URI: 
       # taz.de -- Neue WDR-Intendantin: Preußische Tugenden
       
       > Es steht kein*e Journalist*in mehr an der WDR-Spitze. Mit Katrin
       > Vernau kommt eine Wirtschaftswissenschaftlerin die schon beim RBB
       > aufräumte.
       
   IMG Bild: Die neue WDR-Intendantin Katrin Vernau
       
       Berlin taz | „Ich mache keine großen Wellen, und ich bin keine große
       Selbstdarstellerin – aber ich bringe den Verstand und das Herz für diese
       Aufgabe mit“, meinte [1][Katrin Vernau] irgendwann in ihrer Bewerbungsrede
       vor dem WDR-Rundfunkrat und hatte damit eigentlich alles gesagt.
       
       Dass die [2][erste Runde der WDR-Intendantenwahl] am vergangenen Donnerstag
       dann doch so knapp ausging, lag vermutlich an den beiden anderen, etwas
       größeren Selbstdarstellern, die mit Vernau im Rennen um den Spitzenjob der
       größten ARD-Anstalt konkurrierten. Auf Vernau entfielen 17, auf
       WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn 15 und auf den erst ganz knapp vor
       Bewerbungsschluss aus der Kiste gesegelten „Tagesthemen“-Frontmann Helge
       Fuhst 16 Stimmen.
       
       Das war die erste Sensation: [3][WDR]-Veteran Schönenborn, dem einige schon
       bei der letzten Wahl nachgesagt hatten, vielleicht gegen Tom Buhrow
       anzutreten, und der die Tage vor der entscheidenden Rundfunkratssitzung
       noch kräftig die Werbetrommel für sich zu rühren versuchte, war draußen.
       Und die zweite lautete: Helge Fuhst, den ohnehin eine verblüffende
       Ähnlichkeit zu seinem Ziehvater Tom Buhrow auszeichnet, hätte es beinahe
       geschafft.
       
       Die anschließende Stichwahl ohne erneute Aussprache oder Geschacher unter
       den 55 Rundfunkrät*innen entschied Vernau dann mit 36 Jastimmen für
       sich.
       
       ## Erst Potsdam, dann Köln
       
       Damit führt erstmals seit 1985 kein*e Journalist*in das Haus, was im
       WDR für diverse Fragezeichen und hochgezogenen Augenbrauen sorgt. Doch
       Vernau dürfte es gelingen, die Zweifler*innen von sich zu überzeugen.
       Dazu hilft ein Blick nach Berlin. Denn Vernau hat das, was auf den großen
       WDR zukommt, beim kleinen RBB schon durch. Und das mit den denkbar
       undankbarsten Ausgangsbedingungen.
       
       Im September 2022 hatte sie der RBB-Rundfunkrat als Interimsnachfolgerin
       für die geschasste Intendantin Patricia Schlesinger zum Sender geholt.
       Schlesinger hatte mit einer beeindruckenden Kombination aus durchaus
       sympathischer Hemdsärmeligkeit, aber auch jeder Menge Hybris die ohnehin
       strukturell unterfinanzierte ARD-Anstalt für Berlin und Brandenburg durch
       das geplante Digitale Medienhaus fast in die Pleite geführt, garniert mit
       luxuriösen Umbauten der Intendant*innenetage, fragwürdig abgerechneten
       Abendessen oder Dienstreisen und vielem mehr, für das sich weiterhin die
       Berliner Staatsanwaltschaft interessiert. Es gilt die Unschuldsvermutung.
       
       Vernau machte in Preußen kurzen Prozess. Die Führungsmenschen des Senders
       wurden aussortiert, der ehemalige Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus
       schied auf eigenen Wunsch und gegen ein gewisses Handgeld aus. 50 Millionen
       mussten subito eingespart werden, das Digitale Medienhaus – mit seinen
       explodierenden Kosten und unklaren Verantwortlichkeiten das skandalöseste
       ARD-Projekt seit der Abwicklung des Instituts für Rundfunktechnik – wurde
       gestoppt.
       
       ## Organisierter Verantwortungslosigkeit
       
       Vernau sprach bald von „organisierter Verantwortungslosigkeit“. Und traf
       damit genau den Tenor, der auch aus dem in der vorletzten Woche
       veröffentlichten Bericht des Untersuchungsausschusses zum RBB des
       Brandenburger Landtags spricht. Dass die studierte
       Wirtschaftswissenschaftlerin in Potsdam unter dem Titel
       „Politisch-administrative Steuerung in großen und mittelgroßen deutschen
       Kommunalverwaltungen – eine handlungs- und systemtheoretische Betrachtung“
       promoviert hat, kam ihr da vermutlich genauso zupass wie eine ganz
       besondere Eigenheit unter ARD-Hierarch*innen: Vernau kommt von außen.
       
       1978 wurde sie im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen geboren,
       studierte unter anderem an der Universität St. Gallen und der Columbia
       Business School in New York. Als Kanzlerin der Universität Ulm (2002–2005)
       und der Uni Hamburg (2006–2012) war sie schon mal so was wie eine
       Verwaltungsdirektorin einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung, was sie
       dann ab 2015 beim WDR auch ganz offiziell wurde.
       
