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       # taz.de -- EU-Beitrittsgespräche mit der Ukraine: Die Zukunft planen? Gerade schwierig
       
       > Die Verhandlungen zum EU-Beitritt der Ukraine und Moldau haben begonnen.
       > Aber für Ukrainer sind Luftangriffe und Stromausfälle gerade präsenter.
       
   IMG Bild: Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau haben begonnen
       
       Komplexe Pläne für eine weit entfernte Zukunft zu machen und gleichzeitig
       die Herausforderungen des Alltags zu meistern, ist schon unter
       Normalbedingungen nicht gerade leicht. Doch in Kyjiw ist es im seit über
       zwei Jahren andauernden russischen Angriffskriegs noch mal deutlich
       schwieriger.
       
       Schon das Einkaufen ist problematisch. Immerhin funktioniert die Versorgung
       relativ gut – was umso erstaunlicher ist, da Russland immer wieder auch
       Groß- oder Baumärkte mit Raketen beschießt. Erst in dieser Woche wurde in
       Odessa wieder eine Lagerhalle für Limonade getroffen. Kein gutes Gefühl für
       einen Einkauf.
       
       Aber trinken muss man ja. In der Hitze des ukrainischen Sommers ist die
       Dehydrierung gleich nach Russland der größte Feind. Deshalb mache ich mich
       im Supermarkt mit einem grünen Plastikkorb in der Hand auf den Weg durch
       die Regalreihen. Doch zwischen Kartoffelsalat und Knabbergebäck wird es
       plötzlich stockfinster. Auch das Einkaufsradio verstummt. [1][Der Strom ist
       abgeschaltet worden], offenbar früher als geplant. Es springt auch kein
       Generator an.
       
       ## Kein Strom, kein Licht, kein Fahrstuhl
       
       Kurzfristig hilft die Taschenlampen-App. Auch die anderen Kund:innen
       bahnen sich im Lichtkegel ihrer Telefone den Weg zum Ausgang, ein Wachmann
       drängt höflich darauf, dass man den Laden verlassen solle. Zum Glück hatte
       ich die Wasserflaschen schon im Korb. Und das Kartenlesegerät an der Kasse
       läuft mit Batterie. Nun muss der Einkauf nur noch ins siebte Stockwerk
       hochgetragen werden. Denn der Lift funktioniert [2][wegen der Stromsperre]
       natürlich auch nicht.
       
       Andere haben es da schwerer. Es gibt viele Hochhäuser in Kyjiw und
       Menschen, die nicht gut zu Fuß sind. Um böse Überraschungen zu vermeiden,
       kann man auf der Website des lokalen Stromanbieters sehen, wann in welcher
       Straße es [3][ganz bestimmt keinen Strom geben wird], wann vielleicht und
       wann höchstwahrscheinlich. Das hilft immerhin ein wenig bei der Planung des
       Alltags.
       
       Wenn es Strom gibt und dann noch gleichzeitig kein Luftalarm ist, kann man
       dieses Zeitfenster für einen stimmungsaufhellenden Friseurbesuch nutzen.
       Licht ist dabei essentiell, da dort ja mit scharfen Klingen hantiert wird.
       Ich werde heute von Wowa bedient, der sich den Vornamen mit dem
       Staatspräsidenten teilt, erfahre ich am Tresen.
       
       Während Wowa meine Haare wäscht und schneidet, erzählt er von der
       Europäischen Union. Die hat nämlich am selben Tag offiziell den Start
       [4][der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau
       verkündet]. Wowa findet das gut, genau so wie sein Namensvetter. Präsident
       Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner täglichen Videobotschaft gar von einem
       historischen Moment gesprochen, und sagte: „Wir haben hart daran
       gearbeitet, diesen Punkt zu erreichen.“ Die Regierung sei bestrebt, alle
       Anforderungen zu erfüllen, um zu einem Beitrittsvertrag für die Ukraine zu
       gelangen.
       
       ## Vorbild Polen
       
       Wowa versteht gut, dass dabei gar nicht so viel verhandelt wird, sondern
       dass es vor allem darum gehe, Tausende von EU-Regeln in nationales Recht zu
       überführen. „Wir wollen ja so leben wie ihr in der EU, also müssen auch die
       Regeln die gleichen sein“, befindet er, während er meine Haare in Form
       bringt.
       
       Für ihn sei vor allem Polen das Vorbild. Wie sich das Land in den zwanzig
       Jahren seit EU-Beitritt entwickelt hat, beeindruckt ihn. Aber bevor für die
       Ukraine etwas daraus werde, müsse erst mal der Krieg enden. Und zwar so,
       dass von der Ukraine noch etwas übrig sei. „Wenn wir unser Land verlieren
       sollten, dann brauchen wir auch keinen EU-Beitritt mehr“, sagt er trocken.
       
       Bis dahin sei dieser Beitrittsprozess für ihn auch so eine Art Instrument,
       das die Regierung brauche, um gegen die Korruption vorzugehen. Denn gerade
       dabei sehen viele Ukrainer:innen nach wie vor Defizite. Der Druck von
       Außen helfe den Aktivist:innen im Land, meint Wowa. Mal schauen, ob in
       den EU-Bestimmungen auch der Taschenlampeneinsatz im Einzelhandel geregelt
       ist.
       
       29 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Zschieck
       
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