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       # taz.de -- Zeitreise ins Jahr 2060: Spiegelei auf dem Kopf
       
       > Die schmutzigen Teller werden jetzt mit der Vorderseite nach außen in die
       > Geschirrspülmaschine gestellt, Besteck einfach hineingeworfen.
       
   IMG Bild: Mit der schmutzigen Seite nach außen in die Spülmaschine: 2060 scheint alles möglich
       
       Wir schreiben das Jahr 2060. Zeitreisende aus den finsteren 2020er Jahren –
       heute mit einer Mischung aus Fremdscham und Belustigung das „Zeitalter der
       fünf Sechstel Deppensmileys unter ‚Forschung-und-Wissen‘-Artikel [1][über
       Hitzerekorde]“ genannt – würden staunen: Man hängt die Wäsche nicht mehr
       zum Trocknen auf, sondern zieht sie nass an. Das spart Zeit und Mühe,
       wappnet gegen die hohen Lufttemperaturen und obendrein sitzt das Zeug dann
       viel besser. Es ist ein Quantensprung in der Entwicklung unserer
       Zivilisation.
       
       Im Nachhinein ist es erstaunlich, wie spät die Menschheit auf die
       simpelsten Dinge kam. Sturheit und Rechthaberei verschleppten den
       Fortschritt. Hätte man zeitig genug die Kugelform der Erde anerkannt, wäre
       zum einen Galilei nicht verkloppt und der Inhalt seiner Aktentasche
       (Pausenbrot, Lineal, Filzstift) in die Gosse geleert worden, zum anderen
       wäre man nicht ständig falsch herum um die Welt gesegelt, nur um zu
       vermeiden, in einen bodenlosen Abgrund voller Giftmurkel und Zauselmolche
       zu stürzen.
       
       Und hätte man nicht am 24. Juni 1386 den jungen Friedbert von Worms für den
       Diebstahl einer halben Schnitte Brot gehängt, hätte man damals schon
       Glühbirne und Waffeleisen anwerfen können, denn der clevere Knabe hatte das
       komplette Konzept Elektrizität bereits fertig im Kopf. So blieb es eben
       weitere 500 Jahre dunkel.
       
       ## Hauptsache dynamisch
       
       Doch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts ist die Dynamik zum Glück
       eine ganz andere. Weil auch die Akzeptanz für Veränderungen eine andere
       ist. Verkopfte Umstandskrämerei ist nicht mehr angesagt. Die Menschen sind
       offen gegenüber Neuerungen aller Art geworden – vieles wird nun wie
       selbstverständlich anders gemacht, als man es früher kannte. Flexibler noch
       dazu; erlaubt ist, was gefällt, was praktisch ist und was dem Individuum
       wie auch der Gemeinschaft dient.
       
       So werden die schmutzigen Teller jetzt oft einfach mit der Vorderseite (!)
       nach außen (!!) in die Geschirrspülmaschine gestellt. Sie werden auf diese
       Weise nämlich genauso sauber wie traditionell platziert. Das Besteck wird
       ebenfalls nur irgendwie hinterhergeschmissen. Im Jahr 2060 geht praktisch
       alles, und die gesparte Energie wird frei für Konfliktlösungen, Kinder- und
       Katzenerziehung sowie Klimaschutz. Auch eine Bundespräsidentin, die stets
       ein frisches Spiegelei auf dem Kopf trägt, schlicht, weil sie es kann und
       weil sie es will, ist heute Gott sei Dank ein völlig normaler Anblick.
       
       2 Jul 2024
       
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