besetzt, um gegen die Positionierung der
       Universität zum Israel-Palästina-Krieg [2][zu protestieren].
       
       Auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Niklas Schrader und
       Tobias Schulze vermeldete die Senatsverwaltung für Inneres: Insgesamt 236
       Identitätsfeststellungen habe die Polizei im Rahmen der Besetzung
       vorgenommen.
       
       Ob davon auch vermittelnde Personen wie Anwält:innen [3][und
       Journalist:innen] betroffen waren, könne nicht eindeutig beantwortet
       werden. Zudem werde gegen einen Polizeibeamten wegen des Verdachts auf
       Körperverletzung im Dienst ermittelt. Nach Ende der Besetzung waren einige
       Fälle bekannt geworden, bei denen die Polizei mutmaßlich Personen
       unrechtmäßig ihrer Freiheit beraubt hatte.
       
       Einer dieser Fälle betrifft Ignacio Rosaslanda, einen Videoreporter der
       Berliner Zeitung. Der junge Mann, der in Mexiko-Stadt aufwuchs und
       studierte, lebt seit Herbst 2023 in Deutschland. Er ist schmächtig, spricht
       leise und denkt über jeden Satz, den er sagt, kurz nach. Er erhebt schwere
       Vorwürfe.
       
       Ein Polizeibeamter soll ihn angegriffen haben, während er über die
       Besetzung berichtete, und ihn anschließend fast eine Stunde auf dem Boden
       fixiert haben. Nach dem Vorfall wurden im Krankenhaus Charité laut
       Berichten der Berliner Zeitung mehrere Schürfwunden und Hämatome über dem
       linken Ohr, im Gesicht, auf dem Brustkorb und am linken Arm festgestellt.
       „Auch jetzt, Wochen nach dem Vorfall, habe ich noch Schmerzen“, sagt
       Rosaslanda.
       
       Begonnen hatte die Besetzung am Mittwoch, 22. Mai. Zunächst hatte die
       Universitätsleitung sie geduldet und den Besetzer:innen eine Frist
       gesetzt, um das Gebäude zu verlassen. Am Donnerstagabend begann die Polizei
       nach Ablauf der Frist mit der Räumung. Rosaslanda berichtet der taz, dass
       er am Donnerstagnachmittag auf das Universitätsgelände kam, um für die
       Berliner Zeitung zu berichten. Zunächst habe er sich vor dem Gelände bei
       der Polizei mit seinem Presseausweis angemeldet.
       
       ## Angriff erfolgte von hinten
       
       „Als ich gemerkt habe, dass viele der Aktivist:innen in den vierten
       Stock gegangen sind, bin ich ihnen gefolgt, um zu dokumentieren, was
       passiert.“ Dort hatten sich, wie Rosaslanda schätzt, rund 30
       Aktivist:innen mit Stühlen und Tischen verbarrikadiert.
       
       In der linken Hand habe er sein Handy gehabt, in der rechten eine Kamera
       mit Stativ. Seinen Presseausweis habe er während der gesamten Zeit gut
       sichtbar um den Hals getragen, sagt er. Er sei, anders als die
       Aktivist:innen, nahe der verbarrikadierten Tür geblieben.
       
       Nachdem die Polizist:innen zur Öffnung der Tür eine Ramme eingesetzt
       hatten, wie aus einer Pressemeldung hervorgeht, begannen sie mit der
       Räumung. „Ich bin der ersten Welle von Polizist:innen mit etwas Abstand
       gefolgt, um zu dokumentieren, wie die Räumung abläuft“, sagt Rosaslanda.
       
       Der Angriff des Polizisten erfolgte laut Rosaslanda von hinten. „Er griff
       meinen Rucksack, drehte mich zu sich und schlug mir dann zweimal schnell
       hintereinander mit der Faust ins Gesicht.“ Ein Schlag habe ihn an der
       Schläfe getroffen, der zweite am Kiefer. Sein Handy, seine Brille und seine
       Kamera seien dabei auf den Boden gefallen.
       
