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       # taz.de -- Brandenburger Ausgang der EU-Wahl: Den Grünen fehlt breite Verankerung
       
       > Der Absturz der Partei macht deutlich, wie luftig ihr früherer Boom
       > gewesen ist. Das gefährdet den Wiedereinzug in den Landtag am 22.
       > September.
       
   IMG Bild: Beim kleinen Parteitag in Potsdam am 1. Juni herrschte noch Euphorie – bei der Europa-Wahl jedoch brachen die Grünen stark ein
       
       Was für ein Absturz! Kurz vor der Landtagswahl 2019 [1][sah es in Umfragen
       zeitweise so aus], als könnten die Grünen die brandenburgische
       Ministerpräsidentin stellen. Fast gleichauf lagen sie mit SPD und CDU. „Ja,
       ich würde auch für dieses Amt bereitstehen, sollte es uns nach der
       Rangfolge der demokratischen Parteien zustehen“, [2][sagte damals die
       Frau], die in dieser Woche in der Potsdamer Staatskanzlei mit ihren
       Bündnispartnern rund viereinhalb Jahre rot-schwarz-grüner Koalition
       bilanzierte.
       
       Jetzt aber muss Ursula Nonnemacher, die letztlich doch nicht
       Regierungschefin wurde, sondern das Großressort für Soziales, Gesundheit,
       Integration und Verbraucherschutz übernahm, befürchten, dass ihre Partei
       bei der Wahl am 22. September aus dem Landtag fliegt.
       
       Bloß 6,0 Prozent der Stimmen bekamen die Grünen am Sonntag, halb so viel
       wie 2019. Schlechter schnitten sie bei einer EU-Wahl zuletzt 1999 ab, also
       vor einem Vierteljahrhundert. Dass sich die Wahl im September auf einer
       ganz anderen Landesebene abspielt, kann die Partei nicht beruhigen, sondern
       muss ihr vielmehr Angst machen. Denn Nonnemachers Partei schneidet bei
       Europawahlen in der Regel besser ab als bei Landtagswahlen.
       
       2009 etwa bekamen die Grünen auf EU-Ebene 8,4 Prozent – bei der
       Landtagswahl drei Monate später schafften sie es mit 5,3 Prozent hingegen
       nur knapp über die 5-Prozent-Hürde. Auch 2019 folgten auf 12,3 Prozent bei
       der EU-Wahl 10,8 Prozent bei der Landtagswahl. Dass sich das
       zwischenzeitliche Umfragehoch von bis zu 17 Prozent noch derart auflöste,
       hatte damals viel mit der AfD zu tun – und hat es heute wieder.
       
       Nicht, dass die Grünen Stimmen an den rechten Rand verlören – solche
       Wählerwanderung gibt es Umfragen zufolge nicht. Aber die SPD wird wie
       damals dafür werben, dass sich alle demokratischen Kräfte hinter ihrem
       Ministerpräsidenten Dietmar Woidke vereinen, um zu verhindern, dass die AfD
       am Wahlabend vorn liegt. Das bringt Grünen-Anhänger in einen
       Gewissenskonflikt: Wählen sie ihre Lieblingspartei, könnten sie einen
       AfD-Wahlsieg riskieren – unterstützen sie aber staatstragend die SPD, fehlt
       ihre Stimme, um die Grünen weiter im Landtag zu halten.
       
       ## Unzufriedenheit trotz guter Wirtschaftsdaten
       
       Ursula Nonnemacher klang in der Bilanz-Pressekonferenz am Dienstag
       gefrustet angesichts des so geringen Rückhalts, den drei Regierungsparteien
       aktuell zusammen haben: Nur 37,5 Prozent der wählenden Brandenburger, nicht
       viel mehr als ein Drittel, stimmten für SPD, CDU und Grüne.
       
       Für die Noch-Ministerin – unabhängig vom Wahlausgang will sie mit bald 67
       Jahren nicht länger zur Verfügung stehen – ist das nicht nachvollziehbar.
       „Brandenburg steht trotz seiner gefühlten Unzufriedenheit so gut da wie
       noch nie in seiner Geschichte“, sagt sie fast trotzig. Das allein hilft
       ihrer Partei nur nicht erneut in den Landtag, in dem sie schon von 1994 bis
       2009 nicht vertreten war.
       
       Das für die Grünen so Verheerende ist, dass sich der Zugewinn von 2019
       derart verflüchtigt hat. Ein Teil davon war zwar mutmaßlich
       Trittbrettfahrern zuzuschreiben, die es als angesagt empfanden, für die
       damals gerade angesagten Grünen zu stimmen. Aber die Grünen schienen
       plötzlich auch in kleinen Kommunen Fuß gefasst zu haben.
       
       Nun jedoch, am vergangenen Sonntag, gab es jenseits ihrer Hochburg Potsdam,
       wo sie 2019 erstmals ein Direktmandat für den Landtag gewannen und auch bei
       EU-Wahl – knapp – immer noch stärkste Kraft wurden, Gemeinden, [3][in denen
       sie keine einzige Stimme erhielten.]
       
       Vor diesem Hintergrund bleibt den Grünen nur eines, wenn sie im
       Landesparlament bleiben wollen: sich und ihre Anhängerschaft nicht von der
       absehbaren „Alle hinter Woidke“-Kampagne der SPD vereinnahmen lassen und
       für sich als unverzichtbares Öko-Korrektiv zu SPD und CDU zu werben. Dass
       auf diese Weise am 22. September die AfD vorn liegen könnte, schreckt nicht
       mehr so wie 2019. Denn das zuvor Undenkbare – eine Partei mit vielen
       Rechtsextremisten als Wahlsiegerin in Brandenburg – ist schon mit der
       EU-Wahl Wirklichkeit geworden.
       
       Nun kann es für die Grünen nur noch darum gehen, ihr eigenes Überleben im
       Parlament zu sichern – auch gegen die SPD. Ein starkes Argument für die
       Anhängerschaft: Bleiben die Grünen unter der 5-Prozent-Hürde, werden ihre
       Stimmen auf die anderen Parteien umverteilt – wodurch die AfD einen Sitz
       mehr bekäme.
       
       15 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/brandenburg.htm
   DIR [2] /Landtagswahl-in-Brandenburg/!5614653
   DIR [3] https://www.rbb24.de/politik/wahl/Europawahl/2024/europawahl-hochburgen-parten-brandenburg-karten-wahlbeteiligung.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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