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       # taz.de -- Image einer Stadt im Ruhrgebiet: Shithole Gelsenkirchen
       
       > Als die englischen Fans in der Ruhrpott-Ruine aufschlugen, war die
       > Verwunderung groß. Während der Verein aktiv wird, schläft die Verwaltung
       > weiter.
       
   IMG Bild: Wenn das Schönste an einer Stadt das Stadion ist: Arena auf Schalke, Gelsenkirchen
       
       Gelsenkirchen taz | Lange wurde die Fußball-Europameisterschaft in der
       ärmsten Stadt Deutschlands geplant und vorbereitet. Die Hoffnung auf ein
       historisches Ereignis war im Vorfeld groß, auch bei Oberbürgermeisterin
       Karin Welge von der SPD: „Dass wir uns als gute Gastgeber präsentieren und
       den Gästen aus ganz Europa die Bühne und Tribünen für ein großes
       Fußballfest bereiten. Für ein Fest, das für Gelsenkirchen im guten Falle so
       berauschend sein wird wie der Uefa-Pokal im Jahre 1997, oder wie das
       Sommermärchen vor 15 Jahren – und mit einem ebenso nachhaltigen
       Image-Effekt!“
       
       Das Drama begann mit der Ankunft der Engländer in Gelsenkirchen. Sie kamen
       am Hauptbahnhof im Süden an. Dem besonders armen Teil der Stadt. Die
       Fußgängerzone ist von Leerstand geprägt, es gibt nur wenige Kneipen und
       Restaurants. Die britischen Fans wurden in eine „Fanzone“ auf der dafür
       kaum geeigneten Trabrennbahn am Stadtrand abgeschoben – aus
       Sicherheitsgründen. [1][Dass die An- und Abreise zum Stadion nicht
       funktionierte], gab der englischen Stimmung den Rest. In den sozialen
       Netzwerken machte der Begriff „shithole“ die Runde. Dabei hätte es auf der
       Schalker Meile rund um die traditionsreiche Glückauf-Kampfbahn oder im
       Nordsternpark auf einem ehemaligen Zechengelände geeignete Plätze gegeben.
       
       Für die Gelsenkirchener war das keine Überraschung, denn die Probleme ihrer
       Stadt sind nicht zu übersehen. Armut, Arbeitslosigkeit, Armutszuwanderung,
       Lehrermangel, Schrottimmobilien und eine marode Infrastruktur sind hier an
       der Tagesordnung. In Rankings zur Lebensqualität in Deutschland schneidet
       die Stadt an der Emscher regelmäßig schlecht ab. Schöne Plätze, klassische
       Eckkneipen und interessante Orte sind rar, aber es gibt sie, man muss sie
       nur finden. An dieser Stelle wäre das Social-Media-Team der Stadtverwaltung
       gefordert gewesen, aber es passierte nichts. Stattdessen wurde im schönsten
       Marketingsprech auf das Musiktheater, Schloss Berge und den Zoo verwiesen.
       Alles wie immer.
       
       In diese Lücke stößt eine Initiative aus dem Umfeld des ehemaligen
       CDU-Oberbürgermeisterkandidaten Malte Stuckmann. Das schlechte Image der
       Stadt wird als Vorlage für eine Kampagne mit dem Instagram-Account
       „gibdirgelsen“ genutzt. Hier wird im Ruhrpott-Klartext „Heute Gelsen,
       morgen Oxford“ auf die Studiengänge der Westfälischen Hochschule verwiesen:
       „Hier kannst du was werden, trotz letztem Platz im Städteranking. Oder
       gerade deswegen.“ Guerillamarketing im besten Sinne für das „best shithole“
       eben. So etwas hätte eigentlich aus der Kommunikationsabteilung der Stadt
       kommen müssen.
       
       ## Beginn der EM-Vorbereitungen: 2017
       
       Immerhin haben die Vorbereitungen auf die EM bereits 2017 begonnen; die
       vier Spiele in der Veltins-Arena werden die [2][Bürger der Stadt rund 20
       Millionen Euro kosten].
       
       Natürlich hat Gelsenkirchen ein großartiges und modernes Stadion, aber auch
       hier sind die Fans der entscheidende Faktor. In der letzten desolaten
       Saison des FC Schalke 04 stellten sie einen neuen Zuschauerweltrekord auf.
       Mit dieser Einstellung ertrugen sie den schlechten Fußball ihrer Mannschaft
       und hatten großen Anteil am Klassenerhalt.
       
       Die Stärke der Region sind nach wie vor die Menschen, die ihren nicht
       einfachen Alltag mit Humor und Haltung meistern. So berichteten viele
       Engländer von freundschaftlichen Begegnungen, denn Kontakt findet man in
       Gelsenkirchen schnell. An guten Tagen werden Solidarität, Mitgefühl und
       Hilfsbereitschaft großgeschrieben.
       
       Eine reine Eventorientierung hilft Gelsenkirchen nicht, die seit
       Jahrzehnten bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen.
       
       Auch beim Verein, dem FC Schalke 04, haben die Verantwortlichen nach Jahren
       des Niedergangs einen Neuanfang für eine tragfähige Zukunft angekündigt.
       Dazu gehört, sich von ungeeignetem Personal zu trennen, einen langfristigen
       Plan zu verfolgen und das vorhandene Kapital sinnvoll zu investieren. Das
       scheint überfällig. Aber hier endet der Vergleich mit der Kommunalpolitik
       leider schon. Ein solch radikaler Schritt wird in Politik und Verwaltung
       nicht erfolgen. Wahrscheinlich wird kurz nach dem Abpfiff des Endspiels am
       14. Juli das große Wehklagen über die fehlinvestierten 19 Millionen
       beginnen.
       
       30 Jun 2024
       
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