       Durch den zweiten Schlag sei er selbst zu Boden gegangen. Rosaslandas
       Stimme wird brüchig, als er von der Szene erzählt. „Ich werde mich jetzt
       erst mal von Demonstrationen fernhalten“, sagt er. Zu groß sei sein
       Unbehagen nach diesem Vorfall.
       
       In einem Video, das die Berliner Zeitung später veröffentlichte, ist die
       Szene nachzuvollziehen. Nachdem einige Polizist:innen den Korridor
       betreten, den Reporter sehen und weiterziehen, hört man eine laute Stimme,
       die keiner Person im Video zuzuordnen ist. Sie ruft: „Auf den Boden runter,
       auf den Boden!“ Die Kamera fällt, Rosaslanda wiederholt mehrmals den Satz
       „Ich bin Presse“. Dann bricht das Video ab.
       
       Eine Sanitäterin, die als Teil einer Gruppe von Freiwilligen während der
       Besetzung vor Ort war, berichtet der taz von dem Vorfall. „Als wir in den
       4.Stock gekommen sind, lag der Journalist auf dem Boden. Ihm waren
       Handschellen angelegt und ein Polizist kniete auf seinem Rücken.“ Als die
       freiwilligen Sanitäter:innen dem Polizisten gesagt hätten, er solle
       den Druck auf Rosaslandas Rücken verringern, habe der Polizist geantwortet,
       man solle ihm nicht sagen, wie er seine Arbeit zu machen habe.
       
       Nach etwa 50 Minuten sei Rosaslanda aus der Position entlassen worden, sagt
       die Sanitäterin. Am nächsten Tag stellte Rosaslanda, wie er sagt, Anzeige
       wegen Körperverletzung bei der Polizei. Aber auch gegen ihn sei
       Strafanzeige gestellt worden. „Der Polizist behauptet, ich habe ihn mit der
       Teleskopstange meines Stativs angegriffen und ihm auf den Kopf geschlagen“,
       so Rosaslanda. Wegen der Anschuldigungen mache er sich nun Sorgen um seinen
       Aufenthaltsstatus. „Ich habe nur ein Arbeitsvisum“, sagt er.
       
       Dass Demonstrationen für Journalist:innen ein gefährlicher Arbeitsort
       sind, ist nicht neu. Laut einer Studie des Europäischen Zentrums für
       Presse- und Medienfreiheit haben sich 2023 rund 77 Prozent aller Fälle von
       Gewalt gegen Journalist:innen auf Demonstrationen zugetragen.
       
       Sie gehen laut Studienergebnissen häufig von Demonstrierenden aus. Der
       Schutz von Journalist:innen durch Strafverfolgungsbehörden sei aber
       „erheblich verbesserungsbedürftig“. Zudem komme es immer wieder zu Fällen,
       in denen die Strafverfolgungsbehörden selbst übergriffig gegen
       Journalist:innen würden und die Pressefreiheit einschränkten.
       
       Renate Gensch, Landesvorsitzende der Fachgruppe Medien Journalismus und
       Film der Deutschen Journalisten Union Berlin-Brandenburg, verurteilte den
       Vorfall und fordert mehr politische Schutzmaßnahmen für Journalist:innen.
       Die Ausbildung von Polizist:innen in Presse- und Versammlungsrecht
       müsse der Realität angepasst werden, so Gensch.
       
       Die Berliner Polizei äußerte sich auf Anfrage der taz nicht zu dem Vorfall.
       Der erhöhte Arbeitsaufwand durch die diesjährige
       Fußball-Europameisterschaft ließe eine rechtzeitige Beantwortung der
       Nachfragen nicht zu, so eine Sprecherin. Rosaslanda bereitet sich auf ein
       langes, finanziell belastendes Gerichtsverfahren vor und hofft auf weitere
       Unterstützung durch die Berliner Zeitung.
       
       26 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Joscha Frahm
       
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