       Wer in Vernau jetzt aber die kalte Technokratin sieht, die außer einer
       Rechenmaschine nichts im Kopf hat, liegt falsch. Natürlich ist sie eine
       knallharte Verhandlerin. (Transparenzhinweis: Meine Kolleg*innen im
       DJV, die beim RBB und jetzt wieder beim WDR mit ihr Tarifverträge
       ausfechten, können mehr als nur ein Lied davon singen.) Aber sie ist auch
       zugewandt, mitarbeiter*innenorientiert und im Vergleich zu den
       üblichen Alphamenschen auf solchen Posten auf eine sehr angenehme Art
       uneitel.
       
       ## Sie geht dahin, wo's wehtut
       
       Anders wäre ihr der RBB wohl um die Ohren geflogen. Jetzt war der Ausflug
       nach Berlin und Potsdam ihr Visitenkärtchen für den Job in Köln. Zu den
       sympathischen Eigenschaften von Katrin Vernau gehört auch, dass sie dahin
       geht, wo es potenziell wehtut. Da saß sie auf der re:publica 2023 ein
       bisschen wackelig auf einem Barhocker am ARD-Stand und stellte sich
       kritischen Fragen von Radioeins-„Medienmagazin“-Mann Jörg Wagner. Business
       Insider, dem bei der alten RBB-Führung verhassten Springer-Onlinedienst,
       der den Skandal entscheidend aufgedeckt hatte, gab sie ein langes
       Abschiedsinterview.
       
       Natürlich gelingt auch ihr nicht alles. Die Posse um ihren Mietzuschuss
       während des Jobs beim RBB, den sie trotzig verteidigte, war überflüssig.
       Und auch die Wahrheit, ob sie am Ende vielleicht wirklich länger in Berlin
       geblieben wäre, kennt nur Vernau selbst. Auf die offizielle
       Ausschreibung des RBB-Intendant*innenpostens ab 2023 hatte sie sich,
       anders als jetzt beim WDR-Verfahren, nicht beworben. Das hatte der
       Rundfunkrat aber zur Pflicht erklärt, Vernau wollte dagegen von der
       Findungskommission gebeten werden. Am Ende gab es zwar den Versuch, sie
       doch noch auf die Kandidat*innenliste zu hieven, doch der wurde vom
       RBB-Rundfunkrat abgeschmettert.
       
       Einen Gefallen hätte sich Vernau mit dem RBB auch nicht getan. Bei allem
       Heulen und Zähneknirschen zu Köln am Rhein, wo auch nicht mehr alle Bäume
       in den Himmel wachsen: Der WDR hat, verglichen mit vielen anderen
       ARD-Anstalten, immer noch ein bisschen Spielraum, Masse und Potenzial. Das
       weiß erst recht seine Verwaltungsdirektorin, die im Januar 2025 seine
       Intendantin wird. Die RBB-Intendantin heißt heute Ulrike Demmer. Und auch
       beim WDR regiert ab 2025 eine Frau. Gut so.
       
       30 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rundfunkrat-waehlt-Interimsintendantin/!5880823
   DIR [2] /Intendantinnenenwahl-beim-WDR/!6009191
   DIR [3] /Social-Media-Regeln-beim-WDR/!5830821
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Steffen Grimberg
       
       ## TAGS
       
   DIR Journalismus
   DIR WDR
   DIR Intendantin
   DIR Öffentlich-Rechtliche
   DIR Fernsehen
   DIR Köln
   DIR Social-Auswahl
   DIR Kolumne Flimmern und Rauschen
   DIR Kolumne Flimmern und Rauschen
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR WDR
   DIR Medien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR RBB macht wieder Sachen: Wiederaufnahme eines Klassikers
       
       Bei anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten wäre etwas wie die jüngste
       RBB-Posse bloß Theaterdonner. Aber die im Lichte sieht man halt besonders
       gut.
       
   DIR Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Katrins statt Toms
       
       Frauen haben im öffentlich-rechtlichen Geschäft ziemlich Oberwasser. Das
       zeigt der WDR, aber auch das ZDF. Wird der ÖRR tatsächlich etwas für alle?
       
   DIR WDR muss BSW-Politiker einladen: Wagenknecht und Wahlplakate
       
       Während das BSW in der „Wahlarena“ zu Gast sein darf, scheinen
       Werbetexter*innen zu streiken: Die Wahlplakate sprechen Bände.
       
   DIR Intendant*innenenwahl beim WDR: Es geht um Macht
       
       Rund ein halbes Dutzend Kandidat*innen bewerben sich aktuell um den Job
       des Oberheinzelmännchens zu Köln. Wer kann am besten miteinander tanzen?
       
   DIR Social-Media-Regeln beim WDR: Was ist privat?
       
       In einem Entwurf hat der WDR Social-Media-Regeln für seine
       Mitarbeiter*innen vorgestellt. Personalrat und Redakteursvertretung
       äußern Bedenken.